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Gesetzliche Krankenversicherungen: Check-up zum Jahresstart

13.01.18 03:00 Uhr

Gesetzliche Krankenversicherungen: Check-up zum Jahresstart | finanzen.net

Den meisten Kassen geht es finanziell gut. Dennoch haben sechs Anbieter jetzt den Zusatzbeitrag erhöht. Wie fit die Kassen wirklich sind.

von Markus Hinterberger, €uro am Sonntag

Jeden Tag einen Euro, 30,45 Euro im Monat und rund 365 Euro im Jahr. So viel könnten gesetzlich Versicherte laut einem Gutachten sparen. Damit es so weit kommt, müsste der Bund die kompletten Behandlungskosten der gesetzlich versicherten Hartz-IV-Empfänger bezahlen. Bislang überweist der Staat lediglich eine Monatspauschale von knapp 100 Euro pro Kopf an die jeweilige Krankenkasse - ein Betrag, der die Behandlungskosten bei Weitem nicht deckt.



Die Autoren des Gutachtens, das pikanterweise das Bundesgesundheitsministerium in Auftrag gab, schreiben weiter, dass der Bund durch dieses Knausern jedes Jahr zehn Milliarden Euro spare - zulasten der gesetzlich Versicherten.

Dass dieser Skandal in der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde, liegt sicherlich auch daran, dass das Gros der Krankenkassen einiges auf der hohen Kante hat und den Zusatzbei­trag stabil halten kann. Insgesamt geht es um gut 18 Milliarden Euro an Überschüssen. Eine gewaltige Summe, die auch Raum ließe, um die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) günstiger zu machen. Bereits im Herbst 2017, als die Überschüsse absehbar waren, gab es Stimmen aus Gesundheitswirtschaft und Politik, die verlangten, die Zusatzbeiträge zu senken. Doch die Kassen und Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) bremsten.


Laut der Empfehlung des Schätzerkreises der GKV, der jeden Herbst eine Vorgabe macht, wird der Zusatzbeitrag 2018 bei 1,1 Prozent des Bruttoeinkommens liegen. Im Schnitt kostet der gesetzliche Krankenschutz mit 15,7 Prozent vom Brutto genauso viel wie im vergangenen Jahr.

Der Zusatzbeitrag gilt, seit er 2015 eingeführt wurde, als Gradmesser, ob eine Kasse finanziell attraktiv ist oder nicht. In diesem Jahr bewegt sich dieses Extra, das Kassenmitglieder neben ihrem ­Eigenanteil von 7,3 Prozent des Bruttoeinkommens zusätzlich zahlen müssen, zwischen null und 1,7 Prozent. Der jeweilige Arbeitgeber zahlt noch einmal 7,3 Prozent vom Brutto. Dadurch ergeben sich Gesamtbeiträge zwischen 14,6 und 16,3 Prozent.

Bis zu 0,6 Prozentpunkte günstiger

Von den 82 gesetzlichen Krankenkassen, die der Allgemeinheit zugänglich sind, haben 16 Kassen ihren Zusatzbeitrag gesenkt. Die rund 15 Millionen Mitglieder dieser Kassen müssen 0,08 bis 0,6 Prozentpunkte weniger zahlen. Die in Baden-Württemberg und nun auch in Thüringen wählbare Metzinger BKK ist erstmals seit 2016 wieder die einzige Kasse mit einem Zusatzbeitrag von null. Die günstigste bundesweit geöffnete Kasse bleibt die HKK (siehe Tabelle unten).

Bis zu 0,7 Prozentpunkte teurer

Sechs Kassen haben ihre Beiträge erhöht, und zwar um 0,1 bis 0,7 Prozentpunkte. Teuerste Kassen sind in diesem Jahr die Securvita und die Viactiv Krankenkasse mit jeweils 1,7 Prozent Zusatzbeitrag.

Die größten Kassen, die ihren Beitrag senken, sind die Techniker Krankenkasse und die IKK classic. Die TK senkt jedoch nur um 0,1 Prozentpunkte. Bei der IKK classic sind es 0,2 Prozentpunkte - das aber erst zum Mai.

Wie die Kasse wechseln?

Mitglieder von Krankenkassen, deren Beiträge gestiegen sind, oder solche, die nun zu einer günstigeren Kasse wechseln wollen, müssen Folgendes beachten: Erhöht die Krankenkasse den Beitrag, haben gesetzlich Versicherte ein Sonderkündigungsrecht, das die übliche 18-monatige Bindungsfrist aushebelt. Spätestens einen Monat, bevor der Zusatzbeitrag zum ersten Mal erhoben wird, muss die Versicherung alle Mit- glieder anschreiben und sie auf das Son- derkündigungsrecht und eine Übersicht des GKV-Spitzenverbands hinweisen (www.gkv-zusatzbeitraege.de). Wenn der jeweilige Zusatzbeitrag der Kasse den durchschnittlichen Beitrag von derzeit 1,1 Prozent überschreitet, muss sie auch auf die Möglichkeit des Wechsels zu einer günstigeren Kasse hinweisen. Die Kündigung wird dann Ende des übernächsten Monats wirksam. Auch ohne Beitragserhöhung können GKV- Mitglieder in der Regel nach 18 Monaten Mitgliedschaft mit einer Kündigungsfrist von zwei Monaten ohne Probleme wechseln - Gesundheitsprüfungen wie bei den privaten Kassen gibt es nicht.

Warum die Beiträge bald steigen

Wolfgang Greiner hält diese Entwicklung, dass Krankenkassen die Beiträge eher senken als anheben, für eine ­Momentaufnahme. "Mittelfristig werden sich die durchschnittlichen Zusatzbeiträge erhöhen", erklärt der Gesundheitsökonom der Uni Bielefeld. Um zu ­illustrieren, wie schnell sich das Blatt wenden kann, verweist er auf die gute Lage der Allgemeinen Ortskranken­kassen (AOK). Die meisten verlangen momentan nicht nur recht niedrige ­Zusatzbeiträge, sie haben auch hohe Finanzreserven. "Diese Kassen haben derzeit sehr geringe Anstiege der Leistungsausgaben, weil zunehmend auch jüngere, gesunde Menschen Neumitglieder bei der AOK werden. Das war früher nicht der Fall", so Greiner. Die übrigen Kassen, die Überschüsse haben, werden diese sparen, um steigenden Beiträgen in der Zukunft entgegenzuwirken.

Doch so gut die einzelnen Kassen auch vorsorgen, Greiner und seine Kollegen gehen davon aus, dass die Beiträge in den kommenden Jahren wieder steigen können. Und das auch für den Fall, dass der Bund zwischenzeitlich beschließen sollte, den Zuschuss für die bei den Kassen versicherten Hartz-IV- Empfänger zu erhöhen. Denn die Beiträge werden nicht nur von der allgemeinen wirtschaftlichen Lage - hohe Löhne und viele Beitragszahler sorgen für Geld in den Kassen der Kassen -, sondern auch vom medizinischen Fortschritt beeinflusst.

Neue und in der Regel teurere Behandlungsmethoden sorgen dafür, dass die Ausgaben womöglich stärker steigen als die Einnahmen. Darüber hinaus wirken sich auch die niedrigen Zinsen auf die Finanzlage der Kassen aus: Die Überschüsse der Einrichtungen dürfen nicht am Kapitalmarkt investiert werden, sondern liegen auf Bankkonten, auf die mitunter Negativzinsen anfallen. Dazu kommt die laufende politische Diskussion über Alternativen zu unserem zweigeteilten Gesundheitssystem.

Die SPD hat die Bürgerversicherung, die allen Bürger eine Einheitsversicherung nach Art der gesetzlichen Krankenkassen bringen würde, nach wie vor ganz oben auf ihrer Wunschliste im ­Koalitionspoker. Scheinbar rechnen schon heute einige Privatversicherte mit dem Systemwechsel. Denn im vergangenen Dezember wechselten seit Langem erstmals wieder mehr Menschen von der Privaten in die Gesetzliche als umgekehrt.

Beiträge im Überblick:Bis auf eine verlangen alle Krankenkassen einen Zusatzbeitrag (pdf)

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