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Boss-hafter Streit: 15 Arbeitsrechts-Urteile und ihre Folgen

23.07.16 03:00 Uhr

Boss-hafter Streit: 15 Arbeitsrechts-Urteile und ihre Folgen | finanzen.net

Immer für den Chef erreichbar sein? Nicht nur beim Thema Urlaub drohen Auseinandersetzungen zwischen Unternehmen und Mitarbeitern. Die aktuellen Gerichts-Entscheidungen.

von Stefan Rullkötter, Euro am Sonntag

Die gute Konjunktur sorgt in Deutschland weiterhin für Rekordbeschäftigung. 2015 waren 43 Millionen Bürger hierzulande erwerbstätig - so viele wie nie seit der Wiedervereinigung 1990.



Auch wenn sich die Aufwärtsdynamik der deutschen Wirtschaft nach dem starken ersten Quartal etwas abgeschwächt hat - der seit mehr als zehn Jahren bestehende Aufwärtstrend bei der Anzahl der Jobs setzt sich 2016 fort.

Mit der zunehmenden Zahl der Beschäftigungsverhältnisse steigt aber auch das Konfliktpotenzial zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten. Falsche Vorstellungen über Abmahnungs- und Kündigungsgründe sowie Abfindungs- und Urlaubsansprüche sind bei dieser Rechtsmaterie weit verbreitet.


Ein häufiger Streitpunkt: Arbeitnehmer müssen während ihres Sommerurlaubs nicht für den Chef erreichbar sein - auch wenn das in vielen Betrieben mittlerweile Usus ist. Denn mit dem im Bundesurlaubsgesetz festgeschriebenen Erholungszweck sind "Ferien im Stand-by-Modus" per se nicht vereinbar.

Urteile Zugunsten der Arbeitgeber:

Arbeitsschutz

Spielbank-Beschäftigte haben keinen Anspruch auf rauchfreie Arbeitsplätze. Bei Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr habe der Arbeitgeber nur insoweit Schutzmaßnahmen zu treffen, als die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung dies zulassen. Einem Croupier sei es etwa zuzumuten, zeitweise auch in Raucherräumen zu ­arbeiten, die eine Spielbank Gästen zur Verfügung stellt, ­urteilte das Bundesarbeits­gericht (Az. 9 AZR 347/15).

Mindestlohn

Arbeitgeber dürfen nach einem neuen Urteil des Bundesarbeits­gerichts Urlaubs- und Weihnachtsgeld berücksichtigen, um die Lohnuntergrenze von aktuell 8,50 Euro zu erreichen. Voraussetzung ist aber, dass diese Sonderzahlungen laut Arbeitsvertrag vorbehaltlos und unwiderruflich gewährt werden (Az. 5 AZR 135/16).

Surfen am Arbeitsplatz

Arbeitgeber dürfen den Brow­serverlauf des Firmenrechners eines Mitarbeiters auch dann auswerten, wenn dieser dafür keine Zustimmung gegeben hat und privates Surfen in Pausen erlaubt ist, urteilte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (Az. 5 Sa 657/15).

Überstunden

Weigern sich Mitarbeiter, Überstunden zu leisten, können sie unter Umständen fristlos gefeuert werden. So blieb die Klage eines Sanitäters gegen seine fristlose Kündigung ohne Erfolg. Er hatte einen privaten Behördentermin wahrnehmen wollen und sich daher geweigert, kurz vor Dienstende einen Rettungstransport durchzuführen. In Ausnahmesituationen dürfen Arbeitgeber Über­stunden ohne arbeits- oder ­tarifvertragliche Regelung an­ordnen, so das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (Az. 5 TaBV 7/14).

Vorsorgekuren

Arbeitnehmer haben während einer ambulanten Vorsorgekur nur dann einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn die Kur keinen urlaubsmäßigen ­Zuschnitt hat und in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation durchgeführt wird. In einem aktuellen Fall lehnte das Bundesarbeitsgericht einen sogenannten Entgeltfortzahlungsanspruch einer angestellten Köchin ab, die während einer Kur auf der Nordseeinsel Langeoog im dortigen Wellnesscenter 30 Anwendungen erhalten hatte. Sie hatte erfolglos dagegen geklagt, dass der Arbeitgeber die Kurtage mit ihrem Urlaubsanspruch verrechnet hatte (Az. 5 AZR 298/15).

Urteile Zugunsten der Arbeitnehmer:

Bereitschaftsdienste

Arbeitnehmer haben auch bei Bereitschaftsdiensten grundsätzlich Anspruch auf den Mindestlohn. Das entschied das Bundesarbeitsgericht. Das Mindestlohngesetz differenziere nicht zwischen regulärer ­Arbeitszeit und Bereitschaftsstunden (Az. 5 AZR 716/15).

Bonuszahlungen

Arbeitnehmer können unter Umständen Schadenersatz verlangen, wenn sie durch Verschulden ihres Arbeitgebers keinen Bonus bekommen. Das gilt zum Beispiel, wenn Boni für das Erreichen fixer Ziele gezahlt werden, der Arbeitgeber aber kein Zielvereinbarungsgespräch führt, urteilte das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (Az. 8 Sa 201/15).

Kettenverträge

Kettenverträge für wissenschaftliche Mitarbeiter an Hochschulen mit befristeten Projekten sind unzulässig. Bei solchen Kettenbefristungen kann ein sogenannter institutioneller Rechtsmissbrauch vorliegen, entschied das Bundesarbeitsgericht. Erfolgreich geklagt hatte eine wissenschaft­liche Mitarbeiterin, die an der Uni Leipzig 22 Jahre lang mit Kettenverträgen beschäftigt war (Az. 7 AZR 259/14).

Krankheitsgründe

Arbeitnehmer und ihre Ärzte sollen nicht mehr die Diagnose der Erkrankung offenlegen müssen, befand das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Arbeitgeber müssten der Einschätzung der Krankenkassen vertrauen, dass eine Arbeitsunfähigkeit auf einer Erst­erkrankung beruhe, die den Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verpflichte (Az. 4 Sa 70/15).

Praktikumsgehalt

Praktikanten, die jahrelang für einen Hungerlohn geschuftet haben, steht eine Nachvergütung zu. Das Landesarbeits­gericht München entschied kürzlich, dass ein Arbeitgeber für eine Praktikantin, die fünf Jahre lang 43 Stunden pro ­Woche für ein Monatsgehalt von 300 Euro beschäftigt war, rund 50 000 Euro an Vergütung, Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen nachzahlen muss (Az. 3Sa 23/16).

Reinigungskosten

Bei gesetzlich vorgeschriebener Hygienekleidung in Lebensmittelbetrieben müssen Arbeitgeber auch die Kosten für die Reinigung übernehmen. Zu diesem Urteil kam das Bundesarbeitsgericht. Ein Unternehmen hat monatlich mehr als zehn Euro vom Lohn für die Reinigung der Berufskleidung einbehalten. Ein Mitarbeiter klagte dagegen und gewann (Az. 9 AZR 181/15).

Schichtarbeit

Für Mitarbeiter, die in der Nacht arbeiten, ist regelmäßig ein Lohnzuschlag von 25 Prozent und - bei einer dauerhaften Nachtarbeit - ein Zuschlag von 30 Prozent angemessen, urteilte das Bundesarbeits­gericht (Az. 10 AZR 423/14).

Teilzeiturlaub

Arbeitnehmer, die von einer vollen auf eine Teilzeitstelle wechseln, können sich auf mehr Urlaubswochen freuen. Denn sämtliche noch nicht genommene Urlaubstage aus der vollen Stelle bleiben auch nach der Reduzierung der ­Arbeitszeit komplett erhalten, entschied das Bundesarbeitsgericht (Az. 9 AZR 53/ 14).

Umziehzeiten

Das Anlegen von Schutzkleidung gehört zur Arbeitszeit, urteilte das Landesarbeitsgericht Hamburg. Ist aus Gründen des Arbeitsschutzes das Umziehen geboten, kann der Arbeitgeber seine Verpflichtung zur Vergütung der Umkleidezeiten als Arbeitszeiten nicht durch eine tarifvertragliche ­Regelung ausschließen. Im entschiedenen Fall benötigte der Arbeitnehmer täglich eine halbe Stunde, um notwendige Schutzkleidung anzulegen (Az. 8 Sa 53/14).

Urlaubsabgeltung

Stirbt ein Arbeitnehmer, können dessen Erben vom Arbeitgeber die Auszahlung bestehender Urlaubsabgeltungsansprüche einfordern. Diese Ansprüche sind vererbbar, urteilte das Bundesarbeitsgericht (Az. 9 AZR 170/14).

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