Miese Noten: Es fehlt weiterhin an der Finanzbildung
Das Thema Geld ist für junge Menschen wichtig - doch niemand lehrt sie in ausreichendem Maß den richtigen Umgang mit Finanzen.
von Hans Joachim Reinke, Gastautor von €uro am Sonntag
Vor zwei Jahren klagte die 17-jährige Naina via Twitter, dass sie zwar in mehreren Sprachen Gedichte analysieren könne, aber von Steuern, Miete oder Versicherungen keine Ahnung habe. Die Aufmerksamkeit war groß, passiert ist wenig.
Die Riesenwellen, die die 17-jährige Schülerin Anfang 2015 mit ihrem Tweet in den Medien ausgelöst hatte, sind zumindest in der Öffentlichkeit weitgehend abgeebbt. Es gibt zwar etliche Initiativen, die sich für eine bessere Finanzbildung engagieren. Häufig decken sie aber nur einen Teilbereich wie Überschuldung, Altersvorsorge oder Geldanlage ab. Einen 360-Grad-Blick auf das Thema haben nicht besonders viele Akteure. Auch gesellschaftspolitisch erreicht das Thema ebenfalls noch nicht den Stellenwert, der notwendig wäre.
Union Investment hat daher das Marktforschungsinstitut Kantar Emnid mit einer Studie beauftragt, wie Bevölkerung und Experten den Wissensstand bezüglich Geld und privater Finanzen einschätzen, welche Herausforderungen sie sehen und wer die Verantwortung für eine Verbesserung übernehmen soll. Dabei macht unsere neue Studie deutlich, dass gerade auch die Politik gefordert ist. Aber allein kann sie es natürlich nicht richten. Eltern, Lehrer und Schulen sind ebenso gefragt. Umso wichtiger ist es, immer wieder auf mehr Finanzbildung hinzuwirken.
Wissen über Finanzen wichtiger als Wissen über Gesundheit
Tatsächlich ist das Wissen über Geld und persönliche Finanzen für die Deutschen der wichtigste Bildungsbereich, noch vor Gesundheit, Politik und Ernährung. Nach Expertenmeinung wird die Bedeutung in den nächsten zehn Jahren sogar weiter zunehmen. Auseinander gehen die Einschätzungen zwischen der befragten Bevölkerung und den befragten Experten beim Thema Aktien & Fonds: Von den Experten sieht immerhin jeder zweite (53 Prozent) auch bei diesem Thema eine bessere Finanzbildung als wichtig an. Bei der befragten Bevölkerung ist es nur rund jeder Dritte (33 Prozent).
Wie es um das Wissen rund ums Geld steht, da gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Während sich die breite Bevölkerung bei der eigenen Finanzkompetenz die Schulnote 2,5 gibt, erhält sie von den Experten nur eine 3,8. Mehr als 50 Prozent der befragten Bevölkerung bewerten das eigene Wissen optimistisch mit "gut" oder "sehr gut". Nur fünf Prozent der Experten vergeben diese Note.
Die Studie zeigt, dass Experten Defizite bei der finanziellen Bildung feststellen. Das Überraschende dabei ist, dass diese den eigentlich Betroffenen im Alltag möglicherweise gar nicht auffallen. Das kann sie teuer zu stehen kommen.
Die größten Defizite verspüren die Deutschen, wenn es um Themen wie Altersvorsorge (89 Prozent), Zinsen und Schulden, Ratenzahlung und Haushaltsbudget (79 Prozent), Zinsen und Sparen (76 Prozent) oder Versicherungen (72 Prozent) geht. Je nach Altersgruppe wechseln die Schwerpunkte. Mangelndes Wissen zum Thema Geld und Finanzen zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografien vieler Menschen in unserem Land. In jeder Altersstufe rücken unterschiedliche Fragestellungen in den Mittelpunkt.
Kinder und Jugendliche sehen Probleme am ehesten bei dem Thema Schulden, Ratenzahlung und Haushaltsbudget. Im dritten Lebensjahrzehnt, wenn die meisten langsam auf eigenen Beinen stehen, tritt der Fragenkomplex Versicherungen in den Vordergrund. Die 30- bis 39-Jährigen sehen sich durch mangelndes Finanzwissen vor allem beim Thema Geldanlage mit Aktien und Fonds gelähmt. Bei den 40- bis 49-Jährigen liegt das Thema Zinsen und Sparen mit vorn, bei den 50- bis 59-Jährigen Versicherungen. Die Generation 60+ verzeichnet Wissensdefizite bei der Geldanlage mit Aktien und Fonds.
Als größte Hindernisse auf dem Weg zu einer besseren Finanzbildung sehen Experten eine zu geringe Behandlung des Themas in der Schule, mangelnde Wissensvermittlung im Elternhaus und fehlende Eigenverantwortung junger Menschen. Das Wissen über Geld ist kein positiv besetztes Lifestyle-Thema, daher benennt knapp die Hälfte der Experten "Desinteresse" als weiteres großes Hindernis. Die Zahlen legen nahe, dass es die eine ultimative Ursache für die Herausforderungen in der Finanzbildung nicht gibt. Es scheint ein Mix aus verschiedenen Faktoren zu sein.
Die Hauptverantwortung für die Vermittlung von Finanzwissen weisen Experten vor allem den Familien (73 Prozent), gefolgt von den Schulen (55 Prozent) zu. Dafür erhalten die Eltern von den Fachleuten allerdings nur eine schwache Schulnote von 3,7. Noch schlechter fallen die Noten für die Vermittlung von Finanzwissen in den Schulen (4,1) aus. Auch die Politik bekommt von den Experten eine 4,0. Besonders umstritten ist die Rolle der Schule: Nur jeder dritte Deutsche (36 Prozent) gibt an, dass ihm wichtiges, heute noch relevantes Finanzwissen in der Schule vermittelt wurde. Schule kann nur ein Teil der Lösung sein, ihre Rolle sollte dennoch deutlich gestärkt werden. 73 Prozent der Bevölkerung wünschen eine bessere Verankerung der Finanzbildung bereits in unteren Jahrgängen, 61 Prozent fordern ein eigenes Schulfach.
Überrascht hat uns das Ergebnis der Studie, dass als Lösungsansatz am häufigsten die unternehmensinterne Weiterbildung genannt wurde. Vier von fünf Befragten (83 Prozent) halten es für chancenreich, das Thema Finanzbildung über innerbetriebliche Maßnahmen zu verbessern. Drei Viertel der Befragten (74 Prozent) wünschen sich eine Stärkung der Elternkompetenzen. Auf Platz 3 folgt die Schule mit 73 Prozent.
Finanzbildung gilt bei der
jungen Generation als uncool
Traurige Realität ist, dass bei vielen Menschen die sprichwörtliche Klappe fällt, wenn es ums solide Planen der eigenen Finanzen geht. Und das ist auch kein Wunder! Wer beschäftigt sich schon gern mit einem Thema, mit dem er sich nicht so gut auskennt. Man macht das Nötigste oder das, was man dafür hält, und dann reicht es auch.
Interessanterweise gibt es bei Kindern den gegenteiligen Effekt. Kinder sind von Geld und all den Symbolen, die damit zusammenhängen, schwer fasziniert: Der erste eigene Geldschein, das erste Sparbuch, ein Sparschwein - in jungen Jahren hat Geld genau die Emotionalität und Leidenschaft, die später verloren gehen, wenn aus der Kür eine Pflicht wird und man es nicht mehr tun darf, sondern tun muss.
Es muss klar werden, dass es mich nicht belastet, sondern entlastet, wenn ich besser Bescheid weiß. Es ist kein Universitätsstudium nötig, um die wichtigsten finanziellen Angelegenheiten zu regeln. Wir dürfen das Thema nicht überakademisieren. Es geht darum, dass die Menschen ein klares Koordinatensystem haben, auf dessen Basis sie besser beurteilen können, was gut und was schlecht für sie ist.
Kurzvita
Hans Joachim Reinke,
Vorstandschef der Union Investment
Reinke steht seit 2010 als Vorstandsvorsitzender an der Spitze der Union Investment Gruppe. Bereits 2004 wurde er Mitglied
des Vorstands und verantwortet seither das Geschäft mit Privatkunden.
Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken. Mit rund 310 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen ist sie einer der größten deutschen Vermögensverwalter für private und institutionelle Anleger.
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