Wolfgang Kubicki: "Der Fiskus lagert eigenes Versagen aus"
Der FDP-Bundesvize und Anwalt über eine Zwölf Milliarden-Euro große Steuerlücke, die Gier der Banken und Fehler des Gesetzgebers.
von Michael H. Schulz, Euro am Sonntag
Egal ob prominent oder nicht: Steuerbetrüger stehen immer stärker im Fokus des Staates und seiner Fahnder. Die aktuelle Debatte, ob die bislang strafbefreiende Selbstanzeige verschärft werden solle, hält der FDP-Bundesvize Wolfgang Kubicki allerdings für ein reines Ablenkungsmanöver des Gesetzgebers. Die Regierung versuche damit nur, von einem selbst verursachten Steuerskandal abzulenken.
Hintergrund: Die rot-grüne Bundesregierung hatte 2002 eine Gesetzeslücke geschaffen, die erst zehn Jahre später geschlossen wurde. Die Folge: Banken und Großinvestoren sackten in dieser Zeit insgesamt zwölf Milliarden Euro ein, indem sie sich einmal gezahlte Kapitalertragsteuern für Aktiengeschäfte rund um den Dividendenstichtag mehrfach vom Fiskus erstatten ließen. Nun ermittelt die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung gegen den Anwalt Hanno Berger, der für den Großinvestor Rafael Roth den Trick ausgeheckt und so 124 Millionen Euro erwirtschaftet haben soll.
Kubicki ist Bergers Anwalt. Er sagt: Die Schuld liege beim Schusselstaat und den Banken.
€uro am Sonntag: Herr Kubicki, worum ging es bei den jetzt angegriffenen Aktiengeschäften denn eigentlich genau?
Wolfgang Kubicki: Bei besagten Cum-Ex-Geschäften in sogenannten Leerverkaufsfällen gab es bis 2012 eine Gesetzeslücke: Wird die Aktie verkauft, gibt es neben dem Leer-Erwerber noch einen tatsächlichen, zivilrechtlichen Eigentümer. Legt man die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zugrunde, gab es am Dividendenstichtag nun zwei Personen, denen die Dividende einschließlich Anrechnungsguthaben zuzuordnen war: den Leer-Erwerber und den zivilrechtlichen Eigentümer.
Und die Kapitalertragsteuer ließen sich dann beide anrechnen?
Kurz gesagt: Der Fiskus kassierte einmal Kapitalertragsteuer, zahlte dann aber doppelt so viel zurück, wie er eingenommen hatte.
Schön blöd, aber warum sind daran die Banken schuld?
Jedenfalls haben die Banken für die gleichen Aktien bei diesen sogenannten Cum-Ex-Geschäften zwei Bescheinigungen über die Zahlung der Kapitalertragsteuer ausgestellt, die zu einem Erstattungsanspruch beim Investor führen.
Als Oppositionschef im Kieler Landtag forderten Sie, dass die mit Staatsgeldern gestützte HSH Nordbank dem Steuerzahler den Schaden aus solchen Geschäften ersetzen soll. Hatten Sie Erfolg?
Ich habe nur erklärt, dass eine Bank im Staatseigentum solche Geschäfte im Eigenhandel nicht tätigen darf, auch wenn sie legal waren. Dazu kommt, dass die HSH Nordbank noch mit Steuergeldern am Leben gehalten werden musste.
Sind Sie also ein Bankenschreck?
Nein. Aber ich hoffe, dass ich die Banken dazu veranlassen kann, die Wirtschaft wieder mit Krediten zu versorgen und nicht im Casino Royale zu spielen.
Sie sprechen Lücken im Recht und in der Rechtsprechung an, die sich clevere Banker und Juristen zunutze gemacht haben. Aber warum haben Sie Strafanzeigen gegen hessische Finanzbeamte gestellt?
Der Kollege Norbert Gatzweiler hat im Auftrag unseres Mandanten Strafanzeige wegen Verfolgung Unschuldiger erstattet. Schließlich wurde die Gesetzeslücke, die eine Doppelanrechnung ermöglichte, erst 2012 geschlossen. Ich frage mich also: Gegen welches Recht hat unser Mandant verstoßen? Die Lücke war bekannt und hätte schon 2002 geschlossen werden können.
Der Staat lässt sich zehn Jahre lang Steuern durch die Lappen gehen und macht dann mobil gegen die Steuertrickser. Wie passt das zusammen?
Steuergestaltung und -optimierung sind nicht strafbar. Möglicherweise soll von Fehlverhalten oder gar Versagen abgelenkt werden, indem man nun besonders kämpferisch gegenüber Investoren, Banken oder Beratern auftritt.
Es ist von einem Sonderermittler die Rede. Was genau bedeutet das?
Dies ist ein beauftragter Staatsanwalt, der den Sachverhalt erneut ermittelt, prüft und nicht an die Rechtsmeinung der bisher damit befassten Stellen gebunden ist und keinen Weisungen unterliegt.
Im Computerhandel werden Aktienverkäufe und Käufe in Millisekunden getätigt. Ist Banken überhaupt klar, wem die geliehenen Papiere am Tag der Dividendenzahlung gehören?
Ja, die Zuordnung erfolgt, jedenfalls bei deutschen Aktien und der Beteiligung deutscher Depotbanken, durch Eintrag bei der Abwicklungs- und Verwahrstelle Clearstream.
Die Banken haben längst zig Anwälte angeheuert, um sie aus der Schusslinie zu holen. Das halten viele Bürger für skandalös.
Dass Banken Anwälte beschäftigen, ist doch in Ordnung. Und die Wiedergabe der Rechtslage gehört zum Handwerkszeug. Der eigentliche Skandal ist, dass der Fiskus eigenes Versagen auslagern will.
Abseits von Ihrem Verfahren beschäftigt sich auch der Bundesfinanzhof mit Cum-Ex-Geschäften.
Sollten die obersten Steuerrichter schließlich entscheiden, dass die Doppelbescheinigung der Kapitalertragsteuer auf Basis geltenden Rechts erfolgte, sieht der Fiskus keinen Cent wieder.
Da passt es doch, dass die Große Koalition die Voraussetzungen für die strafbefreiende Selbstanzeige verschärfen will, um sich an den Steuersündern schadlos zu halten?
Seit fast 100 Jahren hat sich die Selbstanzeige bewährt. Sie hilft Steuersündern, wieder ehrlich zu werden. In vielen Fällen ist Steuerhinterziehung ein Dauerdelikt, und auch Korrekturen von Erklärungen würden problematischer.
Viele glauben nach der Selbstanzeige von Uli Hoeneß, Steuersünder würden zu gut wegkommen.
Die Hürden für eine strafbefreiende Selbstanzeige sind schon heute sehr hoch. Wer im großen Ausmaß Steuern hinterzieht, muss auch derzeit mit einer Verjährungszeit von zehn Jahren rechnen, obendrein werden Strafzinsen fällig und er muss selbstverständlich alle Steuern nachzahlen.
zur Person:
Der Klare aus dem Norden
Wolfgang Kubicki redet gerne Klartext. Und er rückt gern Dinge zurecht, die in der öffentlichen Erregtheit durcheinandergeraten. So erklärte er 2012 in der Talkrunde von Günther Jauch, dass auch er ein Konto in Liechtenstein besitze - was eben völlig in Ordnung ist, wenn man die Zinsen hierzulande versteuert. Bekannt wurde der gebürtige Braunschweiger als Fraktionschef der FDP im schleswig-holsteinischen Landtag. Bundespolitisch tat er sich unter anderem als scharfer Kritiker des ehemaligen Parteichefs Guido Westerwelle hervor. Neben seiner Karriere als Politiker war der heute 61-jährige Jurist und Volkswirt als Strafverteidiger in einigen brisanten Fällen involviert: Er vertrat 2008 den Ex-Personalmanager Klaus-Joachim Gebauer in der VW-Korruptionsaffäre. Im Prozess wegen des Verdachts der Untreue verteidigte er den Dirigenten Justus Frantz. Kubicki ist zum dritten Mal verheiratet und Vater zweier Töchter.