Euro am Sonntag-Interview

Reinhold Messner: "Ich will kein Geld bunkern"

aktualisiert 12.01.13 21:17 Uhr

Der Abenteurer, Museumsleiter und ehemalige EU-Parlamentarier, Reinhold Messner, über brüchige Nationalstaaten, Fehler in der Europapolitik und Bergbauernhöfe als Altersvorsorge.

von Tobias Aigner, Euro am Sonntag

Wo Reinhold Messner ist, ist oben. Das war früher so, als er auf die höchsten Gipfel der Welt kletterte. Und das ist heute so, wenn er auf Schloss Sigmundskron lädt. Die Burg thront würdevoll auf einem Felsen über Bozen und ist Herzstück der fünf Bergmuseen, die Messner leitet. €uro am Sonntag hat ihn dort getroffen — zum Gespräch über sein Leben als Selbstversorger und die Eurokrise.

€uro am Sonntag: Herr Messner, Sie halten Vorträge vor hochrangigen Managern und Politikern. Oft geht es dabei um Leadership — die Psychologie des Anführers. Was erzählen Sie den Leuten da?
Reinhold Messner:
Ich erzähle Geschichten aus meinem Bereich — von berühmten Expeditionen.

Welche zum Beispiel?
Die von der Erstbesteigung des Mount Everest 1953. Edmund Hillary war damals nicht der Anführer der Expedition. Der Leader war John Hunt, ein Oberst aus dem Zweiten Weltkrieg und ein sehr guter Bergsteiger. Den Neuseeländer Hillary hat man halt mitgenommen, quasi als Wasserträger für die Engländer. Trotzdem merkte Hillary schnell, dass keiner der Engländer den Gipfel schafft. Bei einer Schlussbesprechung im Basislager, als man schon aufgeben wollte, sagte er dann: „Ich mach’s.“ Er suchte sich den Sherpa Tenzing Norgay als Partner aus, und Hunt befolgte alle Anweisungen Hillarys ohne Widerrede. So stieg Hillary auf den Everest.

Was lernen wir aus der Geschichte?
Sie erzählt etwas über unsere ursprünglichen, brachialen Verhaltensmuster, die uns noch immer leiten. Wenn es brenzlig wird, wird automatisch der Stärkste zum Anführer. Die anderen akzeptieren ihn vorbehaltlos, weil sie spüren: Der rettet uns den Erfolg.

So gesehen haben wir in der Eurokrise schwache Anführer. Ob Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Italiens Ministerpräsident Mario Monti: Vorbehaltlos akzeptiert wird keiner.
Sie können das nicht eins zu eins auf die Gesellschaft übertragen. Aber das Vertrauen, das die Bürger einem Politiker schenken, ist schon ein sehr gutes Maß für sein Können. Merkel hat in der Krise viel Vertrauen ausgestrahlt. Ihre Umfragewerte sind gut. Ihr Weg zwischen Haushaltsdisziplin und Eurobekenntnis zeigt den Menschen, dass es eine Zukunft gibt.

Und Mario Monti?
Mit ihm bin ich nicht zufrieden. Er und der EZB-Chef Mario Draghi, das ist eine italienische Seilschaft. Sie führen Europa auf den Weg der Geldentwertung. Die Bürger müssen es zuletzt ausbaden.

Sie sind fünf Jahre im EU-Parlament. Haben Sie eine bessere Idee zur Eurorettung, als die Märkte mit billigem Geld zu überschwemmen?
Wir brauchen endlich die politische Einheit Europas. Die Staaten sind heute weiter voneinander entfernt als vor 20 Jahren. Die Politiker haben es nicht geschafft, aus 500 Millionen Menschen verschiedener Nationa­litäten Europäer zu machen.

Sind die Menschen denn bereit dazu? Die Mentalitäten von Italienern, Deutschen oder Franzosen sind sehr unterschiedlich.
Viel wichtiger als die Unterschiede ist unsere gemeinsame, mehr als 2.000 Jahre alte Kultur, die jüdisch-christlichen und römisch-griechischen Wurzeln. Und dass wir den Kontinent nach dem Zweiten Weltkrieg befriedet haben. Das ist großartig. Wir sind nur noch zu egoistisch, nationalistisch, kleinkrämerisch, weil die Politik nach der Hopplahopp-Geburt des Euro die Einheit nicht vorangetrieben hat.

Die autonome Region Südtriol, in der Sie leben, würde sich am liebsten von Italien abspalten. Und da denken Sie, ganz Europa würde als Einheit funktionieren?
Die Nationalstaaten Europas sind Fehlgeburten, völlig verkorkst. Italien ist das beste Beispiel. Nur wenn die europäische Einheit nicht kommt, spaltet sich Südtirol von Italien ab. Wir Südtiroler setzen doch unser schuldenfreies Land nicht aufs Spiel, nur weil die Sizilianer mehr Geld verschleudern, als wir je erwirtschaften können. Das reißt Italien auseinander. Deshalb muss man, um die EU zu vollenden, die Nationalstaaten vereinen, bevor sie in Stücke fallen.

Deutschland bricht aber nicht in ­Stücke, Frankreich auch nicht.
Die Tendenz ist dieselbe. Bayern will gegen den Länderfinanzausgleich klagen und die Schuldenmacher unter den Bundesländern nicht mehr finanzieren.

Wie sieht Ihr Europa am Ende aus?
Es ist ein Europa der Regionen, die den Bundesländern Deutschlands, den Provinzen Spaniens, den Regionen Italiens entsprechen. Die Nationalstaaten könnte man am Ende auflösen. Das wäre historisch logisch.

Ein Problem bleibt: Die Demokratien leben über ihre Verhältnisse.
Richtig. Das bekommen wir nur in den Griff, wenn wir umdenken.

Wie?
Wir müssen einen Wert schaffen, den alle Europäer verinnerlichen, einen buddhistischen Wert: den freiwilligen Verzicht.

Im Ernst? Sie wollen Europa mit buddhistischen Weisheiten heilen?
Ich bin kein Buddhist. Buddha sagt nur: Unser Problem ist die Gier. Sie ist ein Rad, das sich immer schneller dreht. Das stimmt leider.

Aber was hilft uns das?
Man muss den Leuten einfach klarmachen, dass das Leben genauso spannend und großartig sein kann, wenn man auf vieles verzichtet. Damit könnten wir die Krise teilweise überwinden. Einige junge Leute greifen diese Idee auf, sie werden die Welt umgestalten. Der Konsum als Gott — das ist vorbei.

Konsum stützt aber die Wirtschaft.
So denken Ökonomen. In Wahrheit bringt uns der Verzicht viel weiter. Heute sagt man nur „Effizienz“ dazu. Um erfolgreich zu sein, schränken Firmen ihren Energieverbrauch ein. Was ist das anderes als Verzicht? Er war auch der Schlüssel zu meinem Erfolg. Ich habe die Ausrüstung minimiert, sonst hätte ich nie meine Acht­tausender-Expeditionen finanzieren können. In den 70er-Jahren kostete das eine halbe Million Euro, ich drückte die Kosten auf 10.000 Euro. So übernahm ich die Führung im Höhenbergsteigen, weil ich mehr Ex­peditionen durchführen konnte. Mein Trick: der Verzichtsalpinismus.

Hatten Sie nie Angst, als Berg­steiger finanziell abzustürzen?
Nein. Mein Grundsatz lautet: Wenn jemand seine Ideen mit Begeisterung umsetzt, dann finanziert das auch sein Leben. Ich habe sehr gut von den Abfallprodukten meiner Expeditionen gelebt: Vorträge halten, Bücher schreiben. Davon lebe ich immer noch.

Ganz ohne Altersvorsorge?
Ich habe die sicherste Altersvorsorge, die es gibt: drei Bergbauernhöfe. Die Pächter produzieren alles, was man zum Leben braucht: Gemüse, Obst, Fleisch, Brot, Holz, Wein und so weiter. Und ich erhalte die Pacht in Naturalien. Klar, wenn es einen Bürgerkrieg gibt und jemand mit einem Maschinengewehr meine Schweine holt, bin auch ich geliefert. Aber wenn der Euro von heute auf morgen nichts mehr wert ist, ziehe ich mich mit meiner Familie auf meine Höfe zurück. Wir könnten zu vierzigst dort leben. Einer kümmert sich um die Kühe, einer hütet die Gänse, einer holt das Holz aus dem Wald ...

Sehr vorausschauend. Heute investieren viele Reiche in Ackerland.
Das habe ich nie getan. Ich will kein Geld bunkern. Ich investiere nur in Ideen. Nach der Lehman-Pleite habe ich vor 1.000 Bankern einen Vortrag gehalten. Ich sagte: „Meine Damen und Herren, an Sie und Ihre Papiere habe ich nie geglaubt. Wenn alles zusammenkracht, ziehe ich auf meinen Hof.“

Und? Hat man Sie ausgepfiffen?
Nein, es gab Standing Ovations.

zur Person:

Reinhold Messner
Das Multitalent

Berühmt wurde Reinhold Messner als Extrembergsteiger. Er stand als erster Mensch auf allen 14 Achttausendern, durchquerte Wüsten und Polarregionen. Aber der Südtiroler hat auch mehr als 40 Bücher geschrieben und saß von 1999 bis 2004 im Europaparlament. Heute leitet der 68-Jährige fünf Bergmuseen in Norditalien, ist verheiratet und hat vier Kinder.