Euro am Sonntag-Interview

Geld-Professor Neumann: „Die EZB geht einen gefährlichen Weg“

04.03.13 03:00 Uhr

Manfred Neumann, Deutschlands führender Geldtheoretiker kritisiert die Politik der Europäischen Zentralbank und rechnet mit steigenden Inflationsraten. Von Gold als Anlage hält er trotzdem nichts.

von Tobias Aigner, Euro am Sonntag

Manfred Neumann und Jens Weidmann verstehen sich. Als Bundesbankchef lässt Weidmann kaum eine Gelegenheit aus, die Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) zu kritisieren. Unterstützt wird Weidmann von Manfred Neumann, seinem Doktorvater und einer prägenden Figur in dessen Laufbahn. Er gilt als Deutschlands führender Geldtheoretiker. Die beiden treffen sich heute noch. Es darf getrost vermutet werden, dass sie dabei den Kurs des EZB-Chefs Mario Draghi auseinandernehmen. Auch wenn Neumann zu diesen Treffen beharrlich schweigt. Ansonsten gibt er sich jedoch sehr auskunftsfreudig. €uro am Sonntag hat mit dem Professor für Wirtschaftspolitik gesprochen — über die Folgen der Italien-Wahl, Draghis Notfallprogramm und die Gefahr einer großen Inflation.

€uro am Sonntag: Herr Neumann, Italien hat gewählt und steht vor einem politischen Patt. Droht die Eurokrise jetzt erneut zu ­eskalieren?
Manfred Neumann:
Es gibt nur eine Hoffnung für Italien und die ­Eurozone: dass die beiden großen politischen Lager um Pier Luigi Bersani und Silvio Berlusconi auf zumindest zwei Jahre zusammenarbeiten. Andernfalls befürchte ich das Schlimmste. Dann kommen alle Reformbemühungen zum Erliegen.
Die Vorgängerregierung um Mario Monti hat es geschafft, das Haushaltsdefizit auf unter drei Prozent zu drücken und den Schuldenstand zu stabilisieren. Sie hat Arbeitsmarktreformen eingeleitet, aber nicht in Gesetzesform durchgesetzt. Nur eine große Allianz kann das Land auf Kurs halten — und eine erneute Eskalation der Krise verhindern.

Zur Not steht aber noch die Europäische Zentralbank (EZB) bereit. Sie kann mal wieder Staatsanleihen kaufen.
Nein. Die EZB hat vergangenes Jahr klargemacht, dass sie nur Anleihen von Staaten kauft, die unter den Rettungsschirm schlüpfen und Reformauflagen akzeptieren. Wenn sich ­Italien dagegen sträubt, kann die EZB nicht eingreifen. Und wenn EZB-­Präsident Mario Draghi dieses Kriterium aufweicht, um seinem Heimatland zu helfen, verliert er sein Gesicht.

Sie denken wirklich, die EZB würde tatenlos zusehen, wenn es in der Eurozone wieder brennt?
Das nicht. Es gibt immer noch ein Hintertürchen. Die EZB kann die ­italienischen Banken erneut über sogenannte Tendergeschäfte mit viel ­Liquidität ausstatten. Die Banken können damit dann italienische Staatsanleihen kaufen.

Diese Lösung würde zu Draghi passen. Er gilt als geschickter Stratege, seit er im Sommer angekündigt hat, notfalls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Die Finanzmärkte hat er damit beruhigt. Ein kluger Schachzug, oder?
Die EZB macht keine Geldpolitik mehr, sie finanziert Staaten. Kurzfristig sorgt das für etwas Entspannung. Aber die Schuldenkrise ist damit nicht gelöst. Sie ist nicht mal auf einem guten Weg dahin.

In der Geschichte gab es genügend Beispiele dafür, dass die Staats­finanzierung mithilfe der Notenpresse ein gefährliches Spiel ist. Schon im absolutistischen Frankreich oder in der Weimarer Republik haben die Regierungen damit den Geldwert ruiniert. Sind diese historischen Fälle mit der heutigen Situation vergleichbar?
Durchaus. Das ging schon im Mittelalter los. Da wurde der Feingehalt der Silbermünzen über die Jahre enorm verschlechtert, das Silber durch minderwertiges Kupfer ersetzt, damit man mehr Münzen prägen konnte. In der Sache ist zur heutigen Geldschöpfung kein Unterschied. Es wird einfach mehr Geld in Umlauf gebracht. Und der Bürger kann sich nicht dagegen wehren. Der Unterschied ist nur, dass die Kaiser und Könige des Mittelalters versucht haben, die Münzverschlechterungen zu verheimlichen. Heute ist dagegen öffentlich bekannt, dass die Zentralbanken Geld in großem Stil drucken.

In Deutschland ist der bekannteste Fall einer Geldschwemme die ­Hyperinflation von 1923. Wo liegen hier die Parallelen zu heute?
Da fällt erst mal ein Unterschied auf. Der Reichsbankpräsident Havenstein wollte damals ganz klar die Reichsregierung unterstützen, indem er Geld zur Finanzierung der Staatsausgaben drucke. Die Steuereinnahmen deckten nur 45 Prozent des Reichshaushalts. Das heißt, die restlichen 55 Prozent wurden mit der Notenpresse finanziert. Eine Parallele zu heute ergibt sich dann, wenn die EZB die Geldschwemme nicht mehr unter Kontrolle hält.

Bisher scheint das kein Problem zu sein. Die Geldschwemme kommt überhaupt nicht in der Wirtschaft an.
Für den Moment stimmt das. Die EZB hat eine Menge Geld geschaffen. Aber das Geld liegt auf den Konten, das die Geschäftsbanken bei der Zentralbank haben. Es gelangt nicht in Umlauf, weil die Banken sich nicht trauen, neue Kredite zu vergeben. Sobald jedoch die Konjunktur anspringt, kommt ein inflationärer Schwung in die Wirtschaft. Dann ­lösen die Banken ihre Geldreserven bei der EZB auf. Man kann sich das so vorstellen, als ob eine große Wolke aus Geld über uns hängt. Wenn sie angestochen wird, regnet sie ab, die Inflation ist da.

Aber die EZB sagt, sie hat alles im Griff. Bevor es zu regnen beginnt, saugt sie das Geld aus der Wolke einfach wieder ab.
Natürlich sagt die EZB das. Sie behauptet, sie würde den Banken einen hohen Zinssatz auf Termineinlagen bei der EZB bieten, sodass das Geld auf ihren Konten bleibt. Aber ob das klappt, ist völlig offen. Wahrscheinlich muss sie den Zins markant heraufsetzen — als Anreiz. Aber dann geht das Hauen und Stechen los. Die Regierungen werden sich beschweren, weil ihre Zinsausgaben steigen und weil die Konjunktur abgewürgt werden könnte.

Das heißt, die EZB ist nicht mehr unabhängig von der Politik?
Die EZB hat durch die Staatsanleihekäufe de facto ihre Unabhängigkeit aufgegeben. Das ist ein extrem gefährlicher Weg. Herr Draghi hat die Käufe ja nicht mal zeitlich beschränkt. Das bedeutet, dass die EZB auch in fünf oder zehn Jahren sagen kann: So, jetzt müssen wir wieder ordentlich Staatsanleihen kaufen. Die Hemmschwelle sinkt immer weiter, je länger sie das macht. Damit der Geldwert stabil bleibt, braucht es das Vertrauen der Bevölkerung. Und dieses Vertrauen kann heute nur durch eine unabhängige Notenbank gesichert werden.

Trotzdem scheint die Mehrheit der internationalen Ökonomen mit der lockeren Geldpolitik ganz zufrieden zu sein.
Das liegt nur daran, dass andere Nationen in den vergangenen 100 Jahren nicht so verheerende Erfahrungen mit hoher Inflation gemacht ­haben wie wir. Das gilt auch für die meisten Euroländer.

Diese Nationen haben in der EZB das Sagen. Steuern wir auf einen neuen Papiergeldunfall zu?
Die EZB wird keine Hyperinflation heraufbeschwören wie in den 20er-Jahren. Wenn ich das denken würde, wäre ich schon ausgewandert. Aber sie wird den Zins niedrig lassen, zu niedrig. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Preise mittelfristig stärker steigen, ist deshalb größer als 50 Prozent. Ich rechne mit Inflationsraten von vier bis fünf Prozent.

Solche Raten klingen nicht besonders dramatisch.
Vier bis fünf Prozent sind eine ganze Menge. Sie müssen bedenken, dass uns diese Inflation dauerhaft erhalten bleiben wird. Da haben Sie in zehn bis 15 Jahren die Hälfte Ihres Geldvermögens verloren.

Dann müsste die EZB auch ihr ­Inflationsziel von zwei Prozent kassieren?
Das kann sie ja tun. Es werden sich Fachleute finden, die behaupten, dass vier Prozent Inflation doch besser seien als zwei. Der Chefvolkswirt des Internationalen Währungsfonds, Olivier Blanchard, hat das ja schon vor zwei Jahren gesagt. Die Änderung des Ziels ist am Ende eine reine Formsache.

Wenn die Angst vor Inflation ­umgeht, steigt in den Augen der ­Investoren die Attraktivität von Goldinvestments. Zu Recht?
Nein. Der Zusammenhang zwischen Goldpreis, Inflation und Geldmenge ist völlig undurchsichtig. Auf die fragwürdige Formel „Gold ist gleich Inflationsschutz“ würde ich mich nie verlassen.

Auf was dann?
Ich investiere hauptsächlich in Aktien. Meine Bank hat mich deshalb schon in die oberste Risikoklasse eingestuft. Aber volkswirtschaftlich gesehen sind Aktien einfach die beste Geldanlage.

Der Geldversteher
Manfred Neumann wurde 1940 in Berlin geboren. Mit seinen 72 Jahren hat der Professor für Wirtschaftspolitik von der Universität Bonn das Rentenalter zwar längst erreicht. Doch von Ruhestand kann bei ihm noch längst keine Rede sein. Seit mehr als 20 Jahren berät er das Bundeswirtschaftsministerium. Im TV-Sender Phoenix tritt er als Experte zur Eurokrise auf. Und selbst auf der Skipiste macht der Hochschullehrer noch immer eine gute Figur. Neumann ist verheiratet und hat zwei Kinder.