Ex-BDI-Chef Henkel: "Sämtliche Versprechen wurden gebrochen"
Der ehemalige Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie und stellvertretende Sprecher der AfD äußert sich zu Europa, der Bundesregierung und persönlichen Investments.
von Regula Heinzelmann, Euro am Sonntag
Ein Geschäftshaus in Berlin Mitte - hier empfängt Hans-Olaf Henkel zum Interview und kredenzt einen Tee. Henkel ist das neue Gesicht der eurokritischen Partei AfD. Der ehemalige IBM-Manager wurde beim Parteitag in Erfurt am 23. März zum stellvertretenden Sprecher gewählt und kandidiert auf Platz 2 der AfD-Wahlliste für einen Sitz im Europäischen Parlament.
€uro am Sonntag: Wie beurteilen Sie als Neuling den Verlauf des AfD-Parteitags in Erfurt?
Hans-Olaf Henkel: Das war für mich eine neue Welt. Als ehemaliger Unternehmenschef konnte ich die Marschrichtung mit einigen Mitarbeitern mehr oder weniger allein bestimmen. In der Politik geht das nicht. Bei der AfD kommt hinzu, dass sie sich der Basisdemokratie verschrieben hat, daher verliefen die Diskussions- und Entscheidungsprozesse teilweise recht chaotisch. Aber am Schluss hatten wir Einigkeit für ein, wie ich meine, imposantes Europaprogramm. Wir plädieren für ein Europa souveräner Staaten mit einer schlankeren, aber demokratischeren EU in Brüssel. Das könnte sogar Schweizern gefallen.
Wie beurteilen Sie die Chancen der AfD bei den nächsten Wahlen?
Bei den Wahlen für das Europaparlament sind die Chancen sehr gut. Viele Wähler, die wegen der Fünfprozentklausel bei den Bundestagswahlen befürchtet haben, ihre Stimme zu verschenken, können nun mit gutem Gewissen die AfD wählen (Bei der Europawahl gilt die Fünfprozentklausel nicht, Anm. der Redaktion). Viele Deutsche wünschen sich die ruhige Hand von Frau Merkel und man kann am 25. Mai für die AfD stimmen, ohne die Position von Frau Merkel zu gefährden. In diesem Jahr finden noch drei weitere Wahlen für die Landtage in Sachsen, Brandenburg und Thüringen statt, und dort hat die AfD schon bei der Bundestagswahl über fünf Prozent erreicht.
Viele werfen der AfD vor, eine Einthemenpartei zu sein. Zu Recht?
Die AfD ist die einzige Partei, für die die Europa- und Europolitik im Zentrum stehen. In allen Ländern Europas gibt es Parteien in den Parlamenten, die gegen ein zentralistisches Europa sind und die den Euro kritisieren. Nur im Deutschen Parlament noch nicht, also wird es Zeit, dass sich auch in Deutschland eine eurokritische Partei etabliert. Der angebliche Nachteil, dass die AfD eine Einthemenpartei sei, könnte also ein großer Vorteil sein. Die Grünen sind ursprünglich auch mit einem Thema angetreten. Beim letzten Parteitag hatten sie 2.600 Änderungsanträge zu diskutieren. Da ist mir ein übersichtliches Parteiprogramm, das sich auf wichtige Themen beschränkt, lieber.
Warum sind Sie der AfD und nicht der FDP beigetreten?
Schon immer habe ich mich für Politik interessiert, war aber jahrzehntelang im Berufsleben absorbiert. Bisher gab es keine Partei, mit der ich mich ganz identifizieren konnte. Selbst die FDP, deren Programm am meisten mit meinen Überzeugungen übereinstimmte, setzte sich für Dinge ein, die ich nicht unterstütze, zum Beispiel ist der gesetzliche Zwang zur Mitgliedschaft in den Handelskammern, was auch für mittlere und kleine Unternehmen in Deutschland gilt, für mich inakzeptabel.
Kritisch sehen Sie auch die Große Koalition in Berlin. Weshalb?
In den Koalitionsgesprächen hat sich die SPD auf breiter Front durchgesetzt. Ich denke zum Beispiel an die Mindestlöhne und an das Zurückfahren der Rentenreform. Schon vor der Wahl sind CDU und CSU in Richtung SPD marschiert. Heute haben wir es nicht mit einer bürgerlichen und sozialdemokratischen Koalition zu tun, sondern eindeutig mit einer sozialdemokratischen Koalition, bei der CDU, CSU und SPD nur Subgruppen sind. Wer linker ist als die anderen, kann ich im Augenblick gar nicht sagen. Das fällt besonders auf im Vergleich zum Parteitag der CDU in Leipzig 2003, wo Frau Merkel sich für Marktwirtschaft und sonstige liberale Grundsätze eingesetzt hat. Die Bundesrepublik bewegt sich langsam aber sicher in Richtung DDR light.
Was bedeutet die Große Koalition für Sparer und Anleger?
Die Große Koalition ist nicht gut für Sparer und Anleger, was aber mit der Europolitik zusammenhängt. Wir haben es mit einem interessanten Phänomen zu tun. Zum ersten Mal seit langer Zeit liegen die Zinsen, die ein Anleger ohne großes Risiko erhalten kann, weit unter dem Niveau der Inflation. Seit Beginn der fehlgeleiteten Europolitik werden die Sparer in Deutschland systematisch enteignet und merken es gar nicht.
Gilt das für ganz Europa?
François Hollande hat gesagt, dass die Zinsen der europäischen Zentralbank für die Franzosen zu hoch seien. In der gleichen Woche hat Frau Merkel geäußert, dass die Zinsen für Deutschland zu niedrig sind. Beide haben recht. Damit ist klargestellt, dass ein Einheitszinssatz in konjunkturell und kulturell unterschiedlichen Wirtschaftsregionen keinen Sinn macht. Die logische Konsequenz aus diesen beiden Aussagen ist für mich, den Einheitszins aufzugeben. Das bedeutet aber, den Einheitseuro aufzugeben.
Vor gut einem Jahrzehnt gehörten Sie zu den Eurobefürwortern, nun sind Sie Eurogegner. Weshalb?
Als einstmals enthusiastischer Befürworter des Euro hat mich seine Entwicklung in den letzten Jahren erschüttert. Die Politiker haben sämtliche Versprechen gebrochen. Hätte man diese gehalten, wäre ich heute noch für den Euro.
Hat der Euro nicht doch noch eine Chance?
Wenn man den Euro retten wollte - was ein Selbstzweck ist -, hätte die Bundesregierung mehr oder weniger alles richtig gemacht. Nur ist es meiner Ansicht nach falsch, den Euro zu retten. Unsere Regierung hat die Bevölkerung nicht darauf aufmerksam gemacht, welche Langzeitfolgen die Eurorettung für Deutschland und die anderen Bürger und Bürgerinnen der Eurozone hat. Die Eurorettung führt in Europa zu einer gewaltigen Zentralisierung und Harmonisierung - und vor allem zu einer Vergemeinschaftung der Schulden in Europa.
Wie investieren Sie angesichts
dieser Situation Ihr Vermögen?
Ich gebe grundsätzlich keine Investitionsempfehlungen. Ich selber habe in zwei Immobilienprojekte in Hamburg und in München investiert und mir eine Immobilie in der Schweiz zugelegt. Einen großen Teil meines Barvermögens habe ich in der Kantonalbank Graubünden angelegt, auch wenn es dafür wenig Zinsen gibt. Die Schweizer Banken erscheinen mir für die Zukunft sicherer als die Banken im Euroraum. Dazu besitze ich Anlagen in Norwegen. Weiter investiere ich in deutsche Aktien, aber nur in solche, die eine relativ geringe Abhängigkeit vom Euro aufweisen.
Der Neupolitiker
Hans-Olaf Henkel war Chef der IBM Europa und langjähriger Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) sowie Präsident der Leibniz-Gemeinschaft. Seit November 2000 lehrt Henkel als Honorarprofessor am Lehrstuhl für Internationales Management der BWL-Fakultät der Universität Mannheim. Im Januar ist er der Alternative für Deutschland (AfD) beigetreten. Henkel wurde beim AfD-Parteitag in Erfurt am 23. März 2014 zum stellvertretenden Sprecher gewählt. Hans-Olaf Henkel kandidiert auf Platz 2 der AfD-Wahlliste für einen Sitz im Europäischen Parlament.