Allianz-Chefanleger Ladwein: "Wir haben den Tiefpunkt schon gesehen"
Jörg Ladwein, Chefanleger der Allianz Deutschland, sagt, weshalb Aktien besser als Anleihen sind, warum ein Grexit wahrscheinlich ist - und wie er für Lebensversicherte die Rendite aufpeppen will.
von Martin Reim, Euro am Sonntag
Man sagt der Allianz nach, dass sie sich nicht gerade in die Öffentlichkeit drängt, sondern gern im Stillen arbeitet. So gesehen personifiziert Jörg Ladwein seinen Arbeitgeber. Das letzte Interview gab er vor vier Jahren. Aus dem Konzern und aus Kollegenkreisen habe man ihn ermuntert, so etwas mal wieder zu machen, sagt der Familienvater über seine Motivation für dieses Gespräch. "Im Dienste des Unternehmens mache ich es gern." Auch in anderer Hinsicht ist Ladwein wie die Allianz: Wenn der Hobby-Rennradfahrer etwas macht, dann richtig. Und so nimmt er sich viel Zeit für das Treffen, das in der Stuttgarter Zentrale der Allianz Lebensversicherung stattfindet.
Euro am Sonntag: Herr Ladwein, Sie haben einmal in einem Fragebogen geschrieben, dass Sie Fernseh-Talkshows für Zeitverschwendung halten. Hat sich das durch die Griechenland-Krise geändert?
Jörg Ladwein: Ja, da habe ich tatsächlich in die eine oder andere reingeschaut. Interessant war, dass die Perspektive der Griechen deutlicher wurde.
Eine Mehrheit der Griechen lehnte den Rettungsplan der Euroländer ab. Glauben Sie, dass das Land die Währungszone verlässt?
Seit dem Referendum setze ich die Wahrscheinlichkeit bei 50 Prozent plus an.
Welche Folgen hätte solch ein Grexit für die Finanzmärkte? Der Euro würde vermutlich nicht geschwächt, weil ein Grexit als Zeichen gälte, dass man auf das Einhalten verbindlicher Abmachungen besteht. Was Aktien und Anleihen betrifft, wären die Folgen eher begrenzt - anders als noch zu Beginn der Schuldenkrise, als etliche Akteure noch nennenswerte Investments in griechischen Papieren hatten. Was die Kapitalanlage der Allianz angeht, wären die direkten Folgen gleich null. Wir halten schon länger keine griechischen Papiere mehr.
Was haben Sie aus der Eurokrise gelernt?
Dass man noch genauer hinschauen muss, wenn man Staatsanleihen kaufen will - auf die Finanzierung des jeweiligen Landes, seinen Haushalt, die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Generell gilt: Wir haben Vertrauen in den Euroraum, er ist unser Heimatmarkt. 90 bis 95 Prozent unserer Investments sind entweder direkt in Euro angelegt, oder wir haben sie so gegen Währungsschwankungen abgesichert, dass sie quasi auf Euro lauten. Und unsere Verbindlichkeiten stammen nahezu komplett aus der Eurozone.
Mehr als vier Fünftel Ihrer Investments stecken in verzinslichen Papieren. Deshalb wird Sie die Frage bewegen, wie es mit den Zinsen weitergeht. Ist der Anstieg der vergangenen Monate dauerhaft?
Ich persönlich glaube, dass wir den Tiefpunkt der Zinsen schon gesehen haben. Allerdings sind Kurse von Anleihen immer ein Ausdruck der Risikowahrnehmung der Marktteilnehmer. Wenn die Nachfrage nach sicheren Bundesanleihen steigt, gehen die Kurse nach oben und die Verzinsung fällt. Das kann immer wieder passieren. Zusätzlich muss man im Auge behalten, dass die Eingriffe der Notenbanken das Zinsniveau beeinflussen.
Wo würden die Zinsen stehen, gäbe es diese Eingriffe nicht?
Fundamental halten wir ein höheres Zinsniveau, als wir es derzeit sehen, für gerechtfertigt. Heute rentiert sich die zehnjährige Bundesanleihe mit etwa einem Prozent. Der Zinssatz sollte aber in etwa dem nominalen Wirtschaftswachstum entsprechen, also derzeit rund zwei Prozent.
Wann könnte das Realität werden?
Die Europäische Zentralbank will nach eigenen Angaben ihre direkten Eingriffe mindestens bis 2016 fortsetzen. Was darüber hinaus passiert, bleibt abzuwarten.
Für die Vereinigten Staaten erwarten viele, dass die Zentralbank Fed in diesem Herbst die Zinsen erhöht. Was ist Ihr Tipp?
Wir geben grundsätzlich keine Prognosen ab. Aber ich bin sicher, dass die Fed keinen festgefügten Zeitplan hat, sondern sehr flexibel vorgehen wird. Immerhin gehört zu ihrem Auftrag, dass sie das Wirtschaftswachstum im Auge hat. Und je nach der aktuellen Lage wird sie agieren.
Was halten Sie vor diesem Hintergrund von US-Aktien?
Wenn die Zinsen wegen der positiven Entwicklung der Wirtschaft steigen sollten, wäre das ein gutes Zeichen auch für die Aktienmärkte. Denn dann werden die Unternehmensgewinne weiterhin zunehmen. Die Aktien sind in den Vereinigten Staaten bereits relativ hoch bewertet, wenn man sie mit Europa vergleicht. Dennoch sind wir für amerikanische Aktien positiv und für europäische Aktien noch positiver eingestellt, denn es besteht hier Nachholbedarf bei der wirtschaftlichen Entwicklung.
Können Sie einzelne Länder oder Unternehmen nennen, die Sie
favorisieren?
Nein, denn diese konkrete Auswahl überlassen wir den Vermögensverwaltern, die unsere Investmentmandate bekommen. Wir definieren die Anlageklassen und Regionen. Dabei legen wir einen hohen Wert auf Diversifikation, damit es keine Klumpenrisiken gibt.
Was halten Sie generell von Aktien?
Wir betrachten sie derzeit ausnahmslos positiv, wenn man sie mit Anleihen vergleicht. Denn wenn die Zinswende kommt, werden deren Kurse fallen. Bei Aktien sehen wir noch Potenzial nach oben, übrigens auch in Schwellenländern. Die werden sich einen immer größeren Teil an der Weltwirtschaft herausschneiden, und da wollen wir dabei sein.
Die Ausschüttungen steigen rund um den Globus. Ist das für Sie ein Grund, dividendenstarke Aktien
zu favorisieren - nach dem Motto "Dividenden sind der neue Zins"?
Nicht in dem Sinn, dass wir deshalb mehr solcher Aktien kaufen. Denn es gibt genügend Beispiele, dass dieses Denken ins Desaster führen kann. Beispiel: deutsche Versorgerwerte, die traditionell hohe Ausschüttungen hatten. Dann kam die Energiewende, die Kurse gingen in den Keller, und die Dividenden sind jetzt auch nicht mehr so gut. Oder die Deutsche Telekom: Man hatte lange Zeit viel Freude an der Dividende, aber nicht an der Kursentwicklung.
Aber bei vielen Firmen haben die Aktien mehr Dividendenrendite, als die Anleihen Zins bringen. Greifen Sie dann nicht nach der Aktie?
Das spielt in der Tat eine gewisse Rolle bei der relativen Bewertung von Aktien versus Anleihen. Aber man muss stets im Hinterkopf behalten, dass man eine Anleihe zum Ende der Laufzeit zum Nennwert zurückbezahlt bekommt - vorausgesetzt, das Unternehmen geht nicht pleite. Aber angenommen, man muss eine Aktie verkaufen. Dann kann sie in diesem Moment weit unter Einstandskurs liegen.
Sie haben sich jetzt mehrfach skeptisch gegenüber Anleihen geäußert. Wollen Sie Ihre entsprechenden Investments abbauen?
Was Staatsanleihen betrifft, ja. Im Gegenzug weiten wir unser Engagement in besicherte Anlagen aus. Vor allem sind wir aber auf der Suche nach Anlagen außerhalb der klassischen Finanzmärkte. So hat die Hypothekenfinanzierung für Privatleute mittlerweile einen Anteil von sieben Prozent an unserem Portfolio, und wir sind hier seit einiger Zeit auch bei Gewerbetreibenden tätig. Auch der Anteil der Immobilien ist stetig gewachsen, auf jetzt vier Prozent. Und Investments in Infrastruktur gefallen uns.
Warum?
Hier fließen üblicherweise kontinuierliche, langfristige Zahlungen, was gut zu unseren langfristigen Verbindlichkeiten gegenüber den Kunden passt. Und wir haben wegen unserer Größe und unseres Know-hows einen gewissen Vorsprung - in Infrastruktur kann nicht jeder investieren.
In Deutschland läuft derzeit eine intensive Diskussion, inwieweit solche privaten Investments politisch
gewünscht sind . Kritische Stimmen sagen, die Allianz und andere Versicherer wollten sich auf Kosten der Steuerzahler eine goldene Nase
verdienen. Stimmt der Vorwurf?
Nein, wir wollen lediglich für die entsprechenden Risiken angemessen entlohnt werden.
Markus Faulhaber, der Chef von Allianz Leben, hat eine jährliche Rendite von sieben Prozent als Zielgröße genannt. Das klingt üppig.
Die konkrete Rendite hängt vom jeweiligen Projekt ab. Angenommen, wir finanzieren und betreiben eine Autobahn. Es stellt sich heraus, dass der Fahrbahnbelag schon nach fünf Jahren erneuert werden muss und nicht - wie anfangs geplant - nach zehn Jahren. Dann müssen wir die Kosten tragen und bekommen möglicherweise noch zusätzlich etwas vom Bund abgezogen, weil die Autobahn während der Bauarbeiten nur eingeschränkt benutzbar ist. Also müssen wir mehr Rendite bekommen als für ein risikoloses Investment.
Wie viel Geld würden Sie in solche
Anlagen stecken?
Angesichts dessen, wie viel wir jeden Tag anzulegen haben, können wir sehr schnell auf große Summen kommen.
Die Energiewende hat gezeigt, dass
politische Veränderungen die Infrastruktur massiv und schnell beeinflussen können - in diesem Fall die Stromtrassen. Sind solche Risiken überhaupt
kalkulierbar?
Sicherlich nicht exakt. Deshalb ist es auch hier so wichtig, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Das kann man vermeiden, indem man zum Beispiel in verschiedenen Ländern investiert. So haben wir zuletzt in Großbritannien zugekauft, etwa beim Neubau eines kompletten Garnisonsstandorts, dem Colchester Garrison Project. Dieses Investment läuft über 35 Jahre.
In Norwegen hatte sich Ihr Haus bei einer Gasleitung engagiert. Dann änderte der dortige Staat die Konditionen. Die Allianz ging vor Gericht, das Verfahren ist noch nicht entschieden. Hatten Sie so etwas auf der Rechnung?
In diesem Fall kam das sicherlich überraschend. Aber noch einmal: Wir diversifizieren genau deshalb, damit solche Ereignisse nicht zu stark auf das Anlageergebnis durchschlagen.
Von Ihrer Arbeit hängt ab, wie viel an Überschussbeteiligung die Kunden von Allianz Leben bekommen. Das wird üblicherweise am Jahresende festgelegt. Stand heute: Würde es mehr oder weniger geben als zuletzt?
Sie haben es schon erwähnt: Dies legt der Vorstand gemeinsam mit dem verantwortlichen Aktuar zum Jahresende fest. Sehen Sie mir deshalb bitte nach, dass ich mich nicht dazu äußern kann.
In den vergangenen Jahren hat die Allianz den Kunden per saldo immer weniger zugewiesen. An diesem Donnerstag startete eine neue Versicherungspolice namens "Komfort Dynamik", die
wiederum von Ihrem Anlageerfolg abhängt. Warum sollte jemand die abschließen?
Dass die Überschussbeteiligungen sinken, ist der Zinsentwicklung in den letzten Jahren geschuldet. Wir müssen nun mal im Wesentlichen in Anleihen investieren, um bei klassischen Kapitallebens- und privaten Rentenversicherungen eine jährliche Rendite zu garantieren. Und unsere Verzinsung ist sehr attraktiv, wenn man sie mit dem Wettbewerb und Alternativanlagen vergleicht. Beim neuen Produkt kann ein Gutteil des Geldes in einen zusätzlichen Topf fließen, die sogenannte Dynamikkomponente - mit Anlagen, die auf lange Sicht deutlich rentierlicher sind als beispielsweise Bundesanleihen, namentlich Aktien.
Wie hoch soll der Aktienanteil in
diesem neuen Topf sein?
Bei einem Vertrag, der für eine Laufzeit von 30 Jahren abgeschlossen ist, erreichen wir zu Beginn in der Gesamtanlage einen Anteil von rund 30 Prozent.
Natürlich sind damit auch die Risiken höher als bei klassischen Policen. Wir haben aber den Beitragserhalt zum Ende der Laufzeit und eine Mindestrente garantiert. Außerdem werden eventuelle Zugewinne ab einem bestimmten Niveau anteilig festgeschrieben.
Haben Sie sich zusätzliche Expertise eingekauft? Immerhin ist es ein Unterschied, ob man mit zehn oder mit 30 Prozent Aktien umgeht.
Einspruch! Die Restriktionen sind geringer, aber das Prinzip ist dasselbe: mit verschiedenen Anlageklassen und Regionen umzugehen. Deshalb arbeiten wir mit demselben Personal wie bislang.
Dennoch wirkt die Konstruktion so, als ob die Anleihespezialisten der Allianz endlich mal zocken dürfen.
Wir zocken nicht, sondern engagieren uns langfristig. Bei Aktienengagements sollte man einen langfristigen Anlagehorizont von mindestens zehn Jahren haben. Man muss sie allerdings immer wieder unter die Lupe nehmen und überprüfen, ob man sie im gleichen Umfang noch beibehalten will.
Werden Sie sich selbst solch eine Versicherung zulegen?
Ich müsste es, weil ich vom Konzept überzeugt bin. Aber ich besitze bereits fünf Lebensversicherungen. Somit habe ich mehr als eine sichere Basis für meine Altersvorsorge. Und das Grundprinzip der dynamischen Komponente der neuen Police kann ich als Anlageexperte von Berufs wegen selbst weitgehend nachbilden.
zur Person:
Herr der großen Zahlen
Jörg Ladwein verantwortet Investments in Höhe von etwa 350 Milliarden Euro. Das entspricht dem Volkseinkommen von Österreich. Und jeden Tag wollen 150 Millionen Euro neu angelegt sein. Mit solch großen Zahlen hantiert der gebürtige Saarländer, weil er Anlagechef des Allianz-Konzerns für die deutschsprachigen Länder ist. Allein 230 Milliarden Euro entfallen auf die Allianz Lebensversicherung mit ihren mehr als zehn Millionen Verträgen. Der 48-Jährige macht diesen Job seit 2013. Abgesehen von seiner Lehre bei der Sparkasse Saarbrücken hat der Diplom-Kaufmann sein Berufsleben bei der Allianz verbracht - unter anderem in Hongkong, Singapur und Australien.
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Bildquellen: Thomas Bernhardt für €uro am Sonntag