Euro am Sonntag erklärt

Immobiliendarlehen: Jetzt den Joker ziehen!

15.05.16 20:42 Uhr

Immobiliendarlehen: Jetzt den Joker ziehen! | finanzen.net

Falscher Widerruf: Betroffene haben nur noch bis zum 21. Juni Zeit, ihre Immobilienkredite auf mögliche Fehler prüfen zu lassen. Es geht pro Vertrag um Tausende Euro.

von Simone Gröneweg, Euro am Sonntag

Die Frist läuft. Verbraucherschützer und Anwälte rütteln Immobilieneigner wach. Wer bei seinem Immobilienkredit eine falsche Widerrufsbelehrung entdeckt, hat unter Umständen nur noch bis zum 21. Juni 2016 Zeit, um seinen ­Vertrag zu widerrufen.

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"Die meisten Immobilien­kreditverträge, die zwischen 2002 und 2010 geschlossen wurden, enthielten Fehler in den Widerrufsbelehrungen", erklärt Andreas Behn, Referent für Finanzen und Versicherungen der Verbraucherzentrale Thüringen. Nach Angaben des Eigen­tümerverbands Haus & Grund wurden 2002 bis 2010 mehr als zehn Millionen Immobiliendarlehensverträge abgeschlossen. Experten schätzen, dass bis zu 80 Prozent davon fehlerhafte Widerrufsbelehrungen enthalten. Verbraucher können die Verträge noch Jahre nach deren Abschluss widerrufen. Da die Bauzinsen stark gesunken sind, können sie leicht umschulden und viel Geld sparen.

Keine teure Entschädigung

Wer aus einem laufenden ­Immobilienkredit raus möchte, muss normalerweise eine Vorfälligkeitsentschädigung zahlen. Mit ihr lassen sich Institute für den entgangenen Gewinn bis zum Ende der Zinsbindungsfrist entschädigen. Anders stellt sich die Situation beim fehlerhaften Widerruf dar. Da die Entschädigung entfällt, sprechen Verbraucherschützer und Anwälte auch vom Widerrufsjoker. Selbst nach Umschuldung, Tilgung oder sons­tiger Abwick­lung sei der Widerruf noch möglich, meint Julius Reiter, Partner der Düsseldorfer Kanzlei Baum ­Reiter & Collegen. Der Vertrag sei rück­abzuwickeln, die Bank müsse unter Umständen die Vorfälligkeits­entschädigung erstatten und einen Zinsausgleich zahlen. Wer ein laufendes Darlehen mithilfe des Jokers kündigt, muss der Bank zwar das gewährte Darlehen zurückzahlen, bekommt aber im Gegenzug alle geleisteten Zahlungen an die Bank inklusive Zinsen zurück. Unterm Strich bleiben dem Kunden je nach Darlehenshöhe und Zinssatz mehrere Tausend bis Zehntausende Euro.

Vorlage mit Fehlern

Viele Banken haben zwischen 2002 und 2010 Belehrungen verwendet, die nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprachen. 2002 erarbeiteten Beamte des Bundesjustizministeriums auf Druck der Europäischen Kommission eine Widerrufsbelehrung für Darlehensnehmer. Mit ihr sollte all denjenigen, die ­einen Hauskredit aufnehmen, das Recht eingeräumt werden, ihre Entscheidung noch einmal 14 Tage lang zu überdenken.

Die Vorlage erwies sich jedoch als fehlerhaft und wurde mehrfach verändert. "Banken, die sich an diese Erklärung gehalten haben, genießen einen sogenannten Musterschutz", erklärt Reiter. Der Schutz greift allerdings nur, wenn die Institute das Formular optisch und inhaltlich eins zu eins übernommen haben. Oftmals haben sie jedoch versucht zu korrigieren und dabei selbst Fehler gemacht. "Und die Änderungen der Juristen waren nicht unbedingt im Sinne der Kunden gedacht", so Reiter.
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Irgendwann kamen Verbraucherschützer den Juristen auf die Schliche und stellten fest, dass vermutlich Millionen Verträge falsch sind. "Eigentlich hätte für die betroffenen Darlehensnehmer ein ewiges Widerrufsrecht gegolten", erklärt Rechtsanwalt Wilhelm Lachmair. Mittlerweile ist der Gesetzgeber aktiv geworden. Für Verträge, die zwischen dem 1. September 2002 und dem 10. Juni 2010 geschlossen wurden und deren Widerrufsbelehrung fehlerhaft war, erlischt das ewige Widerrufsrecht am 21. Juni 2016 (siehe Tabelle unten). "Offenbar ist die Politik bei der kurzfristigen Abschaffung des Widerrufsjokers vor der Bankenlobby eingeknickt", kommentiert die Interessengemeinschaft IG Widerruf auf ihrer Internetseite den gesetzlichen Vorstoß. Und rät: Umso wichtiger sei es, dass Darlehensnehmer die verbleibende Zeit nutzten, um zu prüfen, ob der Widerrufsjoker für sie infrage komme.

Am besten sei es, wenn der Widerruf bis zum 21. Juni 2016 bei der Bank eingegangen sei, meint Lachmair. Entweder per Einschreiben mit Rückschein, per Fax oder E-Mail. "Auf jeden Fall so, dass der Kunde sei­nen Widerruf dokumentieren kann", ergänzt der Anwalt. Wie viele Darlehensnehmer das tatsächlich tun, geben die Banken nicht preis. "Ich glaube nicht, dass sich sehr viele Kunden wehren", mutmaßt Lachmair. Zumal Darlehensnehmern nach zehn Jahren Laufzeit ohnehin ein gesetzliches Kündigungsrecht zustehe.

Keine konkreten Zahlen

Die Redaktion von €uro am Sonntag hat Ende vergangenen Jahres eine Umfrage bei verschiedenen Instituten zu dem Thema gemacht. Keines war jedoch bereit, konkrete Zahlen zu den anfallenden Widerrufen vorzulegen. So teilte die DKB auf Anfrage mit, dass sie sich grundsätzlich mit jedem Widerruf von Hypothekendarlehen individuell beschäftige und diesen unabhängig vom Zeitpunkt der Vertragsschließung auf seine Rechtmäßigkeit prüfe. "Ist der Widerruf rechtlich begründet, so gibt die DKB dem Widerruf statt", hieß es. Falls nicht, stehe es dem Kunden selbstverständlich frei, den Rechtsweg zu beschreiten und gegebenenfalls vom Gericht eine Entscheidung zum konkreten Fall zu erhalten. Ganz ähnlich argumentierten andere befragte Institute.
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"In jedem Fall sollte ein ­Widerruf gut überlegt sein, was Zeit und fachliche Beratung erfordert", rät die Verbraucherzentrale Thüringen. Ein Laie kann zum Beispiel nicht beurteilen, ob die Widerrufsbelehrung in seinem Vertrag falsch ist. Betroffene sollten sich darum zur Prüfung entweder an eine Verbraucherzentrale oder an einen Fachanwalt wenden.

Ganz wichtig: Kreditnehmer sollten sich direkt nach dem ­Widerruf um eine Anschluss­finanzierung kümmern. Falls die Bank den Widerruf akzeptiert, ist die Restschuld des Darlehens innerhalb von 30 Tagen fällig. Wer dann nicht auf ein neues Darlehen zugreifen kann, muss das Geld aus eigener Tasche zahlen.

Banken wehren sich

Verbraucherschützer haben Fälle dokumentiert, bei denen sich Banken und Kunden einigten. Entweder erhielt der Kunde einen neuen Vertrag mit niedrigeren Zinsen oder er verhandelte einen niedrigeren Zins für den alten aus. Selbst wenn sich ein Vertrag als fehlerhaft herausstellt, müssen Kunden damit rechnen, dass die Bank den Widerruf nicht ohne Gegenwehr akzeptiert. "Oft lassen es die Banken auf ein Gerichtsverfahren ankommen", meint Anwalt Lachmair. Betroffene brauchen also möglichst eine Rechtsschutzversicherung.

Und wer sich wehrt, muss ­mitunter starke Nerven haben. So sorgte die Landesbank Baden-Württemberg für Schlagzeilen, weil sie wiederum Kunden verklagte, die gegen die fehlerhafte Widerrufsbelehrung vorgingen. Ihr Argument: Die Kunden würden das Kündigungsrecht missbrauchen. "Das ist eine Form von Abschreckung", meint Anwalt Reiter. Auf diese Weise wolle man verhindern, dass die Kunden ihr gutes Recht nutzten, erklärt er.

Welche Fristen gelten (pdf)
Falsche Belehrungen (pdf)

Bildquellen: Karramba Production / Shutterstock.com, Eisenhans/Fotolia