Bewertungen im Internet: Gekauft, getürkt, gelogen
Wer online einkauft oder Dienstleister sucht, orientiert sich vorher in der Regel an Beurteilungen anderer Kunden. Das kann hilfreich sein - aber auch sehr in die Irre führen.
von Sabine Hildebrandt-Woeckel, Euro am Sonntag
Kennen Sie die Fabel "Der Löwe und die Ziege"? Mit den schönsten Worten versucht der Löwe, das gute Gras neben sich zu preisen. Doch die Ziege ist klug, lässt sich nicht verführen - und überlebt. Und so stehen am Ende der Geschichte drei kleine Worte: trau, schau, wem.
Worte, die sich auch alle zu Herzen nehmen sollten, die sich vor einem Besuch beim Arzt, Finanz- oder Bankberater in Vergleichsportalen über dessen Kompetenz informieren wollen. Oder diejenigen, die sich, bevor sie online Bücher, Toaster oder Versicherungsprodukte kaufen, an den Urteilen anderer Kunden orientieren. Denn auch wenn Verbraucherschützer seit Jahren dagegen ankämpfen, gilt noch immer: Vieles, was im Internet als Bewertung von "echten Kunden oder Nutzern" zu lesen ist, ist gekauft, getürkt oder gelogen. Mit anderen Worten: Es soll uns zu Handlungen verführen, die keineswegs immer gut für uns sind.
Für Verbraucher ein großes Dilemma, betont Sabrina Wagner, Referentin Marktbeobachtung Digitales beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Denn echte Beratung wie im stationären Handel gibt es im World Wide Web nicht. Kunden bleiben damit nur mehr oder wenig aussagekräftige Produktbeschreibungen und eben Kundenbewertungen oder -rezensionen, also Eindrücke anderer Nutzer. Und tatsächlich, so haben in der Vergangenheit diverse Studien gezeigt, lassen sich nicht wenige davon auch beeindrucken. Viele entscheiden sich sogar um, wenn ein anderes Produkt bessere Bewertungen hat als das ursprünglich präferierte.
Wie groß der Anteil falscher Bewertungen dabei tatsächlich ist, vermögen auch Marktbeobachter nicht exakt zu sagen. Die Spannbreite irreführender Rezensionen und falsch vergebener Sternchen ist groß. Das fängt bei Gefälligkeiten an, um die Händler oder Dienstleister Freunde und Bekannte bitten, geht dann weiter mit kleinen oder großen Kampagnen, mit denen missgünstige Händler, Ärzte oder Berater das Angebot der Konkurrenz diskreditieren, und reicht bis hin zu einer regelrechten Industrie, die Online-Beurteilungen schlicht verkauft.
Daran allein wäre noch nichts auszusetzen. Und es wäre auch nicht verboten, wie Expertin Wagner erläutert. Wenn die Urteile echt wären, die Posts also von Personen kämen, die beispielsweise gelobte Reisen tatsächlich unternommen oder mit fünf Sternen versehene Waren und Dienstleistungen tatsächlich getestet hätten. Zudem sollte dann eindeutig erkennbar sein, dass nicht Privatpersonen loben, sondern eben Tester - und es müsste "sichergestellt sein, dass niemand Einfluss auf dieses Urteil genommen hat".
Der Agenturen Werk
Genau dies ist aber oft nicht der Fall, wie inzwischen verschiedene Untersuchen belegen. So arbeiteten 2020 Mitarbeiter der Stiftung Warentest inkognito für solche Lob-Agenturen und mussten erleben, dass etwa zwei Drittel der Rezensionen beeinflusst wurden. Teilweise durften manche Produkte nur anhand von Fotos beurteilt wer- den, in anderen Fällen wurden die Tester nur bezahlt, wenn ihre Beurteilung positiv ausfiel.
Dabei ist die Rechtslage in Deutschland eigentlich eindeutig, wie Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamts, betont: "Gefälschte Bewertungen sind rechtswidrig." Auch das Bundeskartellamt führte 2020 eine sogenannte Sektoruntersuchung zu Nutzerbewertungen durch und kam zu dem Schluss, dass Fake-Bewertungen ein weitverbreitetes Phänomen sind.
Googles Beitrag
Das Problem dabei: Viele Händler fördern das Gebaren noch. Nicht nur, weil sie sich durch gute Bewertungen Umsatzsteigerungen erhoffen, sondern auch, weil sich durch viele positive Bewertungen auch die Sichtbarkeit bei der Suchmaschine Google verbessert. Gleiches gilt auch für die großen Portale, wo sich Nutzer die Ergebnisse anhand der Bewertungen anzeigen lassen können.
Recherchen von Bayerischem Rundfunk und Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) ergaben Mitte 2021 sogar, dass sich viele Unternehmen fast schon genötigt sehen, falsche Bewertungen zu kaufen. So wird ein Münchner Wirt mit der Aussage zitiert, dass das in seinem Umfeld alle Gasthäuser machen. Mit anderen Worten: Wer nicht mitzieht, verliert Gäste und damit Umsatz.
Was ist denn nun echt?
Doch nicht nur für Kunden sind Fake- Bewertungen ein Problem, auch Verkaufs- und Vergleichsportale haben damit zu kämpfen. 50 Prozent der Diskussionen schon in der Gründungsphase seines Unternehmens, erzählt Mustafa Behan, hätten sich darum gedreht, wie sichergestellt werden kann, dass abgegebene Bewertungen echt sind. Behan ist Gründer und Geschäftsführer von WhoFinance. Auf dem 2006 gegründeten Portal bewerten Verbraucher ihre Berater bei Banken, Versicherungen und unabhängigen Anbietern.
Bei WhoFinance entschied man sich letztlich dazu, alle Bewertungen vor Veröffentlichung zu prüfen - und zwar sowohl durch Algorithmen als auch durch Menschen. Seitdem, so Behan, sei keine Bewertung erschienen, die nicht "zuvor ein Mensch gelesen hat".
Ein Vorgehen, das keineswegs selbstverständlich ist, wie Marktbeobachter wissen. Verbraucherschützerin Wagner jedenfalls beobachtet, "dass sich Porta- le eher zurückzuhalten scheinen, wenn es darum geht, die Massen an zu positiven Bewertungen einzudämmen beziehungsweise deren Entstehung transparent zu machen. Wohl auch, weil sie selbst von Geschäften profitieren, die durch viele Lobpreisungen ausgelöst werden. Nach wie vor passiert aus Wagners Sicht noch zu wenig, auch wenn sich inzwischen immer mehr Portale mit Fake-Bewertungen beschäftigen.
200 Millionen gelöschte Urteile
So rühmt sich der Onlinehändler Amazon, praktisch der Erfinder von Kundenrezensionen, damit, mit großem technischen und menschlichen Aufwand missbräuchliche Bewertungen zu unterbinden. Allein im Jahr 2020, so ein Sprecher des Konzerns, seien weltweit mehr als 200 Millionen mutmaßliche Fake-Beurteilungen gelöscht worden. Zudem geht der Konzern mittlerweile auch gerichtlich gegen Agenturen vor, die das Portal mit falschem Lob fluten.
Immer mehr Anbieter arbeiten zudem, wie beispielsweise Booking.com oder Check24, mit sogenannten geschlossenen Bewertungssystemen. Das heißt, benoten oder kommentieren darf nur, wer zuvor über das Portal einen Vertrag abgeschlossen oder etwas gekauft hat. Insider wissen, dass dieses System Fake-Bewertungen zwar erschwert, jedoch nicht zur Gänze ausschließt.
Insgesamt, stellt Fachfrau Wagner klar, lasse sich keine Entspannung beobachten. Im Gegenteil: Es ist zu befürchten, dass sich das Problem durch die Pandemie eher noch verstärkt. In die Höhe schnellende Umsätze im Onlinehandel (laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel Deutschland/bevh sind allein im dritten Quartal 2021 die Warenumsätze um 14,8 Prozent auf über 22 Milliarden Euro gestiegen) könnten auch die Zahl mutmaßlicher Fake-Beurteilungen anwachsen lassen.
Firmen sitzen im Ausland
Hinzu kommt: Die Firmen, die die falschen Sterne und Lobhudeleien produzieren, sitzen oft im Ausland. Dadurch entziehen sie sich den deutschen Behörden und können bis heute ganz ungeniert damit werben, Waren, Dienstleistungen oder Unternehmen "ins rechte Licht zu rücken", wie es beispielsweise auf der Homepage von Fivestar Marketing heißt. Das Unternehmen ist in Bulgarien ansässig. Konkurrent Lutendo postet aus Georgien, andere agieren aus anderen Teilen der Welt.
Betrogen werden dabei oftmals nicht nur die Käufer, sondern mitunter auch die Tester selbst, wie erst kürzlich der Fall des Rezensionslieferanten MAZ Tigers zeigte. Noch Mitte vergangenen Jahres warb das Unternehmen mit dem Einsatz von 60.000 "Produkttestern". Inzwischen existiert die Homepage nicht mehr, und ehemalige Mitarbeiter sind auf ihren Einsätzen zum Beispiel für Testkäufe sitzen geblieben.
Die EU will es richten
Um des Fälschermarkts überhaupt Herr werden zu können, fordern Kritiker schon lange, dass auch Politik und Justiz schärfer vorgehen. Die Umsetzung der EU-Modernisierungsrichtlinie zum 28. Mai betrachtet man zwar als Schritt in die richtige Richtung, wünscht sich jedoch noch mehr. Ab dann müssen alle Portale offenlegen, nach welchen Kriterien sie Bewertungen veröffentlichen und wie sie sicherstellen, dass nur echte Kunden agieren.
Auch das Bundeskartellamt würde sich mehr Befugnisse wünschen. Im Kartellrecht, so Präsident Andreas Mundt, sei man es gewohnt, rechtswidrige Verhaltensweisen zu untersagen oder Bußgelder zu verhängen und Anordnungen notfalls mit Zwangsmitteln durchzusetzen. "Es wäre gut, wenn uns ein vergleichbares Instrumentarium auch im Verbraucherschutz zur Verfügung stünde."
Doch was heißt das für potenzielle Kunden heute? Wie gehen sie am besten mit den Sternen um? Gibt es Möglichkeiten, selbst echte Lobpreisungen von unechten zu unterscheiden? Die Antwort aller mit dem Thema befassten Experten ist ernüchternd. "Extrem schwierig", schätzt Verbraucherschützerin Wagner die Chancen ein. Portalbetreiber Behan betont, dass es praktisch nicht machbar sei, einzelne Kommentare zu beurteilen. Bei WhoFinance überprüft man daher u. a., ob mehrere Beurteilungen - vielleicht sogar in schneller Folge - von einer IP-Adresse versendet werden oder ob gleich lautende Formulierungen immer wieder auftauchen.
Kontrollieren und recherchieren
Letzteres ist ein Vorgehen, das Experten auch Verbrauchern nahelegen. Um sie zu erkennen, kann es hilfreich sein, besonders auffällige Übertreibungen mal in die Suchmaschine der Seite einzugeben. So zeigt sich schnell, wo sie sonst noch auftauchen.
Am wichtigsten, so Kartellamtschef Mundt, sei es aber, sich bewusst zu sein, dass Bewertungen eben nicht immer echt sind. Und Verbraucherschützerin Wagner hat noch einen weiteren Rat: Wer Produkte und Dienstleistungen einschätzen möchte, kann auch ruhig einmal das Internet verlassen. Vielleicht haben auch die Nachbarn oder Freunde eine Meinung - die ist dann sicher authentisch. Oder, um es erneut mit drei einfachen Worten zu sagen: trau, schau, wem.
Zu schnell und zu gut:
Woran man Fake-Beurteilungen erkennen kann und was man dann tun soll
Auffällig ist,
• wenn gleiche Nutzerprofile regelmäßig Bewertungen zu lokalen Händlern abgeben, die geografisch weit auseinanderliegen
• wenn gleiche Nutzer viele sehr gute Bewertungen in kurzer Zeit abgeben
• wenn in einem Portal viele Bewertungen (unterschiedlicher Nutzer) mit gleichem Wortlaut auftauchen
• wenn die benutzte Sprache sehr werblich ist
Wer auf vermeintlich falsche Beurteilungen stößt,
• sollte diese - sofern entsprechender Meldebutton vorhanden - intern melden
• kann sich außerdem an das Beschwerdepostfach der Verbraucherzentralen www.verbraucherzentrale.de/beschwerde wenden
(Online-)Bewertungen richtig nutzen
• Immer mehrere Quellen/Portale nutzen
• Informieren Sie sich über die Vorgaben, die ein Portal für das Verfassen von Bewertungen vorgibt
• Mehr auf die einzelnen Aussagen schauen als auf den Durchschnittswert
• Auch schlechtere Bewertungen lesen
• Ergänzend immer auch Offline-Bewertungen (Freunde/Familie) heranziehen
Urteile:
Sterne vor Gericht
Schon seit mehreren Jahren beschäftigen sich regelmäßig auch Gerichte mit falschen Sternen und Rezensionen. So entschied das Landgericht Berlin Ende letzten Jahres, dass der Online-Fahrradshop Hoco nicht mit fünf Sternen für ein Produkt werben darf, wenn es tatsächlich noch gar keine Kundenbewertungen gibt. Geklagt hatte wie auch bereits in anderen Fällen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).
Landgericht Berlin, Beschluss vom 23.09.2021, Az. 16 O 139/21
In einem anderen Fall, den das Oberlandesgericht Frankfurt verhandelte, ging es darum, dass ein Unternehmen grundsätzlich offenlegen muss, wenn es für Bewertungen bezahlt. Hintergrund ist das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb bzw. die konkret darin enthaltene Vorschrift zu aktiven Aufklärungspflichten (§ 5a Abs. 6 UWG). Sie verpflichtet einen Unternehmer, den kommerziellen Zweck einer Geschäftspraxis kenntlich zu machen. Dazu gehört es nach Einschätzung des Gerichts, wenn bei Bewertungen auch Geld im Spiel ist.
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 22.02.2019, Az. 6 W 9/19
Andersherum gingen die Gerichte immer wieder auch gegen die Verkäufer von Lobeshymnen vor. So beschäftigte sich das Landgericht München mit der Geschäftspraxis von Fivestar, das u. a. Amazon-Rezensionen für knapp 20 Euro verkauft(e). Das Gericht erachtete das Gesamtangebot des Unternehmens für unzulässig. Interessant war in diesem Zusammenhang auch ein Seitenaspekt: Fivestar hatte sich zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung umbenannt und die Rechtsform geändert. Für das Gericht hatte dies jedoch keine Bedeutung. Da das Unternehmen inzwischen jedoch im Ausland ansässig ist, läuft das Urteil trotzdem - wie auch in ähnlichen Fällen - ins Leere. Landgericht München, Beschluss vom 20.02.2020, Az. I ZR 193/18
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