Wohnen für die Generation 65+
Der Anteil der über 65-Jährigen an der deutschen Bevölkerung wird in den kommenden Jahrzehnten deutlich zunehmen und damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen.
von Axel Hölzer, Gastautor von Euro am Sonntag
Schon fast ein Viertel der deutschen Gesamtbevölkerung ist heute älter als 65 Jahre. Und jeder Siebte dieser Altersgruppe ist bereits pflegebedürftig - das sind rund 2,5 Millionen Menschen. Aufgrund der demografischen Entwicklung wird prognostiziert, dass der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung bis zum Jahr 2030 auf rund 30 Prozent und die Anzahl der Pflegebedürftigen auf insgesamt 3,5 Millionen ansteigen wird. Der Bedarf an Lösungen für altersgerechtes Wohnen ist also erheblich.
Allerdings wohnt nur ein Drittel der Pflegebedürftigen in stationären Pflegeeinrichtungen. Zwei Drittel der Pflegebedürftigen leben nach wie vor in "normalen" Wohnformen - also in einem Haus oder einer Wohnung - und werden dort durch Angehörige oder einen ambulanten Pflegedienst betreut. Das Prognos-Institut schätzt, dass lediglich 700.000 Wohnungen barrierearm und somit langfristig für die betrachtete Klientel geeignet sind. Es fehlen 2,5 Millionen barrierefreie oder barrierereduzierte Wohnungen. Experten schätzen das dazu notwendige Bauvolumen auf rund 39 Milliarden Euro.
Verbleib im bestehenden
Wohnraum ist alternativlos
Dennoch wollen die älteren Menschen lieber in ihrem etablierten Wohnumfeld bleiben. Eine repräsentative Befragung zeigte, dass lediglich 30 Prozent der befragten 65- bis 79-Jährigen umzugsbereit sind, aber nur noch 15 Prozent der über 80-Jährigen. Dementsprechend wünscht sich die Generation 65+, dass ihr Wohnumfeld entsprechend angepasst wird. In einer Studie der Bertelsmann-Stiftung nannten die Befragten folgende Bereiche als wichtig:
• Gewährleistung von Hilfe- und Betreuungseinrichtungen
• Ermöglichung eines eigenständigen
und selbstbestimmten Lebens
• Wahrung der Privatsphäre und Intimität
• Kommunikations- und Kontaktmöglichkeiten
• Berücksichtigung unterschiedlicher Wohnbedarfe
• Erschwingliches Preisniveau.
Eine Lösung könnte der Neubau von geeignetem Wohnraum durch private Investoren darstellen. Diese müssten dann Anforderungen hinsichtlich barrierefreier oder zumindest barrierearmer Bauweise erfüllen. Die dadurch entstehende Mietkostenerhöhung erweist sich jedoch als Nachteil - einerseits für die Bezieher von Durchschnittsrenten, die sich eine Änderung der Lebenssituation nicht leisten können, andererseits für Mieter mit staatlichem Unterstützungsbedarf, da diese Mehrkosten nicht von den Sozialkassen refinanziert werden. Ob eine Umzugsprämie diese Bereitschaft erhöhen könnte, darf somit bezweifelt werden. Das gesamte notwendige Bauvolumen könnte von privaten Investoren allein jedoch weder finanziert noch in einem angemessenen Zeitrahmen umgesetzt werden.
Würde der Zuwachs an Pflegebedürftigen vornehmlich durch stationäre Pflegeheime aufgefangen, müssten bis 2030 etwa 620.000 neue Pflegeheimplätze gebaut und revitalisiert werden. Geschätzte Baukosten hierfür: 54 Milliarden Euro. Die derzeit etwa 5.000 privaten Anbieter in der stationären Pflege mit einem Marktanteil von insgesamt 37 Prozent (324.000) der Pflegeheimplätze haben bis auf wenige Ausnahmen weniger als 10.000 Betten je Unternehmen und damit nicht die Ertragskraft und auch nicht das Kapital, um einen signifikanten Anteil dieses Bauvolumens zu übernehmen. Zudem ist die durchschnittliche Verweildauer der Pflegebedürftigen in der stationären Pflege seit Jahren rückläufig, das Eintrittsalter steigt dagegen ständig an.
Zwar werden die Erwartungen der älteren Generation durch die gewerbliche Wohnungswirtschaft allein nur bedingt erfüllt. Doch ein Viertel aller deutschen Senioren über 65+ (4,2 Millionen) ist Mieter eines großen Wohnungsunternehmens. Damit leben statistisch über 620.000 Pflegebedürftige in den Immobilien dieser Unternehmen. Zum Vergleich: In stationären Pflegeheimen werden etwa 740.000 Pflegebedürftige betreut.
Der Verbleib im bestehenden, aber altersgerecht gestalteten Wohnraum scheint aus heutiger Sicht deshalb alternativlos. Immerhin: Für das altersgerechte Umbauen können Heimbetreiber und Privatpersonen Förderungen bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beanspruchen. Und von den Pflegekassen werden seit 2015 wohnumfeldverbessernde Maßnahmen für Pflegebedürftige mit bis zu 4.000 Euro pro Einzelmaßnahme (Mehrpersonenhaushalte bis zu 16.000 Euro) finanziert. Aber auch diese Fördermaßnahmen können den Gesamtbedarf an barrierefreier Umgestaltung nicht vollständig decken.
Hier besteht die große Chance für die Wohnungswirtschaft. Einerseits verfügt sie über die notwendigen finanziellen Mittel, andererseits besteht auch zunehmend das Interesse, die älteren Mieter als Kundengruppe lange in den Immobilien zu halten. Denn ältere Mieter sind zuverlässige Mietzahler. Darüber hinaus besteht in strukturschwachen Gegenden ein Nachvermietungsproblem, wenn Senioren in Alten- oder Pflegeheime abwandern, das in Teilen nur durch teuren Rückbau gelöst werden kann.
Zusätzliche Angebote führen
zu mehr Wertschöpfung
Doch welche Angebote zur Erhöhung der Kundenbindung und Verbreiterung der eigenen Wertschöpfung bietet die Wohnungswirtschaft schon heute an? Im Vordergrund stehen Angebote zur Selbsthilfe und zur Schaffung eines sozialen Wohnumfelds wie Aktivieren von Nachbarschaftshilfe oder das Einrichten von Beratungsstellen. Darüber hinaus werden auch technische Services angeboten, zum Beispiel Telekommunikationslösungen oder Hausnotruf.
Dass ein Wohnungsunternehmen die Betreiberrolle übernimmt und selbst ambulante Pflege oder betreutes Wohnen anbietet, ist bislang noch die Ausnahme. Darüber hinaus gibt es Modellprojekte zur mitalternden Wohnung oder die Schaffung von Quartieren mit Versorgungssicherheit ohne Betreuungspauschale. Jedoch sind diese Projekte teilweise modellhaft: Es fehlt an spezifischen und durchgängigen Lösungen. Und auch die Frage der Gegenfinanzierung zusätzlicher Serviceleistungen ist noch zu beantworten. Dennoch ist klar: Für Unternehmen der Wohnungswirtschaft - und ihre Investoren - besteht durch seniorengerechte Angebote noch ein großes Entwicklungspotenzial.
Kurzvita
Axel Hölzer,
Gesellschafter
der Excovatus
Consulting
Hölzer war nach Abschluss seines Studiums der Betriebswirtschaft im Jahr 1988 zunächst für internationale Beratungsunternehmen tätig. Von 1995 bis 2013 arbeitete er als Vorstandsvorsitzender/Vorsitzender der Geschäftsführung für zwei der Top-Ten-Unternehmen der stationären Gesundheitsversorgung mit dem Schwerpunkt Pflege.
Hölzer hat 2014 die Excovatus Consulting GmbH mit Sitz in Berlin mit gegründet. Excovatus ist im Bereich der Organisation und Unternehmensberatung für Unternehmen der Pflege-, Sozial- und Wohnungswirtschaft tätig. Das Unternehmen entwickelt für seine Kunden zukunftsfähige integrierte Lösungen für die Pflege und das Wohnen der Generation 65+.
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