Allianz Global Investors

Überliste dich selbst

27.03.17 12:52 Uhr

Überliste dich selbst | finanzen.net

Wie die Rentendebatte zeigt, bleibt das von Frank Schirrmacher einst beschworene "Methusalemkomplott" nicht nur ungelöst. Es wird durch die Negativrenditen noch verschärft. Dabei könnte Altersvorsorge so einfach sein, wenn die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie angewandt würden. Diese Praxisstudie zeigt, wie es gehen kann.

Gut 70 Prozent der deutschen Staatsanleihen weisen eine negative Rendite aus - erbringen also mit Sicherheit nur eines: einen Verlust. Gut nur, dass sich die Lebenserwartung nicht nach der Anleihen-Rendite richtet, sondern immer weiter steigt. Gerade im Negativrenditeumfeld wird es damit aber umso dringlicher, die Altersvorsorge anzupacken. Das hat zur Konsequenz, dass entweder mehr für das Alter zur Seite gelegt werden muss oder die Anleger bei ihrem Vermögensaufbau verstärkt auf Anlageformen wie Aktien setzen müssen.

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Hilfen zur Selbstüberlistung

Das Gegenteil ist der Fall. Die Erklärung liefert "Behavioral Finance" - die Verhaltensökonomie. Das auf die Altersvorsorge spezialisierte "Behavioral Finance Center" von Allianz Global Investors hat einen stringent auf der Verhaltensökonomie basierenden Beratungsprozess entwickelt, auf dessen Grundlage Vorsorgeberater geschult werden. Dieser Prozess setzt an drei Verhaltensmustern an, die den Anlegern bei der (richtigen) Allokation von Vermögenswerten ebenso im Wege stehen wie bei der Altersvorsorge:

die Trägheit ("intertia"),

die Verlustaversion ("loss aversion"), sowie

die Kurzsichtigkeit ("myopia").

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Keine Entscheidung treffen zu müssen, ist die bequemste "Entscheidung". Diese Trägheit ist auch der Grund, warum es in Deutschland nur rund zwölf Prozent Organspender in der Bevölkerung gibt, während nahezu jeder Österreicher Organspender ist. Mit kultureller Prägung ist das nicht zu begründen, sondern mit dem "Opt-in" beziehungsweise dem "Opt-out". In Deutschland müssen die Bürger sich gezielt entscheiden, Organspender zu werden ("Opt-in"). In Österreich sind sie per Gesetz Organspender, können dem aber widersprechen ("Optout"). Zu Ende gedacht heißt das: Die Entscheidungsarchitektur, die oft nur willkürlich ist, entscheidet - und die Trägheit lässt uns in diesem Zustand verharren. So auch bei der Altersvorsorge: Das Angebot ist da, aber wer vorsorgen will, muss sich aktiv dafür entscheiden.

Die Verlustaversion, begründet von Kahneman und Tversky, steht ganz am Anfang der Verhaltensökonomie. Sie hat die Erkenntnis mit sich gebracht, dass ein Verlust in absoluten Einheiten mehr wiegt, als ein Gewinn in gleichem Umfang an Freude bringt. Nicht nur das. Bei der Geldanlage neigen Menschen zudem dazu, die Performance aus der Vergangenheit der vergangenen zwölf Monate abzulesen, statt sich nach ihren künftigen Erwartungen und der Performance über ihren eigentlichen Anlagezeitraum zu orientieren. Sie nehmen also die Wertentwicklung über einen verkürzten Zeitraum wahr, wobei die Verluste stärker ins Gewicht fallen als die Gewinne. Kurzsichtigkeit: Evolutionsbedingt leben wir im Hier und Jetzt. Dem prähistorischen Menschen war nicht nur eine Lebenserwartung von 80 Jahren und mehr unbekannt, er hatte auch jeden Tag aufs Neue eine hohe Todesfallwahrscheinlichkeit. Wir sind deshalb auf eine hohe Gegenwartspräferenz trainiert: Wir wollen eine sofortige Befriedigung unserer Bedürfnisse ("instant satisfaction") und empfinden Sparen als Verlust. Die Kollegen vom Allianz GI Center of Behavioral Finance adressieren diese drei Verhaltensmuster bewusst und leiten daraus Empfehlungen ab, wie Menschen geholfen werden kann, die Vorsorgefalle zu umschiffen, sich also selbst zu überlisten:

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Überwinde Trägheit mit Einfachheit.

Überwinde die Verlustaversion mit Risikomanagement.

Überwinde die Kurzsichtigkeit, indem die eigene Zukunft greifbar gemacht wird.

Überwinde die Trägheit des Vorsorgenden mit Komplexitätsreduktion und einer besseren Entscheidungsarchitektur aufseiten des Produktangebots. Die Empfehlungen: Vorsorgepläne sollten auf Opt-out umgestellt werden. Bei der Investitionsentscheidung sollten nur wenige Entscheidungen erforderlich sein. Die Sparer sollen zwar aus einer Fülle von Anlagevehikeln auswählen können, aber per "default" sollte ihnen ein entsprechend ihrem Risikoprofil passendes Multi-Asset-Produkt vorgeschlagen werden. Gemäß der Erkenntnis, dass circa 90 Prozent der Menschen froh über eine konkrete Lösung sind, weniger als zehn Prozent diese etwas ihren Bedürfnissen anpassen wollen und nur ein Prozent die vollkommene Entscheidung über die Allokation bevorzugen. Warum also die ganzen 100 Prozent mit Komplexität verwirren, die am Ende nur abschreckt? Sethi-Iyengar, Professorin für Management an der Columbia Business School, hat zum Beispiel gezeigt, dass die Abschlussquote bei fondsbasierten Renten- und Lebensversicherungen mit steigender Anzahl der zur Auswahl stehenden Fonds fällt.

Neigen zu Vereinfachungen

Wichtiger vielleicht noch: Die Investoren haben oft keine Vorstellung über ihre Präferenzen und neigen zu vereinfachenden Daumenregeln: Werden ihnen zehn Fonds angeboten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie ihren Betrag zu jeweils einem Zehntel aufteilen - unbeschadet, wie sich das Portfolio dann am Ende zusammensetzt. Hier können Voreinstellungen bei der Beratung helfen, den Allokationsprozess entsprechend dem anlegerspezifischen Risiko-Ertrags-Profil zu verbessern.

Die Überwindung der Verlustaversion beginnt schon bei der Entscheidung, wie der Arbeitgeber seinen Anteil bemisst: als absoluten Betrag oder anteilig zum Sparbeitrag des Arbeitnehmers? Lobt der Arbeitgeber einen fixen Betrag aus (50 Euro), ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Arbeitnehmer den gleichen Be trag einzahlt (also wie im Beispiel ebenfalls 50 Euro). Der "Verlust" wird geteilt und als fair empfunden. Setzt der Arbeitgeber aber eine relative Förderung fest (zehn Prozent vom Arbeitnehmerbeitrag, gegebenenfalls mit Kappung), ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Arbeitnehmer den Mitnahmeeffekt maximiert und mehr anspart.

Wie sich die Risikoneigung künftig entwickeln dürfte

Die Verlustaversion sollte auch beim Reporting aufgegriffen werden: Zu den Performancedaten des abgelaufenen Jahres sollten die Sparer eine Berechnung erhalten, wie sich ihr Ansparplan entsprechend ihrer Risikoneigung in Zukunft entwickeln dürfte und was an monatlichen Zahlungen erwartet werden kann. Das hilft, über mögliche kurz- bis mittelfristige Verluste hinweg auf den eigentlichen Anlagehorizont zu schauen.

Dieses "Lifetime Statement" dient auch zur Überwindung der "Kurzsichtigkeit". Um diese zu überwinden, sollten schon im Beratungsprozess Fragen durchgespielt werden, die helfen, sich den in der Zukunft liegenden Nutzen möglichst konkret vorzustellen: "Was wäre, wenn sich das Altersvorsorgeprodukt in dieser Richtung weiterentwickelt? Welchen Betrag hätten Sie pro Monat mehr?" Dadurch wird das künftige Ergebnis greifbarer. Besonders greifbar wird die Bedeutung der Vorsorge auch, wenn eine emotionale Beziehung zum "zukünftigen Ich" des Vorsorgesparers geknüpft wird. Aus der Forschung ist bekannt, dass das "zukünftige Ich", also das eigene "Ich" zum Beispiel zum Renteneintritt, emotional für einen selbst ein komplett Fremder ist. Warum also diesem Fremden etwas Gutes tun? Hat man aber erst einmal sich selbst im Alter von Ende 60/Anfang 70 gesehen, was zum Beispiel durch Morphing-Apps möglich ist, dann steigt die Bereitschaft, diesem "Fremden", der dann plötzlich kein Fremder mehr ist, etwas angedeihen zu lassen.

Diese Ansätze für Beratung und Produktauswahl oder auch Elemente daraus sind äußerst erfolgreich. Letztlich geht es um "Nudging" - ein freundliches "Schupsen" in die richtige Richtung, gemäß der Erkenntnis, dass eine falsche/ zufällige Beratungs- und Entscheidungsarchitektur zu schlechteren Ergebnissen führt. Nach diesen Kriterien werden nicht nur auf die Altersvorsorge spezialisierte Berater geschult, Gedanken daraus fanden auch Eingang in die Gesetzgebung wie den 2006 in den USA eingeführten "Pension Protection Act".

Mittel zur Selbstüberlistung

Die ursprüngliche Zielsetzung war so einfach wie fordernd: Nach der Faustformel "90-10-90" sollten 90 Prozent aller Beschäftigten, die danach beraten wurden, sich für den Vorsorgeplan entscheiden. Die Mindestsparquote sollte nach der Dynamisierung mindestens zehn Prozent des verfügbaren Einkommens betragen, und 90 Prozent der Vorsorgegelder sollten in den vorab empfohlenen Fonds fließen. Wie die Zahlen zeigen, ist man auf einem guten Weg.

Gemäß der letzten verfügbaren Auswertung, der "57th Annual Survey" des Plan Sponsor Council of America von 2014 erfolgt das "Opt-out" in mittlerweile 50 Prozent der Fälle. Zum Zeitpunkt der Einführung des Pension Protection Acts waren es knapp 30 Prozent, 2003 nur circa zehn Prozent. Die Dynamisierung erfolgt mittlerweile in 65 Prozent der Fälle. 2006 waren es etwas über 30 Prozent, 2004 knapp zehn Prozent. Gemäß der zitierten Survey wählen 73 Prozent der Teilnehmer einen Multi-Asset-Fonds aus, dem eine Lebenszykluskomponente entsprechend ihrem Risiko-/Ertragsprofils unterliegt.

Fazit: Die Erkenntnisse der Verhaltensökonomie können sehr gut im Sinne der Vorsorge genutzt werden. Denn sie tun nichts anderes, als den Vorsorgesparern bei der Selbstüberlistung zu helfen.

Autor: Hans-Jörg Naumer ist Direktor Global Head of Capital Markets & Thematic Research bei Allianz Global Investors GmbH.

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