Jetzt ist der Zeitpunkt für Investitionen in die Infrastruktur

Der weltweite Bedarf an Infrastruktur-Investitionen geht in die Billionen US-Dollar.
Während diese finanzielle Hürde für die öffentliche Hand zuweilen unüberwindlich scheint, können die Volkswirtschaften jedoch von Investitionen zur rechten Zeit am rechten Ort profitieren. In einer aktuellen Analyse der Chef-Ökonomen von Standard & Poor‘s Ratings Services sehen diese in einer Erhöhung der öffentlichen Infrastrukturausgaben seitens der G20-Länder klare wirtschaftliche Vorteile. Dabei ist es unerheblich, ob die Mittel von der öffentlichen Hand oder von privaten Investoren kommen. Maßgeblich ist, dass die Investitionen sinnvoll getätigt werden. Zu oft hängt die Genehmigung eines Projekts davon ab, welche politische Unterstützung es erfährt und welche Aufmerksamkeit dadurch zu erringen ist, und basiert weniger auf einer umsichtigen Kosten-Nutzen-Analyse.
Gesamtwirtschaftliche Vorteile
• In Europa hätte eine konzertierte Aktion aller mehr Erfolg als die Bemühungen eines einzelnen Staates.
• In den Industrieländern würde eine Steigerung der Investitionsausgaben den Arbeitsmarkt beflügeln. In den USA würden mehr als 700.000 Arbeitsplätze geschaffen, in der EU sogar etwa eine Million.
• Durch den "Multiplikatoreffekt" ergäbe sich aus einer Erhöhung der Ausgaben um 1 Prozent des realen BIP das Zweieinhalbfache in einem Zeitraum von drei Jahren (von 2015-2017).
Deutschland verliert den Anschluss
Im internationalen Vergleich sind die gesamten Investitionsausgaben in Deutschland gering. Seit 2000 sind sie sogar von 21,5 Prozent des BIP auf knapp über 17 Prozent im Jahr 2013 zurückgegangen. Nach Berechnungen von S&P haben seit 2004 allein mangelnde Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur in Deutschland eine kumulierte Investitionslücke von 60 Milliarden Euro verursacht. Die Qualitätsver-schlechterung der deutschen Straßen spiegelt sich im Ranking des Weltwirtschaftsforums (WEF) wider: 2014 nahm Deutschland nur den 13. Platz ein, 2008 stand es noch auf Platz 4. Außerdem werden Investitionen in Erneuerbare Energien für die Strom- und Wärmeversorgung sowie für die Stromnetze benötigt. Erhebliche finanzielle Mittel werden auch für Energieeffizienz wie beispielsweise in der Gebäudedämmung gebraucht. Nach Einschätzung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung wird die Energiewende bis 2020 jährlich zwischen 31 und 38 Milliarden Euro erfordern.
Investitionen stärken die Eurozone als Ganzes
Der Bedarf an Infrastrukturinvestitionen in der EU beträgt knapp 1 Billion Euro in den nächsten drei Jahren. Die Europäische Kommission schätzt außerdem, dass 1,5 Billion Euro bis 2030 an Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erforderlich sind und sich die Finanzierungslücke für Breitbandnetze bis 2020 auf jährlich 30 Milliarden Euro beläuft. Jedoch sind die öffentlichen Investitionen stark rückläufig, da die Regierungen ihre Haushalte konsolidieren. Dabei sind geringe Investitionen einer der Hauptgründe für die langsame Erholung der Wirtschaft in der EU, die chronisch schwachen Investitionsausgaben gefährden künftiges Wachstum. Zur Lösung dieses Problems legte Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bereits den Europäischen Investitionsplan vor. S&P kommentierte dazu in der Kolumne Fokus Finanzmarkt vom 3.2.2015 auf www.finanzen.net. In einigen Ländern der EU wird die Qualität der Infrastruktur als sehr niedrig wahrgenommen. Deutschland zählt zu den Ländern, die ihre zuvor hohe Wettbewerbsposition verloren haben.
Um im internationalen Vergleich nicht noch weiter abzufallen, würde nach Einschätzung von S&P in Deutschland schon eine Erhöhung der öffentlichen Ausgaben um 1 Prozent des BIP in einem Jahr einen Multiplikatoreffekt von 1,2 über drei Jahre ergäben.

Die Analyse von S&P zeigt außerdem, dass die Steigerung der Ausgaben in nur einem EU-Land kaum Auswirkungen auf das eigene Wachstum und das seiner Nachbarländer hätte. Dagegen wäre der Multiplikatoreffekt für die Eurozone als Ganzes sehr stark: Jeder zusätzliche Euro, der 2015 für Infrastruktur ausgegeben wird, würde 1,4 Euro zum realen BIP über drei Jahre beitragen. Gleichzeitig würde eine solche Erhöhung schätzungsweise 627.000 Arbeitsplätze in der Eurozone schaffen und mehr als eine Million in der Europäischen Union (darunter 344.000 in Großbritannien). Ein konzertiertes Programm, das die EU als Ganzes umfasst und jetzt angegangen wird, hätte daher aus Sicht von S&P eine viel stärkere Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung als isolierte, länderspezifische Maßnahmen. Analyse der globalen Chef-Ökonomen von Standard & Poor’s Ratings Services, verantwortlich für Europa: Jean-Michel Six, Paris, mehr Informationen unter "Economic Research: Global Infrastructure Investment: Timing Is Everything (And Now Is The Time) vom 13. Januar 2015.
Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de
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