Die Biotechnologie nach der Covid-Impfstoffentwicklung - Wie geht es weiter und was ist noch zu erwarten?
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Jürgen Harter von Medical Strategy im Interview.
Welche Nebeneffekte ergeben sich in der Biotechnologie aus der Impfstoffentwicklung?
Die mRNA-Impfstoff-Technologie wurde durch die erfolgreiche Entwicklung von COVID19-Impfstoffen validiert. Die Corona-Vakzine haben in klinischen Studien eine sehr hohe Schutzwirkung gezeigt. Jedoch müssen die COVID19-Impfstoffe laufend an neue Corona-Mutationen angepasst werden. Neben Infektionskrankheiten liegt das größte Potential von mRNA-Impfstoffen in der Krebstherapie. Beispielsweise hat BioNTech ein sehr breites onkologisches Entwicklungsprogramm. Ob die mRNA-Technologie allerdings auch zur Tumorbehandlung erfolgreich eingesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Bis dato gibt es hier zu wenige belastbare Daten aus der klinischen Prüfung.
Ist in anderen Bereichen von einer ähnlichen Entwicklung auszugehen wie bei den Covid-Impfstoffen?
Bei der Impfstoffentwicklung wurden alle Kräfte gebündelt, extrem viel Kapital und Ressourcen bereitgestellt und im Rahmen der Zulassungsverfahren Rolling Reviews durchgeführt. Sobald also Daten aus der Studie gekommen sind, wurden diese schon ausgewertet und sofort bei den Behörden eingereicht. Das entspricht nicht der normalen Vorgehensweise. Von daher ist es naheliegend, dass grundsätzlich wieder zu normalen Verfahren übergegangen wird. Ein entscheidender Aspekt ist auch das enorme Kapital, das 2020 in den Biotech-Bereich geflossen ist. Es wurden 150 IPO‘s mit 34 Mrd. US-Dollar Volumen durchgeführt, gegenüber dem Vorjahr mit nur 11 Mrd. also eine Verdreifachung. Außerdem haben wir sehr viele Kapitalerhöhungen von Unternehmen gesehen, die ihre Produkte in der klinischen Prüfung nach vorne gebracht haben. Insgesamt 47 Mrd. US-Dollar. Aktuell wird also Kapital und Wissen ideal zusammengefügt. Das ist nicht auf den börsennotierten-Bereich beschränkt. Auch im vorbörslichen Bereich wurde im Venture-Sektor in 2020 mit ca. 35 Mrd. US-Dollar sehr viel investiert. Und damit schauen wir in die Zukunft statt in den Rückspiegel und sehen, wie viel Innovation in der Pipeline ist. Das ist quasi die Pflanze, die vor dem IPO wächst und dann in die Börsennotierung kommt. Das Kapital wurde breit zur Verfügung gestellt, sodass hinsichtlich Unternehmensauswahl aus dem Vollen geschöpft werden kann, wobei z.B. die Onkologie ein Bereich ist, der aktuell von COVID überdeckt wird. Das wird aber nicht so bleiben.
Stehen wir in anderen Bereichen ebenfalls vor solch einem Durchbruch wie bei der mRNA-Technologie?
Wir sehen nicht den einen großen Durchbruch, sondern immer wieder viele Schritte in die richtige Richtung. Gerade in der Onkologie sind die Stichworte dabei Präzisionsmedizin und Immunonkologie, da man immer mehr genetische Informationen zur Entschlüsselung des Mechanismus des Tumors bekommt. Insofern wird es nicht die eine große Veränderung geben, sondern immer wieder einzelne Fortschritte, die zu einer besseren Therapierbarkeit einzelner Krebsarten und damit einer Verlängerung der Überlebenszeit führen werden. Es ist also eher eine breite Entwicklung, die wir hier erleben.
Macht es Sinn, bei den bekannten Impfstoffproduzenten für Covid jetzt noch einzusteigen oder ist es schon zu spät?
Dafür ist immer eine selektive Betrachtung nötig. Natürlich gibt es Unternehmen im Impfbereich, die mit sehr hohen Bewertungen unterwegs sind und bei denen viel Euphorie eingepreist ist. Genauso existieren aber auch Unternehmen, die bislang nicht im Fokus standen und günstige Bewertungen zeigen. Von daher finden wir weiter viele interessante Firmen und die Frage lässt sich so pauschal nicht beantworten.
Interessant ist zum einen, dass wir gerade im Bereich der Mid- and Small Caps schon immer sehr viele spannende Firmen gesehen haben, da sie den überwiegenden Anteil an neuen Produkten entwickeln. Zum anderen sehen wir aber aktuell auch die eine oder andere große Firma mit deutlich niedrigen Bewertungen, die auch nicht so stark von Patentabläufen tangiert ist. Das ist ein Thema, welches man im Hinterkopf haben muss. Wir sehen in den nächsten Jahren über 100 Mrd. US-Dollar an Jahresumsätzen, die durch Patentabläufe gefährdet sind, wo also der Umsatz wegbrechen kann. Diese Firmen müssen für Nachschub in der Pipeline sorgen und daher glauben wir, dass der Bereich M&A in den nächsten 2-3 Jahren noch stärker in den Vordergrund rücken kann. Große Firmen nutzen ihre hohen Cash-Positionen, um sich gezielt mit dem Zukauf von Firmen inkl. deren Produktportfolios zu verstärken. Hier haben wir gerade im März eine schöne Übernahme gesehen: Amgen hat Five Prime Therapeutics gekauft, die auch eine sehr interessante onkologische Plattform entwickelt haben. Man muss also sehr selektiv unterwegs sein und schauen, welches Unternehmen interessante Therapien entwickelt und welcher Bereich noch nicht so stark gehyped oder entdeckt wurde.
Aktuell wird vom Biotechmarkt im Zuge der Impfstoffentwicklung sehr eng berichtet. Sehen Sie hier eine Gefahr, dass Anleger ihr Wissen über diesen speziellen Sektor überschätzen?
Also speziell in Deutschland haben sich die Anleger eigentlich nur auf die wenigen deutschen Firmen konzentriert. Ein Großteil der Entwicklungen findet in den USA statt und ich glaube nicht, dass viele deutsche Investoren ihren Blick darauf gerichtet haben. Das war ein eingeschränkter Blick und dieser birgt die Gefahr, dass man nur die Impfentwickler BioNTech und CureVac im Auge hat. Jeder Investor sollte sich breit aufstellen und entsprechend jedes Unternehmen auf der Produktseite genau anschauen. Das ist eine Herkulesaufgabe, die man als Privatanleger ohne wissenschaftliche Expertise kaum stemmen kann.
Wo sehen Sie gerade jetzt in der Marktphase die größten Vorteile eines aktiv gemanagten Fonds im Bereich Biotechnologie?
Was die passiven Produkte im Bereich Biotech angeht, existiert nur der ETF auf den NASDAQ-Biotech-Index. Dieser bringt den Nachteil mit sich, stark von wenigen Large-Caps dominiert zu werden, da es sich um einen marktkapitalisierungsgewichteten Index handelt. Die Top-Ten stehen für über 40% des Volumens. Das sind aber nicht unbedingt die Unternehmen mit dem höchsten Potenzial. Von daher ist es wichtig, gerade die kleinen und mittelgroßen Firmen nicht außen vor zu lassen. Das tun wir sehr intensiv und können das auch historisch mit einer langjährigen Outperformance belegen.
Kann man auch als Endanleger in den Bereich Small & Mid-Caps direkt investieren, wenn man sich entsprechend informiert?
Das ist wirklich eine große Herausforderung, weil jede Firma auf Basis ihres Produktportfolios analysiert werden muss. Sie müssen sich genau anschauen, in welchem Segment ist das Unternehmen tätig, wie weit ist es in der klinischen Prüfung, wie hoch die Erfolgswahrscheinlichkeit und es müssen auch alle relevanten Termine auf dem Schirm sein. Es ist entscheidend, wann ein binäres Ereignis stattfindet, also wann z. B. klinische Prüfungsdaten veröffentlicht werden oder wann das Advisory Committee der Zulassungsbehörde tagt und ihre Empfehlung bekannt gibt. Das alles im Griff zu behalten ist ein Full-Time Job. Sie müssen dann auf Grund dieser Ereignisse individuell entscheiden, die Position zu halten, zu reduzieren oder zu erhöhen. Darüber hinaus benötigen Biotech-Investoren auch eine tiefgreifende wissenschaftliche Expertise, um die komplexe Thematik verstehen und neue Technologien bewerten zu können.
Gibt es neben der Onkologie einen weiteren großen Bereich, wo die Reise hingeht?
Das zweitgrößte Segment in unserem Fonds ist der Bereich der seltenen Krankheiten. Wir erleben hier einen sehr hohen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die Entstehungsursachen. In diesem Feld bewegen wir uns schon sehr lange. Seit über 20 Jahren haben wir eine Datenbank zu den verschiedensten Firmen im BioPharma-Sektor aufgebaut. Hier finden sich überwiegend kleine Unternehmen und gerade in diesem Bereich kann man first-in-class sein, also der erste, der ein Produkt in dieser Richtung entwickelt. Es gibt ca. 7.000 seltene Erkrankungen und davon können wir gerade einmal 5% therapieren. Hier sehen wir also einen hohen medizinischen Bedarf nach Lösungen. Zu 50% sind Kinder betroffen, da es häufig genetische Erkrankungen sind, die vererbt werden können. Viele kleine Firmen sind gerade dabei, Therapiedurchbrüche zu entwickeln und letztendlich entweder die ersten oder qualitativ die besseren Produkte auf den Markt zu bringen.
Bildquellen: IPConcept