Klaus Kaldemorgen: "Buy and Hold" ist Vergangenheit
An der Börse wächst die Gefahr von Korrekturen, warnt Klaus Kaldemorgen, Sprecher der Geschäftsführung der Fondsgesellschaft DWS. Ein Gespräch über Aussichten und Strategien am Aktienmarkt.
Werte in diesem Artikel
von Urs Aeberli
Die EU-Kommission, die US-Notenbank, der IWF und weitere prominente Institutionen sehen das Ende der Krise nahen. Besteht aber nicht die Gefahr, dass die Konjunktur 2010 nochmals taucht, wenn die staatlichen Wirtschaftsprogramme auslaufen?
Klaus Kaldemorgen: Ausschliessen lässt sich das nicht. Dieses Szenario wird aber nicht eintreten, wenn die Unternehmen im nächsten Jahr wieder stärker investieren – diese Bereitschaft dürfte angesichts der tiefen Zinsen gegeben sein. Entscheidender als die Unternehmensinvestitionen ist für mich aber der private Konsum.
Warum?
Er muss, als wichtige Konjunkturstütze, früher oder später wieder steigen. In Europa ist der Konsum weniger stark eingebrochen als in den USA: Auf dem Alten Kontinent wirken zum einen frühere Lohnsteigerungen nach, zum anderen fiel der Arbeitsplatzabbau bislang nicht derart massiv aus wie in den USA. Aber Massenentlassungen könnten folgen, wenn die Kurzarbeitsprogramme auslaufen. Fragezeichen sehe ich auch in den USA: Fallen die Konsumenten dort wieder ins alte, kauffreudige Muster zurück? Oder erhöht sich nun die Sparquote dauerhaft? Das wäre zwar für die langfristige volkswirtschaftliche Stabilität begrüssenswert, würde aber den Konjunkturaufschwung bremsen. Der private Konsum ist damit der grösste Risikofaktor und könnte dazu führen, dass wir nochmals in eine Konjunkturdelle geraten.
Zusätzlich wird der Konsum wohl auch durch Steuererhöhungen bedroht, wenn dereinst die Staatshaushalte zu sanieren sind …
Die Staaten können ihre Defizite entweder durch höhere Steuern finanzieren – das wäre wachstumshemmend. Oder aber sie begegnen den Schulden, indem sie die Zinsen langfristig tief halten – das wäre in Ordnung, solange das nicht die Inflation anheizt. Dieses optimistische Szenario ist aber relativ unwahrscheinlich.
Wenn also der Privatkonsum im Westen unter Druck kommt, bleiben nur China und die anderen Schwellenländer als Hoffnungsträger für den Weltwirtschaftsaufschwung?
China hat durchaus das Potenzial, die Rolle als globale Wachstumslokomotive zu übernehmen, wenn es das Land schafft, seine Konjunktur unfallfrei zu managen – und bislang hat es das erfolgreich getan. Vor Ausbruch der Finanz- und Weltwirtschaftskrise wurde die ökonomische Entwicklung durch das Exportwachstum getrieben. Dieses wurde nach dem Einbruch des Welthandels durch die staatlichen Investitionsprogramme abgelöst die übrigens klug konzipiert sind. China investiert nämlich viel in die Infrastruktur und greift mit öffentlichen Fördermitteln auch das Umweltthema auf. Irgendwann aber muss der staatliche durch den privaten Konsum abgelöst werden; schliesslich liegt die Sparrate von Chinas Haushalten bei über 20 Prozent.
Die Börsenkurse der Schwellenländer und der westlichen Staaten entwickeln sich immer ähnlicher. Steigt damit auch die Volatilität, also das Schwankungsrisiko der Börse?
In der Tat hängen wir mit der Globalisierung immer mehr voneinander ab. Daher erwies sich letztes Jahr die Hoffnung, dass sich die Schwellenländer-Börsen von der westlichen Finanzkrise abkoppeln könnten, als Illusion. Ich denke, die Volatilität wird steigen, und sie wird den Regierungen vor Augen führen, dass politische Alleingänge nur noch sehr schwer machbar sind.
Woran denken Sie konkret?
Ich wundere mich beispielsweise immer, dass der Westen über Massnahmen zur Regulierung des Finanzsystems nachdenkt, ohne dass China mit am Tisch sitzt. Schliesslich besitzt das Land mittlerweile grössere Bankinstitute als der Westen. Auch länderspezifische Debatten um Manager-Boni und sozialpolitische Verteilungsdiskussionen laufen ins Leere, wenn sie nicht in den internationalen Kontext gestellt werden.
Wenn die Volatilität steigt: Ist «Buy and Hold», also Kaufen und Liegenlassen von Aktien, noch die angemessene Anlagestrategie?
Ich glaube, «Buy and Hold» gehört der Vergangenheit an. Dafür haben wir einfach zu viele Umwälzungen, die sich in rascher Zeitabfolge ereignen. Zu glauben, dass man auf fünf oder zehn Jahre seine Anlageallokation unverändert beibehalten kann, ist abwegig. Wir hatten allein in diesem Jahrzehnt mit dem Platzen der Internetblase und der US-Hypothekarkrise zwei Börsen-Crashs. Aktives Management ist wichtiger denn je.
Stichwort US-Hypothekarkrise: Was für Lehren hat Ihr Unternehmen DWS gezogen?
Risikomanagement wird zunehmend wichtiger. Auch müssen Faktoren wie Liquiditätsprämien stärker berücksichtigt werden. Zudem sind die Zusammenhänge zwischen den Vermögensklassen stets zu analysieren. Sie erwähnten bereits, dass sich etwa die Korrelation der Schwellenländermärkte mit den westlichen Börsen verändert hat.
Bleiben wir beim Thema Börse: An einer Investorenkonferenz in Zürich skizzierten Sie ein optimistisches Szenario für die internationalen Aktienmärkte – mit 50 Prozent Kursgewinnen über die nächsten zwei Jahre …
Gleichzeitig erwähnte ich aber auch, dass ich temporäre Rückschläge in der Grössenordnung von zehn bis 15 Prozent erwarte. Ich mache mir nämlich Sorgen über stark gestiegene Erwartungen der Märkte – ich habe eingangs bereits auf die Enttäuschungsgefahr beim Konsum hingewiesen. Normale konjunkturzyklische Schwankungen werden an der Börse überlagert von Änderungen der Risikofreude der Anleger. Ohne dass sich an der Wirtschaftslage fundamental etwas ändert, kann ein Wechsel in der Risikopräferenz den Aktienmarkt um 40, 50 Prozent bewegen. Die Stimmungszyklen lassen sich allerdings noch viel schwieriger prognostizieren als die konjunkturellen Zyklen. Hinsichtlich der Konjunktur glaube ich nicht an eine rasche, V-förmige Erholung, sondern dass Staatsdefizite und Konsumschwäche längerfristig das westliche Wachstum belasten werden.
Trotzdem prognostizieren Sie für 2010 ein stattliches Wachstum der Weltwirtschaft von 3,3 Prozent.
Das ist gar nicht so viel. Allein das Wachstum von China, das die Ökonomen unseres Mutterhauses Deutsche Bank 2010 mit 8,3 Prozent beziffern, fährt gewissermassen die halbe Miete ein. Der Rest ist dem wieder anspringenden Wachstum in den USA geschuldet: Dort ist für 2010 ein Plus von 2,8 Prozent zu erwarten, nach einem Minus von 2,5 Prozent für 2009. Die 3,3 Prozent globales Wachstum sind auch insofern nicht so viel, als die Weltwirtschaft Ende 2010 nicht höher liegen wird als Ende 2008.
Wie gross ist die Gefahr, dass die Inflation aus dem Ruder läuft und die Wachstumsaussichten dämpft?
Die Notenbanken bemühen sich zweifellos, einen guten Job zu machen und die Inflation unter Kontrolle zu halten. Ich zweifle aber daran, dass sie sich dem enormen politischen Druck widersetzen können. Die Arbeitslosenzahlen werden weit ins nächste Jahr hinein steigen und Rekordstände erreichen, da ein Wachstum von 1,3 Prozent, wie es 2010 im Euroraum zu erwarten ist, nicht reicht, um die Beschäftigungslage zu verbessern. Die Politiker werden die Notenbanken wohl erst im letzten Moment die geldpolitischen Zügel wieder anziehen lassen, wenn die Arbeitslosenzahlen sinken. Das wird aber sein, wenn die Inflation vielleicht bereits auf drei oder dreieinhalb Prozent gestiegen ist.
Ist das Ihre offizielle Inflationsprognose?
Ich gebe keine Inflationsprognose ab, glaube aber, dass die Ökonomen mit ihren Schätzungen zu tief liegen.
Eine erhöhte Inflation ist unvermeidbar?
Ja. Aber Inflation kann sich verschiedenartig darstellen. Sie muss sich nicht nur über steigende Konsumentenpreise manifestieren, der inflationäre Druck kann auch zu einer Verteuerung von Rohstoffen und Edelmetallen führen. Ich kann mir daher einen Goldpreis von 1500 Dollar und einen Ölpreis von wieder 150 Dollar gut vorstellen.
Investoren sollten also auf Gold und Rohstoffe setzen. Was für Anlagen empfehlen Sie sonst noch?
Anleger fokussieren sich zu stark auf Kursgewinne. Sie sollten auch Wert auf ein laufendes Einkommen aus ihrem Vermögen legen. Interessant sind daher beispielsweise Immobilien mit Mieterträgen, gut verzinste Unternehmensanleihen und Aktien mit hohen Dividenden. So schwankt in der Regel die Ausschüttung von Unternehmen weniger als ihre Aktienkurse. Laufende, hohe Einkommen bieten zudem auch eine Art «mentale» Stabilität des Portfolios: Sie trösten über Kursverluste hinweg.
Stichwort Portfolio: Wie sollten Anleger in ihrem Depot Emerging Markets gewichten?
Wenn ein Anleger beispielsweise einen global anlegenden Aktienfonds kauft, sollte er sich überlegen, den Schwellenländeranteil über einen zweiten, spezialisierten Fonds entsprechend seiner Risikopräferenz zu erhöhen. Wenn man weltweit die Börsenwerte aller Firmen addiert – wobei man vernünftigerweise grosse Staatsbeteiligungen an Firmen wie etwa in China nicht berücksichtigt –, dann beläuft sich das investierbare Universum der Schwellenländer auf zwölf bis 15 Prozent der Weltbörsenkapitalisierung.
Zwölf Prozent wären also das Minimum für eine ausgewogene Diversifikation?
Ja, Anleger können durchaus auf 20 bis 25 Prozent gehen. Allerdings ist zu beachten, dass man im Depot nicht noch mit anderen Anlagen im Bereich Emerging Markets exponiert ist, etwa mit Rohstoffen, die stark mit den Schwellenländern korrelieren.
(Das Interview ist im Original im Schweizer Wirtschaftsmagazin Stocks, Ausgabe 20/2009, erschienen.)