Euro am Sonntag-Exklusiv

Jens Ehrhardt: "Rückschläge größerer Art sind durchaus denkbar"

21.10.18 12:00 Uhr

Jens Ehrhardt: "Rückschläge größerer Art sind durchaus denkbar" | finanzen.net

Der Grandseigneur der deutschen Vermögensverwalter, Jens Ehrhardt, spricht über Gefahren für den Aktienmarkt, Aussichten für deutsche Werte und seine weltweiten Favoriten.

von Peter Gewalt, €uro am Sonntag

Es gibt nur wenige in Deutschland, die das Auf und Ab der Finanzmärkte in den vergangenen Jahrzehnten so hautnah miterlebt haben wie Jens Ehrhardt. Seit mehr als 40 Jahren begleitet der heute 76-Jährige das Börsengeschehen mit ebenso viel Leidenschaft wie Kenntnisreichtum. Grund genug, bei ihm nachzufragen. €uro am Sonntag traf Ehrhardt am Sitz seiner Fondsgesellschaft DJE in Pullach bei München.

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€uro am Sonntag: Herr Ehrhardt, derzeit häufen sich die Jahrestage berühmt-berüchtigter Krisen wie der Lehman-Pleite 2008 oder der Russland-Krise 1998, just als €uro am Sonntag zum ersten Mal erschien. Wie würden Sie die Folgen dieser Crashs einordnen?
Jens Ehrhardt:
Ich fand die Krise 1998, die sich ausgehend von Währungsturbulenzen in Asien und Russland auf die Börsen der Industrie-Nationen ausgebreitet und die Pleite des Hedgefonds LTCM zur Folge hatte, nicht wirklich beängstigend. Grund dafür war, dass monetär schnell gegengesteuert wurde. So half die US-Notenbank mit mehreren Zinssenkungen, die Märkte schnell zu beruhigen. Da hatten der Crash 1987 und die Finanzkrise 2008 ein ganz anderes Kaliber.

War Ihnen denn auf Anhieb klar, wie ernst die Lage 2008 war?
Ich habe schon immer die monetären Einflussfaktoren für am wichtigsten für die Börsen gehalten. Daher war mir sofort bewusst, dass eine 600-Milliarden-Dollar-Pleite wie Lehman das internationale Finanzsystem in Schieflage bringen könnte. Damals hatte zudem die vorangegangene Hochzinspolitik der US-Notenbank die Situation verschärft. Sie müssen sich vorstellen, dass die Zinsen in den USA damals bei 5,25 Prozent lagen. Heute wird ja schon schwarzgesehen, wenn die Zinsen auf 2,25 Prozent steigen.
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Welche Schlussfolgerungen haben Sie gezogen?
Wir haben die Krisen 1987, 1994, 1998, 2000 und 2007 ganz gut gemeistert, da wir immer die monetären Rückschläge frühzeitig im Auge hatten, die dann ja auch in der Regel in eine Rezession mündeten. Soll heißen, dass vor allem die Geldpolitik der Notenbanken der entscheidende Faktor für die Börsen - später auch Gewinne und Konjunktur - ist, auch wenn die Fiskalpolitik wie unter Trump zuletzt mehr an Einfluss gewonnen hat.

Werden die Notenbanken nicht wieder Spielverderber, wenn sie die Zinsen zu stark anheben?
Ich glaube, die Fed hat aus dem Desaster 2008 die richtigen Schlüsse gezogen. Die Notenbank hat das Geschehen an der Wall Street seither wieder ganz fest im Auge. Und das zu Recht, ist die Entwicklung der US-Börsen doch ein Frühindikator für konjunkturelle Abschwünge. Zudem hat ein Aktiencrash ja auch reale Einkommensverluste zur Folge, da die Hälfte der Amerikaner Aktien besitzt und die ohnehin defizitären US-Pensionsfonds auf rund sieben bis acht Prozent jährliche Aktienkursgewinne angewiesen sind. Das heißt, dass die Notenbank viel vorsichtiger als 2008 handeln und bei aufkommenden Krisen schneller reagieren wird. Aus diesem Blickwinkel ist die Welt dank der Lehman-­Pleite durchaus sicherer geworden.
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Aber die Fed hat schon achtmal hintereinander die Zinsen angehoben, und weitere Schritte werden folgen.
Sicher, die Fed wird aber dieses Mal nicht 17-mal wie zwischen 2004 und 2006 aktiv werden - eben um die Konjunktur nicht zu stark auszubremsen. Aber sollte US-Notenbankchef Jerome Powell tatsächlich die Zinsen unerwartet stark anheben, etwa weil die Preise und Löhne zu schnell steigen, dann nimmt der Gegenwind an den Aktienmärkten natürlich weiter zu.

Wie groß ist der Handlungsspielraum der EZB?
Mario Draghi kann es sich erst recht nicht leisten, zu stark an der Zinsschraube zu drehen. Erstens zeigen sich ja schon wieder einige dunkle Wolken am europäischen Konjunkturhimmel, da wäre eine Zinserhöhung folgenschwer. Und zweitens muss er ja weiterhin Rücksicht auf die hoch verschuldeten Südländer wie Italien nehmen.

Wann wäre der monetäre Gegenwind für die Börse zu heftig?
Monetäre Indikatoren wirken erst mit Verzögerung. Deshalb kann ich mir jetzt zumindest noch keine richtige Baisse vorstellen. Insbesondere wenn man sich die weiterhin hohen Renditedifferenzen ansieht. Für deutsche Staatsanleihen mit zehn Jahren Laufzeit erhalten Sie heute gerade mal 0,6 Prozent Rendite, bei Dividendenpapieren gibt es rund 3,5 Prozent per annum. Erst wenn sich diese Werte annähern, ist Vorsicht angebracht. In den USA sieht es renditemäßig gefährlicher aus. Dreimonatszinsen bringen 0,5 Prozent mehr als die Aktienrendite.

Ist Italien vielleicht der Krisenherd, der einen neuen Crash auslösen wird? Zuletzt hat die Regierung in Rom ja die Märkte mit dem Haushaltsentwurf für das kommende Jahr geschockt?
Nein, ich glaube nicht, dass dies kurzfristig zu einer neuen Finanzkrise führen wird. Erstens steht das Land besser da, als viele meinen. Immerhin schreibt Italien ja einen Primärüberschuss, das heißt, ohne Zinszahlungen für seine Schulden könnte es einen ausgeglichenen Haushalt aufweisen, anders etwa als Frankreich oder Spanien. Und ehrlich gesagt finde ich den Weg der Italiener fiskalpolitisch gar nicht mal so falsch. Mehr Geld in die Hand zu nehmen, um die Konjunktur zu stützen, die auf wackeligen Beinen steht, macht ja durchaus Sinn.

Italien als Vorbild für die Euro­päische Union?
Ja, warum denn nicht? Monetär kann die EZB ohnehin derzeit nicht mehr viel ausrichten, um konjunkturelle Dellen auszugleichen. Warum sollten die Regierungen europaweit fiskalpolitisch nicht mehr Gas geben? Gleichzeitig hilft dieser Weg, EU- und eurokritische Popu­listen wie in Italien zu stoppen.

Halten Sie einen Euroaustritt ­Italiens für möglich?
Fakt ist, dass in keinem anderen Land so starke eurofeindliche Kräfte am Werk sind wie in Italien. Immerhin haben 70 Prozent der italienischen Wähler für europakritische Parteien votiert. Und selbst in Unternehmerkreisen gibt es für diese Haltung durchaus große Sympathien. Schließlich konnte Italien früher durch die Abwertung der Lira auf den Exportmärkten Boden gutmachen, ist mit eigener Währung daher bei Wachstum und Arbeitslosigkeit besser gefahren. Das fällt heute weg, und die Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft leidet. Auf der anderen Seite ist den Menschen schon durchaus bewusst, dass ein Euro-Aus die Importe nach Italien verteuern und den Lebensstandard senken würde. Aber den Euroaustritt halte ich eher für ein längerfristiges Bedrohungsszenario. Kurzfristig sehe ich derzeit noch kein größeres Italien-Problem.

Wird es den Euro in 20 Jahren noch in dieser Form geben?
Schwer zu sagen. Denn es gibt durchaus sehr starke Fliehkräfte, vor allem in den Peripheriestaaten, die gegen den Euro arbeiten. Vielen wird schmerzhaft bewusst, wie wichtig eine eigene Notenbank wäre, um eine eigene Wirtschaftspolitik monetär und fiskalpolitisch zu gestalten. Aber gleichzeitig bestehen auch starke Faktoren, die die Währungsunion zusammenhalten. So ist die Wirtschaft in den Euroländern inzwischen so stark vernetzt, dass ein Aus des Euro schwerwiegende Verwerfungen an den Märkten auslösen würde. Andererseits dürfte der Populismus wachsen, je länger der Euro besteht.

Können Brexit oder Trumps Handelspolitik die Börsen schocken?
Beim Brexit sehe ich gute Chancen, dass es zu einem weichen EU-Ausstieg der Briten kommt, auch wenn derzeit mit harten Bandagen gekämpft wird. Aber letztlich wird man sich aus beiderseitigem Interesse zusammenraufen.

Und Trump?
Das hängt entscheidend davon ab, ob Trump mit seiner Zollpolitik nur das Ziel verfolgt, Arbeitsplätze in die Vereinigten Staaten zurückzuholen und das Handelsbilanzdefizit mit China zu senken. Darin sehe ich kein größeres Problem für die Märkte vor dem Hintergrund, dass Chinas Regierung ohnehin die Exportabhängigkeit des Landes reduzieren will. Anders sieht es aus, wenn Trump geopolitische Ziele verfolgt und Chinas Aufstieg bremsen will. Da wären schwerwiegende Konflikte programmiert. Die könnten kata­strophale Folgen für den Welthandel und speziell Deutschland haben.

Inwiefern?
Weil Deutschlands Wirtschaft, auch gestützt durch die Einführung des Euro, inzwischen extrem export­orientiert ist. Fast 50 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung hängen mittlerweile von den Ausfuhren ab. Ein Einbruch im Welthandel trifft uns daher überproportional. Das heißt auch, dass speziell deutsche Exportaktien im Fall einer Eskalation des Handelsstreits großes Rückschlagpotenzial haben.

Die Stimmung gegen die Globalisierung hat ja nicht nur in den USA ­zugenommen. Was bedeutet dies?
Dass man sich als Anleger darauf einstellen muss, dass die Weltwirtschaft nicht mehr so dynamisch wachsen wird wie in den vergangenen 20 Jahren. Daneben führt auch die hohe Verschuldung der Staaten und Privathaushalte dazu, dass das Wachstumspotenzial nicht mehr so hoch sein wird.

Was sind Ihre Empfehlungen an­gesichts dieser Gemengelage?
Man wird sich mit einer gesunden Aktien-Philosophie wohl ganz gut durchschlagen können. So führt angesichts der weltweit weiterhin niedrigen Zinsen und der geringen Attraktivität des Renditeniveaus vieler Anleihen an Aktien von qualitativ hochstehenden Unternehmen kein Weg vorbei. Anderseits haben wir empfohlen, die Aktienquote von 80 auf 60 Prozent zurückzufahren, um den Risiken gerecht zu werden.

Welche Favoriten im Aktienbereich finden Sie interessant?
Interessant sind die weniger konjunktursensiblen, nichtzyklischen Aktienwerte, vor allem in den Branchen Gesundheitswesen und Nahrungsmittel & Getränke. Diese Branchen sind aktuell attraktiv bewertet, besonders außerhalb der USA, und zeichnen sich durch eine hohe Dividendenrendite aus. Zudem sind Aktien aus Japan interessant.

Was macht japanische Aktien so reizvoll?
Da spielt sich viel Positives auf politischer wie unternehmenstechnischer Ebene ab. So ist das Gewinnwachstum der japanischen Unternehmen positiv, die Konzerne kaufen ihre Aktien zurück, dazu haben sie viel Cash gehortet und sich beim Thema Unternehmensführung stark verbessert.

Und auf Regierungsebene?
Es machen sich die geld-, fiskal- und wirtschaftspolitischen Reformen von Premier Shinzo Abe bezahlt. Die Wirtschaft gewinnt an Fahrt, die Unternehmensgewinne steigen. Und was viele nicht wissen: Das Land öffnet sich langsam, es werden erstmals Ausländer ins Land geholt, um dem Fachkräftemangel zu begegnen. Zudem nimmt etwa die Beschäftigungsquote von Frauen deutlich zu.

Und US-Titel? Die Wall Street feiert ja einen Rekord nach dem anderen.
Da ist nicht alles Gold, was glänzt, auch wenn die Gewinne gestiegen sind. So profitieren die Kurse von den sehr starken Aktienrückkäufen. Sollte dieser Trend 2019 zu Ende gehen, könnte dies zu Rückschlägen führen. Mittelfristig gefährlich ist der hohe Verschuldungsgrad der Unternehmen, der sich bei der nächsten Rezession nachteilig auswirkt.

Wie schätzen Sie US-Technologie­titel ein?
Da sind die Kursgewinne und Bewertungen so weit gestiegen, dass Rückschläge größerer Art durchaus denkbar sind. Was häufig außen vor gelassen wird, ist das politische Risiko dieser Titel. Ob bei Facebook oder Amazon, die Geheimdienste werden die Daten der Unternehmen für sich immer stärker nutzen. Wie weit das gehen kann, macht China längst vor.

Was sind die Wachstumstreiber der kommenden Jahrzehnte?
Ich denke schon, dass Digitalisierung und künstliche Intelligenz das Wachstumspotenzial der Volkswirtschaften werden heben können. Das sehen wir auch bei uns hier in der Firma, indem wir über die Digitalisierung immer mehr Wachstum generieren.

Was heißt das bei Ihnen konkret?
Wir investieren in Forschung und Entwicklung und haben eine ganze Reihe junger Analysten eingestellt, welche auch programmieren können. Denn die Konkurrenz wird härter, das Research hat eine immer größere Bedeutung. Früher hat es gereicht, die Bundesbankpolitik vorherzusagen sowie einige gute deutsche Unternehmen herauszufiltern. Heute haben wir eine selbst entwickelte hauseigene Datenbank mit 3000 unterschiedlichen Indikatoren, die andauernd analysiert werden, um die richtige Anlagestrategie festzulegen. Das bedeutet auch, dass der Erfolg unserer Firma nicht mehr allein von Entscheidungen von mir oder meinem Sohn abhängt.

Angesichts der fortschreitenden Digitalisierung: Welche Bedeu- tung wird der Fondsmanager in 20 Jahren noch haben?
Die persönlichen Erfahrungen und Kontakte, die man sich im Laufe der Jahrzehnte angeeignet hat, wird kein Computer ersetzen können. So habe ich dank meiner Verbindungen nach Italien frühzeitig entscheidende Hinweise auf einen möglichen Wahlsieg der Populisten dort bekommen und dementsprechend italienische Anleihepositionen abgebaut. Auch beim Brexit und der Wahl von Donald Trump habe ich auf persönlicher Basis wichtige Einschätzungen bekommen. Das kann kein Computer allein schaffen.

Vita:
Die Legende: Jens Ehrhardt (76) promovierte 1974 zum Thema "Kursbestimmungsfaktoren am Aktienmarkt unter besonderer Berücksichtigung monetärer Determinanten". Im selben Jahr gründete der gebürtige Hamburger die heutige DJE Kapital AG. Als Vorstandschef wacht Ehrhardt inzwischen über ein Vermögen von rund 13 Milliarden Euro. Darüber hinaus lenkt er noch mehrere Portfolios, ­darunter den FMM-Fonds und den DJE - Concept 75. Sohn Jan Ehrhardt managt unter anderem den DJE - Dividende & Substanz und ist stellvertretender Vorstandschef des in Pullach bei München ansässigen Unternehmens.

Der Fonds:
DJE - Concept 75:
Dem DJE - Concept 75 (ISIN: LU 018 517 205 2) liegt die Analyse fundamentaler, monetärer und markttechnischer Indikatoren zugrunde. In normalen Marktphasen orientiert sich der weltweit anlegende Mischfonds mit der €uro-FondsNote 2 an laufenden Trends. In Extrem­situationen wie einer zu starken Börseneuphorie kann auch eine antizyklische Anlagestrategie eingeschlagen werden. Mit diesem Konzept fuhr das Portfolio in den vergangenen fünf Jahren ein Plus von 34 Prozent ein. Der Fonds ist derzeit mit 64 Prozent in Aktien, 26 Prozent in Anleihen investiert.






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Bildquellen: Axel Griesch für Finanzen Verlag, Dr. Jens Ehrhardt