EZB-Anleiheprogramm

Ist die EZB zu weit gegangen?

20.06.16 14:00 Uhr

Ist die EZB zu weit gegangen? | finanzen.net

Am Dienstag ist es endlich soweit: Dann entscheidet das deutsche Bundesverfassungsgericht, ob die Europäische Zentralbank mit ihren Hilfsmaßnahmen in der Eurokrise zu weit gegangen ist.

Am 21. Juni 2016 um 10.00 Uhr verkünden die obersten deutschen Richter, ob das Outright Monetary Transactions-Programm der EZB gegen das deutsche Grundgesetz verstößt. Kritiker der weitreichenden EZB-Maßnahmen hatten das Bundesverfassungsgericht aufgerufen, der Notenbank Einhalt zu gebieten.

Nach einer ersten Verhandlung in 2013 hatten die Verfassungsrichter deutlich gemacht, dass sie das Programm für rechtswidrig halten und den Fall dem Europäischen Gerichtshof (EuGH ) vorgelegt. Nach Einschätzung der deutschen Verfassungsrichter darf die Notenbank laut EU-Vertrag keine eigenständige Wirtschaftspolitik betreiben. Das Programm verstoße außerdem gegen das Verbot der Mitfinanzierung von Staatshaushalten. Der EuGH war allerdings kaum auf die Bedenken der Karlsruher Richter eingegangen und erklärte die Anleihekäufe für rechtmäßig.

Was ist das OMT-Programm?

Die EZB hatte im Jahr 2012 das Programm Outright Monetary Transactions (OMT) für den Fall zugesagt, dass sie die Anleihezinsen eines Landes für zu hoch hält, weil die Finanzmärkte unterstellen, dass dieses Land gegen seinen Willen die Eurozone verlassen muss. Damit hat sie die Absicht bekundet, notfalls unbegrenzt Anleihen einzelner Euro-Krisenstaaten zu kaufen, vorausgesetzt, sie verpflichten sich zu Einsparungen und Strukturreformen.

Die obersten Währungshüter wollten damit verhindern, dass einzelne Staaten von Spekulanten aus dem Euro gedrängt werden. Obwohl das OMT-Programm wesentlich zur Beruhigung der Märkte beigetragen hat und obwohl es letztlich nie umgesetzt wurde, löste schon die bloße Ankündigung eine Klagewelle aus. Allein der Verein "Mehr Demokratie" mit der früheren Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) vertritt mehr als 11 000 Kläger.

Warum die Kritik?

Kritiker werfen der EZB vor, ihr geldpolitisches Mandat überschritten zu haben. Sie verweisen darauf, dass das OMT-Programm nur die Anleiherenditen einzelner Länder beeinflussen soll, und nicht den gesamten risikofreien Zins.

"Wir als Bundestag haben die Europäische Zentralbank nicht berechtigt, Erfinder, Durchsetzer und Kontrolleur zugleich zu sein", erklärte der Linke-Politiker Gregor Gysi in einer mündlichen Verhandlung im Februar 2016.

Und der Freiburger Staatsrechtsprofessor Dietrich Murswiek, der für den CSU-Politiker Peter Gauweiler spricht, kritisierte, das sogenannte OMT-Programm sei gleich "in mehrfacher Hinsicht mit dem Demokratieprinzip unvereinbar". Für ihre Maßnahmen fehle der Notenbank die demokratische Legitimation.

Verfassungsgericht steht vor einem Problem

Nun muss Karlsruhe entscheiden, ob es bei seinem negativen Votum bleibt. Die Verfassungsrichter stehen dabei vor einem Dilemma: Sie prüfen allein nach den Maßstäben des Grundgesetzes. Sollten sie jetzt das OMT-Programm als verfassungswidrig einstufen, würde viel europäisches Porzellan zerschlagen. Ein offener Konflikt mit den Luxemburger Gericht wäre deshalb die Folge. Es ist sogar zu befürchten, dass der Bestand des Europarechts wackeln könnte, wenn nationale Gerichte stets das letzte Wort hätten.

"Wenn es dazu kommt, könnte das BVerfG deutschen Institutionen wie dem Bundestag und der Bundesbank vorschreiben, auf eine Aufgabe des OMT-Programms hinzuwirken", warnt Johannes Mayr, Teamleiter Volkswirtschaft bei der Bayerischen Landesbank. "Noch härter wäre es, wenn die Richter der Bundesbank eine Teilnahme am OMT-Programm untersagen." Dass dies geschehen wird, glaubt der Experte allerdings nicht. Der EuGH sei schon auf die Bedenken des Verfassungsgerichts eingegangen, indem es für OMT bestimmte Auflagen genannt habe. "Dies könnte den Karlsruher Richtern den Weg bereiten, trotz bestehender Bedenken dem OMT-Programm zuzustimmen," so der Experte. Es bleibe aber ein Restrisiko.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Eine Gruppe von Wirtschaftsexperten hat einen Kompromiss vorgeschlagen: Nach Ansicht des sogenannten Kronberger Kreises, zu dem unter anderem das Mitglied im Sachverständigenrat Lars Feld sowie der neue Ifo-Chef Clemens Fuest gehören, könnte das Verfassungsgericht dem EuGH-Urteil nur im Ergebnis aber nicht in der Begründung folgen. Auf diese Weise würden sich die Richter für die Zukunft eine eigene Überprüfung geldpolitischer Schritte anhand eigener Maßstäbe vorbehalten, ohne dabei das Urteil des Luxemburger Gerichts zu kippen.

Kein Ende des Streits in Sicht

Im Mai 2016 ging beim Bundesverfassungsgericht eine neue Beschwerde gegen die EZB ein. Die Kläger stören sich an den geplanten Ankäufen von Unternehmensanleihen, die aus ihrer Sicht ein Bilanzrisiko für die beteiligten Eurosystem-Zentralbanken darstellen.

Redaktion finanzen.net mit Material von Reuters, dpa und Dow Jones

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