Quantitative Easing und kein frühes Ende in Sicht

Viel weiter könnten sich die beiden Seiten des Atlantiks in ihrer Zinspolitik nicht entfernen.
Erst im Juni verkündete der US-Notenbanker Jerome Powell erneut, dass der amerikanische Leitzins bald angehoben werden könnte - vorausgesetzt, die US-Wirtschaft entwickelt sich weiter positiv. In Europa hingegen werden die Zinsen, die seit September 2014 auf einem Rekordtief von 0,05 Prozent liegen, auf dem von Zentralbankchef Mario Draghi initiierten niedrigen Zinsniveau bleiben. Auch die Lockerungspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), das sogenannte Quantitative Easing (QE), wird wohl bis mindestens September 2016 anhalten. Erwartungen einiger Investoren, dass das QE der EZB früher als geplant ein Ende finden könnte, teilt Standard & Poor’s Ratings Services nicht. Dafür sehen wir drei gute Gründe.
1. Die Erholung der Eurozone ist nach wie vor fragil
Die wirtschaftliche Erholung der Eurozone kam überwiegend aus dem Binnenraum. Einzelne Länder verzeichnen moderate Erfolge: So erhöhte sich beispielsweise das französische BIP um 0,6% gegenüber dem ersten Quartal. Allerdings: Während die Konsum- und Staatsausgaben in Frankreich um 0,8% bzw. 0,4% anstiegen, nahmen die Unternehmensinvestitionen im ersten Quartal nur um magere 0,2% zu, nachdem sie im vorangegangenen Quartal noch ein negatives Wachstum verzeichnet hatten.Für Deutschland ergibt sich angesichts des soliden Quartalswachstums der Investitionen von 1,5% ein positiveres Bild. Spanien konnte sogar den siebten Anstieg in Folge beim Bruttoinlandsprodukt verbuchen, da die Unternehmensinvestitionen sich auf 1,3% ausweiteten. Trotzdem ist das spanische BIP sieben Jahre nach der Finanzkrise immer noch 9% unter dem damaligen Höchststand. Trotz der teilweise positiven wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Länder ist nicht sicher, ob die Erholung in der Eurozone auch nachhaltige Wirkungen zeigen wird. Außerdem bleibt unklar, ob die erhoffte Erholung sich auch auf Unternehmensinvestitionen ausweiten wird.
2. Inflationsentwicklung wird QE nicht stoppen
Zweitens wird sich die EZB auf Trends der Inflationsentwicklung konzentrieren, um so unerwartete Auswirkungen der Inflation nach beiden Richtungen zu prüfen. Angesichts der Ölpreis-Wende - deren Auswirkungen von S&P in dem im April erschienenen Bericht "Billiges Öl und ein expansives QE-Programm stützen die wirtschaftliche Erholung in der Eurozone" genauer untersucht wurden - schwinden die Basiseffekte, die aus dem letztjährigen Fall der Ölpreise entstanden sind. Daher erwartet S&P, dass die "Headline-Inflation" sich zum Ende des Jahres hin positiv entwickeln wird. Trotzdem wird dies aus Sicht von S&P nicht ausreichen, um die EZB zu veranlassen, ihr QE-Programm zu beenden. Denn die Kerninflationsrate schwankt nach wie vor aus mehreren Gründen um nur 0.6% im Jahresvergleich. Dazu zählen beispielsweise interne Abwertungen in den meisten Peripheriestaaten, um die Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen und außenwirtschaftliche Ungleichgewichte zu korrigieren.3. EZB-Chef Draghi hält an Niedrigzinspolitik fest
Drittens bestätigte EZB-Präsident Mario Draghi erst kürzlich in einer Rede die Bereitschaft der Notenbank, mit der von ihm initiierten Geldpolitik fortzufahren. Er sprach davon, dass die zyklische Erholung fast perfekte Bedingungen hervorbringe, die es den Regierungen der einzelnen Länder ermöglichen würde, sich mehr mit systemischen und strukturellen Reformen zu beschäftigen. Die Geldpolitik könne die Wirtschaft wieder zurück zu ihrem eigentlichen Potenzial bringen. Strukturelle Reformen wären in der Lage, das potenzielle Wachstum der Eurozone zu steigern.
Genau dies wird aber nach Schätzung von S&P sicher einige Zeit brauchen. Dementsprechend glauben die Analysten, dass die EZB ihren Kurs des Quantative Easing zunächst bis mindestens September 2016 beibehalten wird, um die Nachfrage nachhaltig zu stärken, die Inflationserwartungen anzuheben und strukturelle Reformen zu befördern. Von Sophie Tahiri, Ökonomin bei Standard & Poor’s Ratings Services in Paris
Hier kommentieren jede Woche Analysten von Standard & Poor’s Credit Ratings Services (S&P) die Entwicklungen in der Wirtschaft und an den Finanzmärkten - und welche Herausforderungen sich daraus für Wachstum und Stabilität ergeben. S&P ist seit 30 Jahren mit inzwischen neun Standorten in Europa vertreten, im Frankfurter Büro arbeiten 120 Mitarbeiter aus 19 Ländern. Mehr Infos unter www.spratings.de
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