Vermögensverwalter-Kolumne

Der gordische Renditeknoten

14.01.20 08:08 Uhr

Der gordische Renditeknoten | finanzen.net

Stellen Sie sich vor, dass Sie in der Wüste gestrandet sind. Je länger Sie nach einem Weg heraussuchen, desto verzweifelter und durstiger werden Sie. Nun meint es das Schicksal gut mit Ihnen und Sie treffen auf einen pfiffigen Unternehmer, der sich auf das Angebot von Wasser in der Wüste spezialisiert hat.

Wieviel sind Sie bereit für eine Flasche Wasser zu bezahlen? Nun - Sie werden den Preis zahlen, den der Händler verlangt. Denn sonst verdursten Sie. Das knappe Angebot und Ihre Notsituation lassen Ihnen keine Wahl. Nun stellen Sie sich vor, dass Sie nicht alleine am Stand stehen und es auch nur begrenzt Wasser gibt. Ein Bieterwettbewerb entfacht und die Angebote steigen weit über das, was üblich wäre oder was der Händler ursprüng-lich einmal verlangt hatte. So oder so ähnlich erscheint einem heutzutage der Kapital-markt. Überall dort wo eine Restrendite vermutet wird, entbrennt ein Bieterwettbewerb um das rare Gut Rendite.

Im klassischen Portfoliokontext von Liquidität, Anleihen und Aktien stellt sich der Bie-terwettbewerb aktuell wie folgt dar: Liquidität wird durch Negativzinsen unsittlich be-drängt. Der Anleihenmarkt in Euro, Schweizer Franken oder Britisches Pfund ist leerge-fegt und rentiert überwiegend negativ. In US-Dollar gibt es weiterhin Restposten, deren Attraktivität jedoch ebenfalls gelitten hat. Und für die «Mutigen» gibt es wie immer noch Anleihen von Schwellen- und Entwicklungsländern. Nur wer unbedingt muss, kauft Anleihen, denn wer «sichert» sich schon gerne negative Renditen. Bleiben Aktien. Aktien sind in dem Sinne interessant, als dass die Bestimmung des intrinsischen Werts einer Aktie dehnbar ist. Je nach Annahme können Anleger fast jeden «Preis» rationali-sieren. Der gordische Renditeknoten.

Teuer oder nicht teuer - das ist hier die Frage

Die uns und alle Investoren umtreibende Frage ist die nach dem Bewertungsniveau von Aktien. Sind diese nun teuer oder nicht? Als Ausgangspunkt zu dieser Fragestellung ein Zitat von Warren Buffett aus seinem Interview mit CNBC vom 6. Mai 2019: "I think stocks are ridiculously cheap … if you believe that 3% on the 30-year bonds makes sense." Seit seiner Aussage sind die Zinsen auf 30-jährige US Staatsanleihen weiter gefallen und notieren aktuell bei 2,3 Prozent. Wir wollen nicht spekulieren, wie sich die Zinsen ge-nau entwickeln, wagen jedoch folgende Aussage: Bis auf Weiteres bleiben Zinsen nied-rig. Die Welt scheint aufgrund der hohen Verschuldungsniveaus der öffentlichen Haus-halte höhere Zinsen schlicht nicht zu vertragen. Gleichzeitig scheint Kapital in einer von Zentralbanken dominierten Finanzwelt nicht mehr der limitierende Faktor. So scheint bis auf Weiteres ein Fortschreiben des Niedrigzinsumfelds das Grundszenario der meis-ten Anleger zu sein.

Wenn dem so ist, dann rückt der Bieterwettbewerb um die letzten Renditequellen wei-ter in den Vordergrund - insbesondere auch, wenn das Halten von Liquidität bestraft wird (was ökonomisch Unsinn ist und vor allem bei Vorsorgewerken und Privatsparern zur Tragödie führen wird). Aber schauen wir uns diesen Wettbewerb etwas genauer an.

Wenn nun Liquidität von Negativzinsen bedroht ist und Anleihen zu Null oder negativ rentieren, werden Aktien als «letzte» verbliebene Renditequelle verstärkt ins Visier genommen. Der Druck ist hoch. Die Kernfrage dabei lautet - zu Recht?

Eine einfache Annäherung ist die Dividendenrendite, die über die letzten 20 Jahre rela-tiv stabil geblieben ist. Aktuell tendiert die Dividendenrendite bei zwei Prozent für den US Markt, drei Prozent für den Schweizer Markt und vier Prozent für den Europäischen Aktienmarkt. Wenn man für die nächsten zehn Jahre ähnlich hohe Dividendenrenditen annimmt, ergibt sich ein gigantischer Renditeunterschied zu negativ rentierenden An-leihen oder Cash.

Was wir wissen und was wir nicht wissen

Nach einer nun über zehn Jahre andauernden Aktienhausse und einem herausragend Aktienjahr 2019 stehen die meisten Aktienmärkte nahe ihrer Allzeithochs. Ebenfalls sind die Bewertungsniveaus im Vergleich zu historischen Standards hoch. Gleichzeitig befinden wir uns in der zuvor beschriebenen Renditewüste und stehen inmitten eines Bieterwettbewerbs um die verbliebenen Renditequellen. Bleibt dies so, sind Aktien at-traktiv. Dies setzt natürlich auch voraus, dass das Wirtschaftsumfeld und die Zentral-bankpolitik weiterhin unterstützend bleibt. Niemand kann dies vorhersehen, aber es ist auch nicht völlig auszuschliessen.

von Dr. Patrick Cettier, Geschäftsführender Partner der Prio Partners GmbH in Zürich/ Schweiz

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