Wie geht es bei DAX und Gold weiter, Robert Halver?
Robert Halver spricht im Interview über die Allmacht der Notenbanken, die Bedeutung der chinesischen Volkswirtschaft - zudem gibt er einen Ausblick für den DAX und für Gold.
von Benjamin Summa
An den chinesischen Börsen hat es zuletzt wieder gewaltig gerappelt. Der Shanghai Composite sackte regelrecht ab, knapp 3,5 Billionen Dollar Börsenwert haben sich in Rauch aufgelöst. Diesem Negativtrend konnte sich auch der Dax zum Wochenstart nicht entziehen. Wie bewerten Sie die Gefahr, die vom chinesischen Aktienmarkt ausgeht?
Robert Halver: Gegenüber einem wirtschaftlichen Absturz Chinas wäre Griechenlands Schuldenproblem ein Kindergeburtstag. Gerade für unsere deutschen Unternehmen hat der chinesische Markt eine große Bedeutung als Absatzmarkt. Er hat uns gut durch die Finanz- bzw. Euro-Staatsschuldenkrise gebracht. China war damals unsere konjunkturelle Sorgenpause. Doch jetzt machen heiß gelaufene Immobilienmärkte sowie Kredit- und Finanzmarktblasen dem Land der Mitte schwer zu schaffen. China hat klar an Zugkraft eingebüßt. Die Pekinger Kommandowirtschaft reagiert hektisch mit staatlichen Maßnahmen, um das Platzen der Blasen zu verhindern und damit volkswirtschaftliche Kollateralschäden zu begrenzen. Diesen schlafenden Hund will China nicht wecken. Denn wenn nach der bereits luftdruckschwachen Immobilienblase auch noch die Aktienblase so richtig platzen würde wie bei uns der Neue Markt, fiele in China Aschermittwoch und Karfreitag auf einen Tag. Die zur Altersvorsorge gezwungenen Chinesen - mit der Ein-Kind-Politik ist die innerfamiliäre Absicherung nicht mehr gesichert - würden ihr Portemonnaie zunageln und statt zu konsumieren nur noch angstsparen. Selbst die allmächtige KP kann dann keinen Aufschwung mehr befehlen. Das hätte massiv negative Auswirkungen auf Chinas Volkswirtschaft. Ich glaube aber nicht, dass China einen konjunkturellen Husten und die Weltwirtschaft eine deflationäre Grippe bekommt. China wird die marktwirtschaftliche Kurve mit viel manipulativem, planwirtschaftlichem Doping noch einmal kriegen. Politiker anderer Länder werden dabei brav zuschauen und den Mund halten. Denn China ist für die Weltwirtschaft systemrelevant. China wird gepampert wie ein verwöhntes Einzelkind. Es darf alles, weil es allen nutzt: An Chinas wirtschaftlichem Wesen soll die Weltkonjunktur genesen. Und wenn es denn sein muss, wird die chinesische Geldpolitik der neue Superstar unter den Notenbanken. Zur Not wird Chinas Notenbank bei jeder großen Aktiengesellschaft Rotchinas Großaktionär, um einen massiven Einbruch am Aktienmarkt zu verhindern. Ausländische Finanzmärkte wie auch der DAX werden meines Erachtens also nicht dauerhaft unter dem Thema "China" in Mitleidenschaft gezogen.
Die bisherige DAX-Jahresbilanz sieht mit einem Plus von 14 Prozent insgesamt gar nicht so schlecht aus. Welche Erwartungen haben Sie an die zweite Jahreshälfte: Wo sehen Sie Chancen, wo lauern Risiken für den deutschen Aktienmarkt?
Der Lack an Chinas Konjunktur ist zwar nicht ab, aber er glänzt weniger. Sein Wirtschaftswachstum wird zukünftig skeptischer betrachtet werden. China bleibt zumindest ein mentales Risiko, auch weil nicht jedem Anleger die Planwirtschaft, die künstliche Befruchtung schmeckt. Die Griechenland-Krise ist vorerst als Problemherd deutlich in den Hintergrund gerückt. Doch machen wir uns nichts vor. Der ewig währende Länderfinanzausgleich für Hellas ist politisch beschlossene Sache, nur sagen uns das noch kein Politiker und keine Politikerin. Spätestens Ende August reden wir über eine weitere Brückenfinanzierung über mindestens fünf Milliarden. Na ja, die Steuerzahler der Geberländer haben es ja. Die Krise des Troublemakers Athen ist also nur aufgeschoben, nicht aufgehoben. Spätestens nach der Bundestagswahl reden wir dann über das vierte Hilfspaket.
Eine gewisse Gefahr geht ebenso von den fallenden Rohstoffpreisen aus. Der Ölpreis wird politisch und technisch unter Druck gesetzt. Zunächst darf der Iran mit seinen großen Ölreserven allmählich wieder an den Energiemärkten mitspielen. In diesem Zusammenhang kommt aber der gewaltigste Preisdruck aus Saudi-Arabien. Denn damit das Land seine Marktanteile in Europa und Asien gegenüber dem Iran halten kann, werfen die Saudis so viel Öl auf den Markt wie die Modeindustrie Klamotten beim Sommerschlussverkauf. Dass die Weltwirtschaft derzeit regelrecht in Öl baden kann, macht sich bereits in einer schweren Sommerdepression an den Terminmärkten bemerkbar. Ohnehin gibt es da noch einen großen "Öl-Put", sozusagen eine Versicherung gegen steigende Ölpreise: Bei spätestens 70 US-Dollar für konventionelles Öl wird die alternative Förderung von Fracking-Öl attraktiv. Insgesamt sind wir damit von einer dramatischen Ölpreiswende nach oben oder sogar - nach 1973 und 1979 - von einer dritten Ölkrise so weit entfernt wie Pluto von der Erde. Neben Öl sind auch Industriemetalle keine Preistreiber. Klar wird das beim konjunkturellsten aller Konjunkturmetalle: Kupfer befindet sich auf einem Sechsmonatstief. Im Frühjahr versuchte das Metall zwar einen Ausbruch, scheiterte aber schließlich kläglich. Und auch die anderen wichtigen Industriemetalle folgen Kupfer auf dem Weg nach unten. Kupfer ist der Leitwolf unter den Industriemetallen. Sinkende Rohstoffpreise wirken sich für die typischen Rohstoffländer wie Brasilien, Russland oder den Nahen Osten fatal aus. Sie hemmen ihre Kaufkraft ähnlich wie massive Steuer- und Zinserhöhungen. Damit bremsen sie auch die Weltkonjunktur ab. Und leider können sinkende Rohstoffe auch zu Deflationierungstendenzen - also zur Abschwächung der Preissteigerung - führen. Das ist Gift für die Konjunktur und auch die Aktienmärkte, nicht zuletzt weil sie die weltweit überbordenden Schuldenstände nicht mehr ordentlich wegrationalisiert.
Um aber ganz sicher zu gehen, dass aus einer Deflationierung keine waschechte Deflation wird, bleiben alle Notenbanken auf der Überholspur. Die US-Leitzinswende wird ein Sturm im Wasserglas. Und die chinesische Zentralbank wird auch die Geldschleusen öffnen.
Es ist nicht abzusehen, wann die EZB die extrem expansive Geldpolitik zurückfährt. Das ist vor allem für europäische Aktien eine gute Nachricht, oder?
Die Europäische Zentralbank denkt im Gegensatz zur Fed gar nicht daran, restriktiv zu agieren und die extreme Geldmengenausweitung einzudämmen. Zur weiteren Festigung der Konjunktur - auch im Sinne einer zinsgünstigen Staatsschuldenfinanzierung - bleibt die EZB der Big Spender von billigem Geld und viel Liquidität. Für die EZB gibt es gar keinen Grund für ein Anziehen der Schrauben. Es gibt kein Problem, das so groß wäre, dass es nicht mit Geld gelöst werden könnte. Mario Draghi ist ein Meister, auch im Spiel ohne Ball. Er weiß, dass allein schon geldpolitische Worte zerstören, wo sie nicht hingehören. Seine Verbalerotik wirkt auf die Euro-Rentenmärkte so sanft und beruhigend wie Musik der Marke "Kuschelrock". Er ist der Finanzfriedensnobelpreisträger der Eurozone: Konjunkturelle, soziale und überhaupt systemische Sorgen werden einfach mit viel barmherziger Liquidität heruntergespült. Je länger die Notenbanken Liquidität schaffen, um Schulden- bzw. Konjunkturkrisen zu unterdrücken, desto mehr werden die Anleiheblasen aufgebläht und umso größer wird das Risiko ihres Platzens, d. h. eines finalen Crashs der Finanzwelt. Daher ist die globale Geldpolitik in der Dauer-Rettungsschleife: Ohnmächtig ist sie dazu gezwungen, mit ihrer Allmacht das Zinsänderungsrisiko klein zu halten.
Die Liquiditätshausse wird im Vergleich zu früher erstens nicht gestoppt, zweitens wird sie über billiges Kreditgeld die fundamentalen Kräfte stärken, also auch eine Konjunkturhausse nach sich ziehen. Und drittens unterdrückt die notenbankseitige Vollkaskoversicherung die Schwankungsbreite an den Aktienmärkten. Der DAX läuft bis Jahresende weiter, deutlich über 12.000 Punkten. Vor diesem Hintergrund hat sich auch die Risikoaversion an den Aktienmärkten markant zurückgebildet. Angesichts des aktuellen VDAX-Volatilitätsindex kann von hohem Risiko ohnehin nicht die Rede sein.Und wann gibt es mal wieder richtig Zinsen? Nie mehr! Die Rückkehr zur geldpolitischen Normalität ist nur eine Illusion für unverbesserliche Bundesbank-Romantiker. Vor diesem Hintergrund glaube ich, dass die europäischen Werte - auch die deutschen Aktien - gegenüber den US-amerikanischen die Nase vorne haben werden. Insgesamt hat Europa gegenüber den USA die fundamental attraktiveren Aktien: Lag das Gewinnwachstum in den USA seit Anfang 2013 deutlich über dem der Eurozone bzw. dem von Deutschland - zwischen 2012 und 2013 schrumpften hier sogar die Gewinne -, so hat sich mittlerweile eine Trendwende abgezeichnet.
Auch die Beilegung der griechischen Schuldenkrise stützt die positive Einschätzung europäischer Aktien. Die Finanzprobleme Griechenlands werden zwar wiederkommen, einstweilen hat die politische Krise in der Eurozone jedoch deutlich an Kraft verloren.
Sie haben es angesprochen: Der niedrige Ölpreis wirkt wie ein riesiges Konjunkturprogramm - die meisten Unternehmen sollten hiervon profitieren. Welche Erwartungen haben Sie an die angelaufene Berichtssaison?
Die deutschen Unternehmen profitieren vom insgesamt schwachen Euro und leiden im Durchschnitt an Kostensenkungsmaßnahmen. Für mich ist aber die Vergangenheitsbewältigung nicht von großem Interesse. Es geht doch vor allem um die Ausblicke, die Zukunft der Unternehmen. Der Dreiklang aus billigem Geld, einer schwachen Währung und günstigen Rohstoffpreisen hilft Deutschland und vielen Ländern Europas ganz erheblich. China muss man sicherlich als theoretisches Handicap betrachten, doch wird das Land weiter wachsen, wenn auch nicht mehr so stark. Hilfreich ist sicherlich auch der volkswirtschaftliche Nachholbedarf in Frankreich, Italien und Spanien. Die Konjunkturstimmung in der Eurozone zeigt sich gemäß der Einkaufsmanagerindizes für das Verarbeitende Gewerbe zumindest stabil. Als Vision kommt das Wirtschaftspotenzial des Irans hinzu, wo die Sanktionen allmählich auslaufen werden. Hier bieten sich insbesondere für deutsche Industriewerte angesichts der maroden Infrastruktur hervorragende Perspektiven.
Die Finanzmärkte erwarten die erste Zinsanhebung seitens der US-Notenbank Fed nach einer langen Phase extrem niedriger Zinsen. Glauben Sie an einen spürbaren Zinsschritt?
Die US-Leitzinswende wird keine Wurzelbehandlung werden, sondern eine Zahnreinigung. Sie muss zwar aus Glaubwürdigkeitsgründen kommen, aber mit Blick auf die US-Konjunkturdaten, die lange nicht mehr so robust daherkommen wie früher, wird diese nur in homöopathischen Dosen gemacht werden. Die US-Notenbank ist kein Brunnenvergifter für Aktien. Selbst wenn die US-Leitzinswende im September oder eher Dezember kommt, braucht sich kein Anleger vor einer Zinspolitik wie zwischen 2004 und 2006 zu fürchten: Mit einem Anstieg von einem auf 5,25 Prozent hatte der frühere Notenbankpräsident Ben Bernanke damals nicht nur die ungeliebte Immobilienblase wie eine lästige Fliege auf der Vase zerschlagen, sondern die Vase gleich mit: Mit einem Schlag sind auch die Weltkonjunktur und die Weltaktienmärkte zerbrochen.
Diese Fehler werden Fed-Chefin Yellen nicht passieren. Einem bereits ladegehemmten China will sie nicht auch noch eine Kapitalflucht in das zinsattraktive Amerika zumuten. Außerdem schürt die aktuelle Rohstoffpreisschwäche keine Inflations-, sondern eher Deflationstendenzen. Frau Yellen hat einen weiten Spielraum für die zinsseitige Zurückhaltung.
Bisher scheint das Vertrauen der Marktteilnehmer in die Notenbanken unerschütterlich zu sein. Diese pumpen weiter Geld ins Finanzsystem und treiben damit die Aktienkurse. Was könnte dieses Ur-Vertrauen erschüttern?
Politikbedingte und exogene Schocks könnten das Vertrauen erheblich erschüttern. Der Russland-Ukraine-Konflikt fällt mir hier als Beispiel ein. Diesen Konflikt einzuschätzen ist sehr schwer. Es ist zu hoffen, dass eine anhaltend weitsichtige deutsche-französische gegen eine manchmal zu heftig auftretende US-Politik die Oberhand behält. Ein Schock wäre es sicherlich auch, wenn sich die wirtschaftliche Situation in China verschärfen sollte. Dies wird aber mit allen lauteren wie unlauteren Mitteln verhindert. Auch eine wider Erwarten groß angelegte Zinswende in den USA wäre ein solcher Schock. Frau Yellen ist aber nicht für geldpolitischen Selbstmord bekannt. Die Gefahr für Aktien, dass bei den spanischen und portugiesischen Parlamentswahlen extreme Parteien in die Regierungsverantwortung kommen, sehe ich nicht. Laut Umfragen ist "Podemos" in Spanien zurückgefallen.
An Krisen und damit Gründen für steigende Goldpreise mangelt es nicht. Warum kam es trotzdem zum Crash beim Goldpreis?
Für Gold spricht auch, dass es im Gegensatz zu Geld nicht beliebig vermehrbar ist. Die drei größten Notenbanken der Welt - Fed, EZB, Bank of Japan - betreiben mit Wollust die wundersame Geldvermehrung, um über künstlich gedrückte Staatsanleiherenditen Schuldenkrisen zu bekämpfen und Währungen zum Wohle der Exportwirtschaft abzuwerten. Bei diesen fantastischen Drei wird es nicht bleiben. Auch andere Notenbanken wie die in China schwenken auf den Pfad des "Quantitative Easing" ein. Mit geldpolitischer Planwirtschaft will Peking die Anlageblasen vom Platzen abhalten und so die Marktwirtschaft retten. Gegen das Weltmeer Geld ist Gold ein Froschtümpel, ein knappes, tatsächlich real existierendes, nicht nur virtuelles Gut.
Ein ganzes Arsenal an Argumenten spricht meiner Meinung nach theoretisch für steigende Goldpreise. Doch die Praxis sieht völlig anders aus. Nach seinem Hochstand im Jahr 2011 von 1.900 US-Dollar je Unze ist Gold zuletzt unter 1.100 US-Dollar und damit auf den niedrigsten Stand seit Anfang 2010 gefallen. Schuld" daran sind die Notenbanken. Sie sind nicht nur perfekte Zinsdrücker, sie sind auch erfolgreiche Goldpreisdrücker. Das machen sie allerdings nicht selbst. Das lassen sie von "befreundeten" Geschäftsbanken über die Terminmärkte machen. Wie wollen wir es nennen: einflussnehmende Manipulation oder manipulative Einflussnahme? Wie auch immer, aus Sicht der Notenbanken macht das Ganze Sinn. Denn die Rettung des Weltfinanzsystems wird mit "Geld" betrieben. Da kann man keine Konkurrenzwährung "Gold" gebrauchen. Vor diesem Hintergrund wird Gold keine massive Kursbefestigung wie zwischen 2008 bis 2012 erleben können, so sehr sie auch fundamental gerechtfertigt wäre. Die geldpolitische Allmacht hat etwas dagegen. Die mangelnde Dynamik des Goldpreises stört mich aber überhaupt nicht. Physisches Gold war, ist und bleibt eine grundsätzlich solide Vermögensversicherung gegen finanz- und geopolitische Risiken.
Wie würden Sie derzeit 50.000 Euro konkret für den Vermögensaufbau anlegen?
Für einen längerfristigen Anlagehorizont sollte die Aktienquote den Schwerpunkt mit 60 Prozent bilden. Edelmetalle und sonstige Rohstoffe sollten 15 Prozent ausmachen, ebenso Immobilienanlagen. Die restlichen 10 Prozent sind die Liquiditätsreserve. Innerhalb der Aktienquote sind derzeit europäische Aktien den amerikanischen vorzuziehen. In Asien ist Indien China vorzuziehen. Japan bleibt der Geheimtipp aufgrund seiner dramatisch üppigen Geldpolitik, die die Staatsverschuldung aufkauft und damit den japanischen Pensionsfonds - den größten der Welt - die Möglichkeit gibt, Aktien zu kaufen. Kein Aktienmarkt eines Industrielandes hat zudem so viel Nachholpotenzial wie der in Japan. Bei Branchen ist wegen der Konjunkturförderung auf konjunktursensitive Aktien zu achten. Daneben bleiben die Substanztitel, z. B. der Branchen Konsum, Pharma und Telekom, mit ihren hohen Dividendenrenditen als Ersatzbefriedigung für die verloren gegangenen Zinserträge - die auch nicht wiederkommen werden - die erste Wahl. Wichtig ist, dass die einzelnen Vermögenspositionen im Zeitablauf atmen.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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Bildquellen: Simon Katzer, Robert Halver