Robert Halver: "Die Jahresend-Rally im DAX ist nicht abgesagt"
Börsenexperte Robert Halver spricht im Interview über VW, China, die US-Zinswende und Gold. Er glaubt an eine Jahresendrally.
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von Benjamin Summa
Herr Halver, beim deutschen Vorzeigeunternehmen Volkswagen ist nichts mehr so, wie es vorher schien: Der Aktienkurs ist eingebrochen, sehr viel Vertrauen wurde verspielt, die Marke ist beschädigt. Wie schätzen Sie die Affäre "VW" ein: Findet hier gerade eine mediale Übertreibung statt oder sehen Sie tatsächlich die Gefahr einer nachhaltigen Beschädigung des Wirtschaftsstandortes Deutschland?
Robert Halver: Das Schlimme ist, dass wir ohnehin schon drei Problem-Branchen in Deutschland hatten: Die Banken werden kaputtreguliert, die Versicherer leiden unter den mickrigen Zinsen und die Versorger wurden vor allem durch wahlpopulistische Manöver nach der Fukushima-Krise zum Abschuss freigegeben. Und jetzt noch VW. Rational betrachtet bauen wir weiterhin großartige Autos. Das Problem ist aber das psychologische Element, das Anleger-Kopfkino. Durch die dicke Luft, die VW verursacht hat, werden im wichtigsten Investorenland der Welt, den USA, plötzlich skeptische Fragen nach dem Geschäftsmodell "Made in Germany" gestellt. Man hat die amerikanischen Spürhunde geweckt. Amerika hat plötzlich ein neues Anlagethema gefunden: In Anlageausschusssitzungen großer Kapitalsammelstellen wird laut darüber nachgedacht, ob die eigentlich nie hinterfragte Liebe zu deutschen Industriewerten noch berechtigt ist.
Die internationale Anlagewelt unterzieht die deutsche Industriekultur sozusagen einem TÜV-Test?
Über Nacht scheint sich das große angelsächsische Kapital zu überlegen, ob der zyklische DAX-Index nicht eher der Old Economy zuzuordnen ist. Jetzt wird auf einmal bemängelt, dass es ihm an New Economy fehlt. Ja, tatsächlich könnte man ins Grübeln kommen, wenn man bedenkt, dass die zwei amerikanischen Zukunftsfirmen Apple und Google mehr wert sind als der gesamte DAX zusammen. Wo sind denn unsere deutschen digitalen Zukunftsunternehmen? Ja, sicherlich findet man unsere Chemie- und Pharmafirmen erstklassig. Doch wo - so wird frevelhaft weitergefragt - sind die aufstrebenden Biotech-Firmen, denen die Pharma- und die Chemie-Zukunft gehören? Die tummeln sich eher in Amerika und Asien. Tatsächlich müssen wir hierbei in Deutschland von Deflation sprechen.
Erst das China-Beben, jetzt die VW-Krise. Nach einer baldigen Dax-Erholung nach der starken Korrektur vor einigen Wochen sieht es derzeit nicht aus. Welche Prognose haben Sie für die kommenden Wochen und Monate?
Im Augenblick werden die Wunden geleckt. Mir ist es aber lieber, dass jetzt alles - also China, VW, US-Zinswende - auf einmal auf den Tisch kommt, als wenn die Problemthemen tröpfchenweise von den Medien verbreitet werden. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Anleger im Oktober noch das große Reinemachen in Sachen deutscher Aktien betreiben. Das wird den DAX zunächst noch sehr schwankungsintensiv halten.
Im November und Dezember werden sich die Wogen wieder geglättet haben und der DAX wieder steigen. Die Jahresend-Rallye ist also nicht abgesagt, auch wenn sie weniger schwungvoll verlaufen wird, als bislang erwartet. 10.600 Punkte sind drin. Immerhin kann jetzt niemand mehr von einer technischen Überkauft-Situation sprechen. Übrigens, der MDAX als Sammelbecken besonders zyklischer Aktien, läuft dem DAX deutlich den Rang ab. Das zeigt uns, dass die industrielle Leitkultur in Deutschland sehr lebendig ist.
Chinas Funktion als Wachstumsbringer für Asien und die übrige Welt dreht sich gerade um: Wie gefährlich ist diese Entwicklung für die internationalen Finanzmärkte?
China ist systemrelevant für die Weltwirtschaft. Das Land hat uns Deutsche während der Eurokrise gerettet, indem es unsere Produkte gekauft hat. Jetzt kommt das Riesenreich nach Jahrzehnten des munteren Wachstums in die Pubertät. Die chinesischen Anleger haben herbe Verluste am Immobilienmarkt einstecken müssen und sie haben Aktien auf Pump gekauft, die jetzt kräftig korrigiert haben. Es ist doch nicht verwunderlich, dass nach solch bitteren Erfahrungen erst einmal Konsumverzicht geübt wird. China muss aus meiner Sicht zwei Dinge tun: Zum einen müssen die staatlichen Investitionen dramatisch ausgeweitet werden und zweitens muss die chinesische Notenbank diese staatlichen Maßnahmen refinanzieren. Und so wird es auch kommen. Anfang der 1990er-Jahre haben die Japaner ihre Notenbank nicht eingreifen lassen und die Konsumenten nicht gestützt. Die Folge war, dass die Wirtschaft in den Strudel der Deflation geriet. Das darf China nicht passieren und es wird China nicht passieren.
Die US-Notenbank Fed hat die Zinswende aus Sorge um eine Abkühlung der Weltwirtschaft aufgeschoben. Die Märkte hängen weiter am Tropf der expansiven Geldpolitik. Werden die Zinsen jemals substanziell erhöht werden können - oder werden künftig immer wieder Argumente gefunden, die dem entgegenstehen?
Es wird immer wieder Argumente geben, die dagegensprechen. Mit Blick auf die US- und Weltkonjunktur gibt es für mich auch keinen triftigen Grund, die Zinsen überhaupt zu erhöhen. US-Zinserhöhungen bergen immer die Gefahr einer dramatischen Kapitalflucht von Asien nach Amerika. Das wäre derzeit Gift für die Weltwirtschaft. Frau Yellen will die Zinsen erst dann erhöhen, wenn es die Daten wirklich hergeben.
Wir haben 2008 doch alle erlebt, dass die Pleite der kleinen Lehman-Bank, die über kein Einlagengeschäft verfügte, kein Kreditgeschäft betrieb und auch als Transaktionsbank keine bedeutende Rolle spielte, das Kopfkino von Anlegern und Wirtschaftsmanagern so negativ beherrschte, dass nur noch umfangreiche staatliche Konjunkturprogramme, finanziert durch Anleihekäufe, Rettung versprachen.
Angesichts dieser ultimativen geldpolitischen Rettung hat die Fed heutzutage offensichtlich große Angst schon vor den Konsequenzen einer einzigen Zinserhöhung. Die wirklich mächtigste Frau der Welt macht sich damit zum Erfüllungsgehilfen der Finanzmärkte, die immer irgendwelche Daten ausfindig machen, die nach immer mehr billigem Geld schreien wie der Vampir nach Blut. Geld wird wild über den Globus verteilt, um noch die letzten Renditen abzuweiden. Wird es dann plötzlich wieder abgezogen, kommt es wie bei China zu Vermögensverlusten, die den dortigen Konsum und die Investitionsbereitschaft und am Ende auch die Weltwirtschaft hemmen.
Die Fed ist in puncto Zinserhöhungen gelähmt. Wenn es überhaupt eine Zinswende in den USA gibt, dann nur in homöopathischer Dosis, ansonsten stünde die Finanzwelt - insbesondere in Asien - vor dem Ruin.
Lassen Sie uns über mögliche Auswege aus dieser Abwärtsspirale sprechen. Wie kann man also der immensen globalen Schuldenlast jemals Herr werden?
Wir bräuchten dringend Reformen. Aber welcher Verantwortliche in Europa setzt schon auf Reformen, wenn sie die eigene Abwahl bedeuten? In Italien verspricht Herr Renzi vollmundig zwar immer eine massive Reformpolitik. Danach passiert aber herzlich wenig. Auch Hollande in Paris ist in Sachen Wirtschaftsreformen so unbeweglich wie der Eiffelturm. Insofern wird die immense Schuldenlast weiter steigen und von der EZB getragen werden müssen. Und die EZB hat ja auch schon angekündigt, noch mehr Staatspapiere anzukaufen, um damit noch mehr Staatsfinanzierung zu betreiben.
Die Welt wird nie an Schulden zugrunde gehen, solange die Notenbanken diese zur Not flächendeckend aufkaufen. Die Schuldentragfähigkeit ist also zunächst einmal gesichert. Nur gesund ist eine solche Entwicklung natürlich nicht. Ohne attraktive Standortfaktoren werden Unternehmen Abstimmung mit Füßen betreiben. Wenn es ihnen reicht, werden sie früher oder später die EU-Reformwüste so schnell wie möglich Richtung Amerika und Asien verlassen. Denn dort ist man reformfähig und legt Europas Top-Unternehmen und den Patentträgern gerne den roten Teppich aus.
Zur Abwendung müsste man in Europa Reformen machen, und zwar knallhart. Aber die macht ja selbst die Berliner GroKo nicht. Mit ihrem gewaltigen politischen Gewicht könnte sie wirtschaftspolitisch eigentlich ganz dicke Bretter bohren. Wo bleibt denn die so notwendige Fortsetzung der "Agenda 2010"-Politik? Warum tut man trotz bester Refinanzierungsmöglichkeiten nicht endlich etwas gegen die marode deutsche Infrastruktur? Wo bleiben die konsequente Energiewende oder der Netzausbau? Hierzulande bleiben solche Maßnahmen aus, weil man in die schwarze Null, also in einen ausgeglichenen Haushalt, beinahe schon verliebt ist. Die Debatte ist ideologisch geprägt. In Deutschland wird zu sehr verwaltet und zu wenig angepackt. Immerhin macht mittlerweile Spanien eine in Europa selten gewordene Reformpolitik. Aber das reicht nicht für die Eurozone insgesamt.
Die Zeiten, in denen zehn Prozent Jahresrendite und mehr möglich waren, sind längst vorbei. Der Begriff "Anlagenotstand" beschreibt diese Orientierungslosigkeit treffend. Was raten Sie Anlegern in diesen unsicheren Zeiten?
Meine Strategie ist folgende: Aktien-Sparpläne weiter fortsetzen und wer es möchte, der kann sich mit Teilschutzzertifikaten nach unten absichern. Grundsätzlich sollten sich alle Anleger davon verabschieden, dass wir jemals wieder eine Zeit geldpolitischer Normalität mit ebenso normalen, also hohen Zinsen haben werden. Diesen Luxus können wir uns nie mehr leisten.
Gold konnte bislang nicht wirklich von der krisenhaften Gemengelage profitieren. Warum sind sie trotzdem ein Freund des Edelmetalls?
Gold und Silber werden auf absehbare Zeit nicht dramatisch ansteigen, obwohl dies fundamental gerechtfertigt wäre. Schuld daran sind die Notenbanken, die Gold an den Terminmärkten drücken. Sie versuchen die Finanzwelt mit "Geld" zu retten, eine starke Ersatzwährung "Gold" würde diese Rettungsmission vereiteln. Die mangelnde Goldpreisdynamik stört mich aber nicht, denn das Edelmetall bleibt eine solide Vermögensversicherung. Für das süße Gift der Schuldenfrönerei mit dem Segen der Geldpolitik werden wir irgendwann die Rechnung erhalten. Dann werden wir froh sein, eine Anlageklasse mit 5000-jähriger Geschichte zu haben. Gold hat alle Krisen seit Adam und Eva überlebt und seinen Wert erhalten: Im alten Rom bekam man für eine Goldunze eine ordentliche Toga und heute einen guten Maßanzug. Es gilt der Grundsatz: Bei Gold zählt der langfristige Besitz, nicht die kurzfristige Rendite.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.
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