Philipp Vorndran: "Der Aktienmarkt ist der größte Feind des Goldes"
Der Kapitalmarktexperte von Flossbach von Storch schließt Zinsanhebungen in der Eurozone mittelfristig aus. Sein Dreiklang für die Geldanlage: Qualität, Flexibilität und Diversifikation.
von Benjamin Summa
Vor einigen Tagen jährte sich die Pleite von Lehman Brothers zum sechsten Mal. Danach konnten sich Anleger über eine langjährige Börsenhausse freuen. Spüren Sie noch immer so viel Optimismus am Markt?
Philipp Vorndran: Es gibt am Markt eine gewisse Zuversicht, dass Regierungen und Notenbanken in der Lage sind, die schwierige ökonomische Situation und die Finanzsysteme zu stabilisieren. Einen generellen Optimismus im Hinblick auf die Kapitalmärkte sehe ich jedoch nicht. Das Gegenteil ist der Fall! Sehr viele Anleger ärgern sich, dass sie nicht schon vor drei oder vier Jahren in die Aktienmärkte eingestiegen sind. Jetzt haben die meisten nicht mehr die Traute, das zu tun.
Die US-Notenbank hält am behutsamen Ausstieg aus ihrer lockeren Geldpolitik fest und schraubt die Konjunkturhilfen weiter herunter. Sie sieht aber keine Eile für Zinserhöhungen. Wie wollen die Notenbanken jemals aus der Politik des billigen Geldes herauskommen, ohne einen Crash auf den Märkten für Vermögenswerte auszulösen?
Eine dauerhafte Exit-Strategie aus der Politik des billigen Geldes sehe ich aus zwei Gründen nicht: Ich erwarte zum einen, dass die Volkswirtschaften in den kommenden zehn bis 15 Jahren global schwächer wachsen als in den vergangenen 20 bis 30 Jahren. PIMCO-Gründer Bill Gross beschreibt diese Situation als "The New Normal". Tendenziell niedrigere Wachstumsraten bedeuten natürlich auch tendenziell niedrigere Zinsen. Zweitens haben wir extrem hohe Schulden bei den Staaten, aber auch bei vielen Konsumenten. Damit ist die Schuldentragfähigkeit stark limitiert. Das schließt nicht aus, dass es temporär Phasen gibt, in denen die US-Notenbank Fed die Zinsen anhebt - aber dann werden im Anschluss daran rasch viele Pfeiler des zwischenzeitigen Wachstums wieder wegbrechen und die Notenbank wird gezwungen, wieder zu niedrigeren Kurzfrist-Zinsen zurückzufinden. Reflexivität - in diesem Fall ein Teufelskreislauf. In der Eurozone stehen Zinsanhebungen mittelfristig definitiv nicht auf der Agenda.
Derzeit dominieren geopolitische Krisen die Nachrichtenlage wie selten zuvor. Die Aktienmärkte zeigen sich aber weitestgehend unbeeindruckt: Der DAX hat seine August-Verluste fast wieder aufgeholt, der S&P 500 versucht sich an neuen Rekorden. Warum ist das so?
Man muss sich immer genau anschauen, wie relevant Krisen für die Märkte sind. Konflikte im Nahen Osten schwelen seit Jahrzehnten. Die Auswirkungen auf die Aktienmärkte sind mittelfristig nicht sehr groß. Solange die Ukraine-Russland-Krise in begrenztem Rahmen stattfindet, ist auch das keine ernsthafte Bedrohung für die globalen Aktienmärkte. Wenn es jedoch zu einer weiteren Eskalation in der Sanktionspolitik mit Russland kommen sollte - denkbar wären Überflugverbote und eine Ausgrenzung Russlands aus dem US-Dollar-Zahlungsverkehrssystem -, dann würde der Markt sicher heftiger reagieren.
Ein weiterer Grund dafür, dass sich die Aktienmärkte nicht beeindrucken lassen, ist in der Attraktivität der Assetklassen untereinander zu finden: Es gibt momentan einfach keine Anlageklasse, die nur annähernd so attraktiv ist wie Aktien. Wenn der Anker der Kapitalmärkte, also der sogenannte risikofreie Zins, von der Markt- in die Planwirtschaft überführt wird, dann ist es nicht verwunderlich, wenn alle anderen Assetklassen wie Immobilien und Aktien, die davon weggepreist werden, sich in Bezug auf Bewertungen in höhere Sphären bewegen.
Die Konflikte in aller Welt scheinen auch die Rohstoffe kaltzulassen: Das Kriseninvestment Gold läuft seit Wochen seitwärts und Öl hat zeitweise sogar nachgegeben. Haben die alten Daumenregeln der Finanzmärkte ausgedient?
Beim Öl sehen wir ein klassisches Angebot-Nachfrage-Problem: Wenn die Wirtschaft künftig schwächer wachsen sollte, dann wird auch die Nachfrage nach Industrierohstoffen eher abnehmen. Gleichzeitig haben die Rohstoffunternehmen in den vergangenen Jahren sehr viele Investments getätigt, also zusätzliche Produktionskapazitäten auf den Markt geworfen. Zudem haben die Investoren mittlerweile verinnerlicht, dass Rohstoffinvestments keine überdurchschnittlichen Renditen abwerfen.
Gold reagiert auf Krisen, die mit Finanz- und Handelssystemen zu tun haben. Die Krisen, die wir zurzeit sehen, sind in diesem Sinne weniger relevant. Mir fallen zwei Faktoren ein, die den Goldpreis innerhalb von zwölf Monaten stimulieren könnten: Wenn wir in der Eurozone dann beispielsweise feststellen, dass EZB-Chef Mario Draghi alle Register gezogen hat und weder die Inflation noch das Wirtschaftswachstum gestiegen sind. Des Weiteren könnte sich die Ebola-Epidemie zu einer Mega-Krise auswachsen, die dann auch Auswirkungen auf den globalen Handel, die Profitabilität der Unternehmen und die Finanzsysteme und somit auch auf den Goldpreis haben würde.
Gold hat in den vergangenen Jahren stark von Niedrigzinsen profitiert. Müssen sich die Edelmetallinvestoren Sorgen machen, wenn die Realzinsen in den nächsten Jahren etwas steigen sollten?
Ich sehe mittelfristig keine dauerhaft ansteigenden Realzinsen. Von der Flanke geht keine größere Gefahr für den Goldpreis aus. Unattraktiv erscheint Gold immer dann, wenn andere Realwerte eine deutlich bessere Performance abliefern. Insofern ist der Aktienmarkt derzeit der größte Feind des Goldes.
Seit dem Platzen der "Dotcom-Blase" lässt das Gros der Privatanleger hierzulande die Finger von Aktien. Die Deutschen sind überwiegend in Geldwerte investiert. Glauben Sie, dass die Sparer ihre Anlagestrategien der Phase niedrigster Zinsen mittelfristig anpassen und Umschichtungen vornehmen werden?
Ich hoffe es. Aber mir fehlt hier doch ein wenig der Glaube. In diesem Zusammenhang sind die vielen Mischfonds allerdings von großem Nutzen. Damit haben Privatanleger einen Steigbügelhalter in reale Werte, also Produktivkapital. Insofern erfüllen Mischfonds einen wichtigen volkswirtschaftlichen Zweck. Aber eines steht fest: Die Aktienhausse, die wir seit fünf Jahren sehen, gehört sicherlich zu den am meisten gehassten der Geschichte. Ich mache mir Sorgen, dass in drei bis vier Jahren das Gros der Privatkunden anfängt, in den Aktienmarkt einzusteigen - nach vielen Jahren der Aufwärtsbewegung, möglicherweise durch erfolgreiche Börsengänge angelockt. Damit würden deutsche Privatinvestoren einmal mehr zum völlig falschen Zeitpunkt in eine Anlageklasse strömen.
Bisher haben wir eine Inflation bei den Vermögenswerten. Wann wird sich die dramatische Ausweitung der Geldmenge auch auf die Verbraucherpreise niederschlagen?
Eine Inflation ist gerade in der Eurozone kein akutes Problem. Tiefe Rohstoffpreise, Reformbemühungen und, der globale Wettbewerb bei den Arbeitskosten sowie ausreichende Produktionskapazitäten verhindern dies. Eine Inflation wird meiner Meinung nach aber dann aufkommen, wenn das Vertrauen in die Lösungsfähigkeit der Regierungen und Notenbanken auf ein solch tiefes Niveau sinkt, dass das Vertrauen in die Papierwährungen untergraben wird. Außerdem wird früher oder später das Ansteigen der Asset-Preise inflationierend wirken. Das leuchtet bei den Immobilienpreisen und einem Überwälzen auf die Mietpreise jedem ein.
Wie würde aus Ihrer Sicht ein gut diversifiziertes Portfolio aussehen?
Ein Muss sind auch weiterhin gut diversifizierte globale Qualitätsaktien sowie 10 Prozent physisches Gold als Portfolioversicherung. Zudem gibt es auch immer wieder Chancen auf dem Bondmarkt, beispielsweise in Form von Unternehmensanleihen, die man dann auch konsequent ausnutzen sollte. Qualität, Flexibilität und Diversifikation - das sind die Punkte, die es stets zu berücksichtigen gilt.
Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist Unternehmenssprecher der pro aurum KG, München.
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Bildquellen: Dieter Schwer für €uro am Sonntag