Interview exklusiv

Folker Hellmeyer: Ich bleibe ein Gold-Bulle

10.07.17 18:01 Uhr

Folker Hellmeyer: Ich bleibe ein Gold-Bulle | finanzen.net
Volker Hellmeyer

Der Chefvolkswirt der Bremer Landesbank spricht im Interview über die Entwicklung an den Aktienmärkten, die Politik der Notenbanken sowie über Gold und Öl.

Werte in diesem Artikel
Rohstoffe

2.626,48 USD 5,09 USD 0,19%

Indizes

19.884,6 PKT -0,2 PKT 0,00%

von Benjamin Summa

Herr Hellmeyer, welche Chancen machen Sie in der zweiten Jahreshälfte für die Aktienmärkte aus?
Folker Hellmeyer: Sicherlich werden wir Konsolidierungen und Korrekturen sehen, aber ich bin weiterhin sehr zuversichtlich für das gesamte globale Umfeld an den Aktienmärkten. Das Tempo der Weltwirtschaft nimmt sukzessive zu, dadurch ergeben sich positive Skaleneffekte für die Unternehmen und damit auch erhöhte Ertragspotenziale. Das wird am Ende auch diskontiert werden.

Und welche Belastungsfaktoren für die Weltbörsen sehen Sie trotz aller positiver Signale?
Die Geopolitik - also die Problemlagen in Syrien, Nordkorea und der Ukraine - stellt sicherlich den größten Belastungsfaktor dar. Wenn diese eingefrorenen Konflikte wieder an Hitze gewinnen, werden wir definitiv eine erhöhte Risikoaversion an den Aktienmärkten sehen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit hierfür liegt meiner Einschätzung nach bei 15 Prozent.

Der zweite Risikokomplex kommt von der Zinsseite. Weniger davon, was tatsächlich passiert als mehr daher, was Märkte daraus machen. Die Marktpsychologie könnte sich dahingehend wandeln, dass ein verstärkter Zyklus angenommen wird und sich daraus stärkere Risikoaversionen ergeben. Aber dieses Risiko halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für äußerst überschaubar.

Wir blicken auf eine über achtjährige Hausse zurück: Bitte schätzen Sie vor diesem Hintergrund die Bewertungsniveaus dies- und jenseits des Atlantiks ein.
Wenn man sich die Historie anschaut, dann sind acht Jahre immer ein Zeitraum gewesen, nach dem dann heftigere Korrekturen oder Trendwechsel ins Haus standen. Die Frage ist, ob die aktuelle Situation mit diesem historischen Muster noch in Einklang steht. Ich bezweifle das aus zwei Gründen: Zum einen stellt die jetzige Politik vieler Zentralbanken eine vollkommene Anomalie dar. Und diese Situation wird - abgesehen von leichten Anpassungen - anhalten. Damit gilt für mich das Raster der Vergangenheit nicht mehr. Zudem hat sich die Struktur der Weltwirtschaft komplett verändert. Früher war der Westen der Taktgeber der globalen Ökonomie, 1990 hatte er einen Anteil an der Weltwirtschaft von 80 Prozent. Das hat sich vollständig gewandelt. Mittlerweile ist vor allem China der Taktgeber mit einem hohen Wirtschaftswachstum. Das Projekt "One Belt, One Road", das die chinesischen Ziele zum Aufbau eines interkontinentalen Infrastruktur-Netzes zwischen Europa, Afrika, Asien und China bündelt, steht sinnbildlich hierfür.

Aber ich möchte auch einige Sätze zur konkreten Aktien-Bewertung dies- und jenseits des Atlantiks sagen: Beim Thema Bewertungsniveau schaue ich auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis und auf die Dividendenrendite. Der Euro Stoxx 50 hat derzeit eine Dividendenrendite für die projizierten Gewinne von 3,5 Prozent. In den USA liegt diese beim breiten S&P 500 bei zwei Prozent. Hier zeigt sich, wie attraktiv europäische Aktienmärkte unter dem Aspekt der Dividendenrendite sind. Wenn wir das KGV zugrunde legen, dann liegen die USA im S&P 500 bei 18,6 und der Eurostoxx bei 14,8.

Nachdem in den USA die Notenbank schon zum vierten Mal die Zinsen erhöht hat, werden in Europa Stimmen laut, die dies auch von der EZB fordern. Welche Geldpolitik erwarten Sie künftig in Washington und in Frankfurt?
Wir werden uns weiterhin in Richtung "milde Zinserhöhungen" bewegen. Aber ich halte die Schlussfolgerungen des Marktes, der sich fast ausschließlich auf den Nominalzins fokussiert, für falsch. Für die Wirtschaft ist immer der Realzins von entscheidender Bedeutung. Das Maß der expansiven Geldpolitik ist jetzt höher als zu den Spitzenzeiten eines leicht deflationären Umfeldes. Damals hatten wir in der Eurozone ein Preisniveau von minus 0,2 Prozent und die zehnjährigen Bundesanleihen notierten bei minus 0,2 Prozent. Der Realzins lag also bei null. Heute liegen die Zehnjährigen bei 0,5 Prozent, aber die Inflationsrate liegt bei 1,3 Prozent. Das ist ein Realzins von minus 0,8 Prozent. Insofern sehe ich aktuell von der Seite der Zinspolitik kaum Risiken - auch wenn es zu leichten nominalen Anpassungen kommen sollte.

Die EZB gibt sich dennoch alle Mühe, die Inflationsrate auf das gewünschte Niveau von nahe zwei Prozent zu hieven. Warum ist das so?
Die Marke von zwei Prozent ist eine sehr willkürliche und wissenschaftlich nicht wirklich belegte Größenordnung. Sie ist vor dem Hintergrund einer Wirtschaft mit wachsender Bevölkerung abgeleitet worden. Es muss differenziert werden: Was ist die natürliche Inflationsrate für Länder mit Bevölkerungswachstum, für Länder mit Stagnation oder zurückgehendem Bevölkerungswachstum? Für Länder mit steigendem Bevölkerungswachstum ist die Marke von zwei Prozent durchaus verständlich. Für Länder mit Nullwachstum sind Inflationsraten in der Größenordnung von einem Prozent normal. In der Eurozone stehen wir bei einer Kernrate von 1,2 Prozent. Hier ist die EZB gut beraten, diese Inflation ernst zu nehmen und dazu eine kompatible Zinspolitik zu machen, die sich nicht notwendigerweise im Bereich von negativen Realzinsen bewegt. Diese Negativzinsen werden uns am Kapitalmarkt leider noch länger beschäftigen.

Eine Rally, wie sie der Ölpreis in der vergangenen Woche hinlegte, hat es seit fünf Jahren nicht mehr gegeben. Glauben Sie, dass sich die zuletzt sehr pessimistische Stimmung am Ölmarkt drehen könnte?
Im vergangenen Jahr haben wir gesagt, dass nach oben bei 55 bis 60 Dollar der Deckel drauf ist. Dieses Jahr haben wir Luft, dies um maximal fünf Dollar auszuweiten. Die Unterseite ist bei 43 bis 45 Dollar bei Brent sehr gut unterstützt. Die entscheidende Größe ist der amerikanische Fracking-Markt. Wir haben dort in den vergangenen sechs Monaten einen dynamischen Anstieg bei der Inbetriebnahme neuer Bohrtürme gesehen. Bei Preisen von 55 Dollar und mehr kam zusätzliches Angebot an die Märkte. Die operativen Kosten für diesen Sektor liegen um die 50 Dollar.

Allerdings hat der Ölpreis auf der Oberseite auch eine Chance, nämlich die zunehmende Dynamik im Rahmen des Projektes "One Belt, One Road"; diese Infrastrukturprogramme sind sehr energie- und rohstoffintensiv. Wenn diese Projekte nun stärker in die Umsetzung kommen, dann wird die Nachfrageseite im Energiemarkt nach oben laufen. Ich sehe beim Ölpreis also mehr Chancen nach oben als Risiken nach unten.

Beim Goldpreis war Mitte Juni ein kräftiger Schub nach unten zu beobachten, nachdem die Fed angekündigt hatte, die Leitzinsen um 25 Basispunkte nach oben zu schrauben. Diese Maßnahme war zwar erwartet worden und somit bereits eingepreist. Überrascht hatten jedoch die "falkenhaften Töne" von Fed-Chefin Janet Yellen, die für weiteren Verkaufsdruck sorgten. Welche Entwicklung trauen Sie Gold in der zweiten Jahreshälfte noch zu?
Gold war in den zurückliegenden Monaten sicherlich die große Enttäuschung. Ich sehe begrenztes Rückschlagspotenzial in Richtung 1.180 bis 1.150 Dollar. Das können wir vor dem Hintergrund der aktuellen technischen Gegebenheiten nicht ausschließen. Aber ich bleibe in der langfristigen Betrachtung ein Gold-Bulle. Ich gebe keine oberen Preislimits. Edelmetalle sind eine gute Absicherung gegen die geopolitischen Risiken, über die wir zu Beginn des Interviews gesprochen haben. Die smarten Zentralbanken dieser Welt bauen Goldbestände auf. Edelmetalle haben für mich eine nachhaltige Upside bei einer limitierten Downside.

Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.

Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank

Mehr zum Thema DAX 40