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Folker Hellmeyer: "Einen DAX-Crash wie in 2001 und 2008 sehe ich nicht"

30.10.15 03:00 Uhr

Folker Hellmeyer: "Einen DAX-Crash wie in 2001 und 2008 sehe ich nicht" | finanzen.net

Der Chefvolkswirt der Bremer Landesbank spricht über eine mögliche Jahresendrally, den Vertrauensverlust bei den Notenbanken und über Gold.

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von Benjamin Summa

Herr Hellmeyer, EZB-Chef Mario Draghi sagte kürzlich, der Rat der Zentralbank sei gewillt und in der Lage, zu handeln. Das erfreute die Anlegergemeinde. Der DAX bekam daraufhin mächtig Rückenwind. War das der Startschuss für die Jahresendrally?
Folker Hellmeyer: Im Vorfeld der Draghi-Aussage haben wir Zinssenkungen in Indien, Norwegen und China gesehen. Vor diesem Hintergrund gewinnt das Thema "Anlagenotstand" wieder deutlich an Brisanz. Zudem ist der europäische Aktienmarkt historisch betrachtet eher unter- als überbewertet. Wir haben im DAX momentan ein KGV von 12 - der historische Durchschnitt liegt bei gut 15. Wir haben ein Kurs-Buch-Verhältnis unterhalb des historischen Durchschnitts und eine Dividendenrendite von mehr als drei Prozent. Die Jahresendrally, die sich hier eröffnet, ist also vor dem fundamentalen Hintergrund der Unternehmensbewertungen gerechtfertigt. Die Zentralbank fungiert hierbei sicherlich als Katalysator.

Der von vielen Kassandras beschworene Mega-Crash bleibt also aus?
Wir haben ja kürzlich eine deutliche Korrektur gesehen, der DAX rauschte immerhin von 12.400 Punkten auf 9.300 Punkte. Aber der Crash im klassischen Sinne bleibt in meinen Augen deswegen aus, weil wir eben keine Überbewertung sehen. Das künstlich niedrig gehaltene Zinsniveau tut sein Übriges. Einen Crash wie in den Jahren 2001 und 2008 sehe ich nicht.

Wie bewerten Sie die aktuelle EZB-Politik konkret?
Ich will es ganz diplomatisch ausdrücken: Ich bin im höchsten Maße irritiert, dass die EZB nicht konstatiert, dass wir derzeit den höchsten Wachstumspfad in der Eurozone seit 2011 haben. Es wird auch nicht zur Kenntnis genommen, dass vor allem die Reformländer dieses Wachstum förmlich antreiben - mit der Ausnahme von Griechenland. Mich irritiert auch, dass die EZB nicht sieht, dass dieser Aufschwung getragen ist von wiederkehrenden Einkommen basierend auf den Strukturreformen in der Eurozone. Ganz anders in den USA oder in Großbritannien: Dort ist der Aufschwung getragen von einer verstärkten Kreditaufnahme im Konsumsektor. Für mich stellt sich also die Frage, welche Grundlage für eine verschärfte Gangart bei der Politik der monetären Lockerung überhaupt gegeben ist.

Die Deflationsgefahr wird ganz gerne als Argument bemüht ...
Der Verweis auf niedrige Verbraucherpreise ist aber völlig unangebracht. Die Kerninflationsquote liegt nach Tiefstwerten bei 0,6 Prozent bei derzeit knapp einem Prozent. Die Negativentwicklung an der Preisfront hat in erster Linie mit verbilligten Rohstoffen zu tun. Dies hat aber bei den Bürgern Kaufkraft freigesetzt, der Wohlstand unserer Volkswirtschaften ist also erhöht worden. In der Folge nahmen die Konsumausgaben zu. Mir ist völlig unverständlich, warum die EZB diese Zusammenhänge völlig fehlinterpretiert. Ich habe die Zentralbank in den vergangenen Jahren immer unterstützt - auch gegen den Mainstream. Aber die derzeitige Blindheit schafft womöglich Verwerfungen durch eine fehlgesteuerte Geldmengen- und Zinspolitik.

Die Schweizer Notenbank musste sich zu Beginn des Jahres dem Druck der Märkte ergeben und die Kopplung des Franken an den Euro aufheben. Die US-Notenbank kann den Leitzins nicht einmal um 0,25 Prozentpunkte erhöhen. Derzeit ist völlig unklar, welche Politik die US-Notenbank künftig verfolgen wird. Ist das Vertrauen in die Allmacht der Zentralbanken bereits nachhaltig erschüttert?
In den vergangenen 20 Jahren hat sich Entscheidendes verändert: Wir haben im Finanzsektor eine ganz neue Struktur, die von wenigen Global Playern dominiert wird. Dieses oligarchische Netzwerk ist besonders in den USA und im UK sehr eng verwoben mit dem Zentralbanken-System. Vor dem Hintergrund der Regulatorik, die die Notenbanken auf die Beine gestellt haben, haben die Zentralbanken mithilfe dieses Netzwerks eine hohe Durchsetzungskraft an den Märkten. Gleichzeitig nimmt der Vertrauensverlust gegenüber Zentralbanken seitens der Bürger aber dynamisch zu. Das birgt mittel- und langfristig Risiken.

Wo sehen Sie in den kommenden Monaten die größten Risiken und die größten Chancen für die Märkte?
Mit Blick auf das zweite Halbjahr 2016 sehe ich die größten Chancen - und hier werden sich viele Leser jetzt verwundert die Augen reiben - in den aufstrebenden Ländern und im Rohstoffsektor. Wir stehen vor dem größten Wachstumsprojekt in der Geschichte der Industrienationen, nämlich dem Aufbau der Infrastruktur Gesamt-Eurasiens. Das beinhaltet beispielsweise den Hochgeschwindigkeits-Bahnstreckenbau von Moskau bis Südchina, Indien und den arabischen Raum. Dazu kommen der Straßen-, der Seehäfen- und der Flughafenbau sowie die Elektrifizierung in diesen Regionen. Die aktuelle relative Stärke des US-Dollars und die Schwäche der aufstrebenden Länder sind für mich also nur vorübergehender Natur. Europa muss sich jetzt so aufstellen, dass wir am Aufschwung der aufstrebenden Länder teilhaben können - eine Sanktionspolitik gegenüber Russland ist sicherlich die schlechteste Vorbereitung.
Die größten Risiken sehe ich in den USA, dort schwächt sich die Wirtschaft weiter ab. Das Geschäftsmodell, das zur Krise 2007/2008 führte, ist im Grunde neu belebt worden - die damit einhergehenden Risiken sind wieder auf dem Tisch, jedoch von den Märkten nicht ansatzweise diskontiert.

Das China-Beben an den Aktienmärkten hat zweifelsohne einen Vorgeschmack darauf gegeben, dass man mit Wertpapieren nicht auf einer Einbahnstraße nach oben unterwegs ist. Die Zinsen sind zudem nahe Null, Geldwerte lohnen sich kaum und Anleihen fassen die meisten nicht mal mehr mit der Zange an. Welche Tipps haben Sie für Privatanleger in Sachen Vermögensaufteilung?
Ich bin weiterhin der Meinung, dass Aktien ins Depot gehören. Da ist der historische Vergleich wichtig. Es gibt Unternehmen, die sind unverzichtbar für die Grundversorgung der Weltwirtschaft. In Deutschland haben solche Unternehmen Weltkriege, Hyperinflation und Währungsschnitte überlebt. Dazu gehören hierzulande die Deutsche Bank, Siemens und beispielsweise deutsche Chemiewerte. Für mich ist die Aktie nach wie vor ein wesentliches Instrument für die Vermögensabsicherung. Dabei muss man aber hohe Volatilitäten aushalten können. Des Weiteren setze ich - wie oben bereits erwähnt - auf die aufstrebenden Länder, die einen Anteil von 58 Prozent an der Weltwirtschaft haben und weitestgehend die Rohstoffe dieser Welt kontrollieren. Für mich sind diese Länder - allen voran die BRICS-Staaten - weiterhin investitionsfähig.
Aus meiner Sicht ist auch der Rohstoffsektor sehr interessant - insbesondere die Edelmetalle, die eine viereinhalbjährige Korrekturphase hinter sich haben.

Sie haben Edelmetalle angesprochen: Der Goldpreis steigt seit einigen Wochen wieder. Ist das die Trendwende oder nur ein Strohfeuer?
Ich schließe weitere Attacken gegen Gold und Silber nicht aus. Es muss immer mit einem finalen Ausverkauf von 100 Dollar gerechnet werden, also von 1.160 Dollar auf knapp 1.060 Dollar. Ich denke aber, dass wir mittlerweile im Bereich einer Bodenbildung angekommen sind. Die große Gold- und Silberstory ist noch lange nicht abgearbeitet.

Disclaimer: Der Autor, Benjamin Summa, ist freier Mitarbeiter bei finanzen.net. Er interviewt regelmäßig Finanzexperten zu aktuellen Themen.

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Bildquellen: Chefvolkswirt der Bremer Landesbank

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