Interview Exklusiv

"Hat Audi noch Vorsprung durch Technik, Herr Stadler?"

20.11.12 16:00 Uhr

Audi-Chef und Volkswagen-Vorstand Rupert Stadler über die Rivalität zu BMW und Mercedes, das Zukunftsthema Karbonleichtbau und seine Wachstumsziele.

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Das Interview führte Mario Müller-Dofel

€uro: Herr Stadler, sprechen wir zuerst über wichtige Zahlen: Der europäische Pkw-Markt schrumpft 2012 im fünften Jahr in Folge. Diverse „Auto-Chefs“ fürchten, dass er frühestens 2014 wieder zulegen wird. Sie auch?
Ich teile die Prognose, aber fürchte sie nicht. Dieses Jahr ist für den Automarkt in Europa ein Absatzrückgang von bis zu fünf Prozent realistisch — auf etwa 12,5 Millionen Neuwagen. Audi kann damit sehr gut umgehen, weil wir gegen den Trend auch in Europa wachsen und der weltweite Automobilabsatz um rund sechs Prozent auf über 69 Millionen Einheiten steigt.

Wie viele davon werden von Audi sein?
Mehr als 1,4 Millionen. Wir werden daher, abgesehen vom Krisenjahr 2009, das sechzehnte Rekordjahr in Folge einfahren.

Einige Autobauer haben riesige Probleme. Peugeot lässt sich sogar mit Milliardenhilfen vom französischen Staat unterstützen. Was ist hinsichtlich der Strategien der entscheidende Unterschied zwischen Gewinnern wie Audi und den Verlierern?
Ob es ein Hersteller schafft, die Absatzchancen durch die Globalisierung zu nutzen oder eben nicht. Wir bei Audi haben dafür in den vergangenen 15 Jahren sehr hart gearbeitet, was unsere zweistelligen Zuwachsraten auch in den USA, China und Südamerika belegen. Dort kompensieren wir den insgesamt verhaltenen europäischen Markt mit seinen für uns schwächeren Wachstumsraten, obwohl er noch 50 Prozent unseres Gesamtabsatzvolumens ausmacht.

Welches Wachstum planen Sie in China und den USA?
Wir haben von Januar bis Ende Oktober 2012 in China rund 330000 Autos an Kunden ausgeliefert und damit schon nach zehn Monaten das Volumen des gesamten Vorjahres übertroffen. Wenn wir etwas weiter blicken, ins Jahr 2020, könnten es 700000 Auslieferungen im Jahr werden. In den USA kommen wir im Gesamtjahr 2012 auf 140000 Auslieferungen. Für 2020 peilen wir dort 200000 an. Weltweit soll unser Absatzvolumen dann bei mehr als zwei Millionen Autos liegen.

Das ist noch sehr weit weg. Schauen wir auf 2015: Dann soll Audi die 1,5-Millionen-Marke bei Neuwagen-Auslieferungen knacken. Das schaffen Sie doch früher, oder?
Sagen wir es so: Audi hatte noch nie ein attraktiveres Produktportfolio, ist in allen wichtigen Regionen auf Kurs, in ganz jungen Märkten wie Russland sogar mit jährlichen Absatzsteigerungen von über 40 Prozent. Natürlich bringt das große Erwartungen ins Unternehmen.

Also rechnen Sie damit, die 1,5-MillionenMarke früher zu schaffen?
Abwarten. Sollten wir sie früher knacken, wäre das ein toller Erfolg. Aber unser Ziel ist nach wie vor 2015. Wir halten uns an die Tugenden vorsichtiger Kaufleute.

Um den Absatz weiter zu steigern, wollen Sie die Modellpalette ausweiten. Was darf die Kundschaft denn konkret erwarten?
Sechs Modellreihen haben bei uns das Kürzel A. Die Palette reicht vom kleinen A1 bis zum luxuriösen A8. In unserer SUV-Palette haben wir mit dem Q3, dem Q5 und dem Q7 erst drei Modelle. Das reicht uns noch nicht. Wir erwarten, dass im Jahr 2020 jedes dritte weltweit verkaufte Automobil ein SUV sein wird. Da sehe ich großes Potenzial für Audi.

Welche operative Rendite streben Sie an?
Langfristig zwischen acht und zehn Prozent. Zurzeit liegen wir darüber.

Sie planen einen Renditerückgang?
Unsere Zielrendite bedeutet keinen Rückgang, sondern eine Bandbreite, die dauerhaft realistisch ist, auch in schwierigeren Zeiten. Da können wir auch einmal darüber oder darunterliegen. Unsere Planungen sind langfristig ausgelegt.

Erhöht Ihr Mutterkonzern Volkswagen den Renditedruck auf Audi, weil die Massenmarken des Konzerns den schwachen Gesamtmarkt in Europa deutlicher als Audi spüren? Audi steuert immerhin 50 Prozent zum Konzerngewinn bei.
Wir setzen uns unsere Ziele selbst und orientieren uns dabei an unseren Wettbewerbern BMW und Mercedes-Benz.

Kritiker meinen, Audi hätte seinen „Vorsprung durch Technik“ — so lautet Ihr Werbeslogan — an BMW verloren. Vor allem den Karbonleichtbau hätte Audi verschlafen.
Schauen wir doch auf die Fakten: Unser A8 ist deutlich leichter als die Wettbewerber in diesem Segment. Unsere neuen A6- und A3-Modelle sind bis zu 80 Kilogramm leichter als die Vorgänger und bringen damit ebenfalls weniger auf die Waage als vergleichbare Wettbewerber. Und wir wollen den Q7 um mehr als 350 Kilogramm leichter machen. Ist das nicht ein Wort? Und das alles mit einem intelligenten Materialmix, bei dem der richtige Werkstoff an der richtigen Stelle ist.

Dennoch: Karbon gilt als Werkstoff der Zukunft. Haben Sie da Defizite?
Wir kennen diesen Werkstoff schon lange aus dem Motorsport, fahren das Langstreckenrennen von Le Mans und die Deutsche Tourenwagen Masters erfolgreich mit Karbonkarosserien. Die gesamte Fahrgastzelle des Lamborghini Aventador besteht aus Karbon, und wir verwenden dieses Material auch im Audi RS3 und im R8 Spyder. Doch ausschließlich auf Karbon zu setzen entspricht nicht unserem technischen Anspruch.

Was ist Ihr technischer Anspruch?
Ein intelligenter Mix aus Aluminium, Magnesium, hochfestem, leichtem Stahl und Karbon sowie die Kompetenz, die Verbindungstechnologien zwischen diesen unterschiedlichen Werkstoffen zu beherrschen. Wir glauben, dass dies langfristig der bessere Weg ist — auch für den Kunden. Es geht übrigens auch um die Reparaturfreundlichkeit in den Werkstätten und um die Recyclingfähigkeit.

Wie sind große Karbonmengen recycelbar?
Das ist eine sehr spannende, aber noch nicht restlos geklärte Frage.

Es sieht so aus, als hätte sich der Konkurrenzkampf zwischen Audi, BMW und Mercedes in den vergangenen Jahren zugespitzt — auch über die Medien. Oder täuscht das?
Sicher ist der Wettbewerb härter geworden. Wir haben durch eine unglaubliche Aufholjagd in den vergangenen 15 Jahren den Rückstand zu BMW marginalisiert. Mercedes haben wir — gemessen am weltweiten Absatz — sogar überholt. Das hat zu einer deutlich größeren Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit geführt. Unser Dreikampf scheint den Medien viele spannende Storys zu liefern.

Wäre es für den Automobilstandort Deutschland nicht besser, wenn Audi, BMW und Mercedes mehr zusammenarbeiten würden?
Ich bin überzeugt davon, dass der harte Wettbewerb gut für uns ist. Er treibt alle drei Premiummarken zu Höchstleistungen, die dazu führen, dass acht von zehn Premium-Automobilen weltweit aus Deutschland kommen. Damit halten wir vor allem unsere asiatischen Wettbewerber klar auf Distanz.

Wie verstehen Sie sich persönlich mit den Chefs von BMW und Mercedes?
Sehr gut. Natürlich kämpft jeder für sein Unternehmen, aber da geht es immer um die Sache. Wir treffen uns oft beim Verband der deutschen Automobilindustrie oder auf Messen. Dort begutachte ich mit meinem Team die Stände von BMW und Mercedes, genauso wie die Kollegen bei uns vorbeikommen. Wir fachsimpeln und tauschen uns aus.

Fahren Sie BMW- und Mercedes-Modelle zur Probe?
Selbstverständlich alle!

Der Wettbewerb wird auch über den Benzinverbrauch und Schadstoffausstoß ausgetragen. Wie entwickelt sich Audi hier?
Sehr gut. Wir haben nach neuesten Studien den geringsten Kohlendioxidausstoß aller Premiumhersteller. Unsere Flotte soll bis 2015 einen durchschnittlichen CO2-Ausstoß von 120 Gramm pro Kilometer erreichen. Dafür arbeiten wir hart. Die Europäische Union könnte ihre Vorgabe vielleicht sogar irgendwann auf 95 Gramm für das Jahr 2020 verschärfen. Das wäre dann allerdings für alle Hersteller eine Herkulesaufgabe.

Was bedeuten diese Grammzahlen für den Benzinverbrauch?
Würden 95 Gramm CO2 als durchschnittlicher Maximalwert pro Fahrzeugflotte gefordert, müsste der Verbrauch aller Benziner auf knapp unter vier und bei einem Diesel auf 3,5 Liter Kraftstoff pro 100 Kilometer sinken. Wohlgemerkt im Durchschnitt! Nach heutigem Stand lässt sich ein solches Ziel nur in einem Mix mit überproportional vielen Elektroautos erreichen. Darin besteht für uns die Herausforderung.

Und wie gehen Sie diese an?
Indem wir die heutigen Verbrennungstechnologien Benzin und Diesel ausreizen, wo es nur geht. Indem wir die Hybridtechnik, also Verbrennungs- und Elektromotor, als Brückentechnologie zu Hilfe nehmen. Und indem wir die Batterietechnik weiterentwickeln. Zudem wird Audi spätestens 2014 Plug-in-Hybridmodelle — an Steckdosen aufladbare Hybridautos — im Angebot haben. Und last but not least werden wir den Leichtbau weiter forcieren, denn 100 Kilogramm Gewichtsreduktion im Auto bedeuten etwa 0,4 Liter weniger Verbrauch.

Wie hoch ist Ihr Investitionsbudget?
Rund 13 Milliarden Euro für die nächsten fünf Jahre. Der Großteil davon fließt in Technologie- und Produktinnovationen. Damit agieren wir auf drei Feldern: Wir müssen unser Wachstum finanzieren, wir müssen neue Antriebstechnologien auf die Straße bringen, und wir müssen die traditionellen Antriebe weiterentwickeln, weil sie noch eine ganze Weile die Basis unserer Mobilität bleiben.

Die Bundesregierung fordert für 2020 eine Million Elektroautos auf deutschen Straßen. Das halten viele Autoexperten für unrealistisch. Sie auch?
Wir sollten langfristig sinnvolle Ziele nicht kurzfristigen Stimmungen opfern. Diese Zahl ist ein langfristiges Ziel, an dem sich alle Beteiligten orientieren. Aber es war immer klar, dass sie nicht leicht zu erreichen sein wird.

Steigen wir noch kurz vom Auto aufs Motorrad um: Im Frühjahr 2012 hat Audi die italienische Motorradmarke Ducati gekauft. Wie passt das denn zusammen?
Ducati ist die attraktivste Motorradmarke der Welt. Sie passt hinsichtlich der Wertigkeit, der Technologien, des Anspruchs und der Wachstumschancen perfekt zu uns. Wir lassen Ducati die Freiheit, sich eigenverantwortlich weiterzuentwickeln, und entdecken in Ruhe unsere gemeinsamen Perspektiven.

Sie wollten wegen Ducati den Motorradführerschein machen. Prüfung bestanden?
Selbstverständlich. Ich habe den Führerschein im August innerhalb einer Woche gemacht, morgens Theorie, nachmittags Praxis, bei 35 Grad im Schatten, in der Lederkombi. Natürlich bin ich schon alle wichtigen Modelle gefahren. Die eine oder andere längere Strecke war auch dabei. Wunderbar, da fühlt man, was die Marke ausmacht. Einmal jährlich veranstaltet Ducati ein mehrtägiges Treffen für die Ducatisti auf der Rennstrecke im italienischen Misano. Da sind sage und schreibe 60 000 Fans aus der ganzen Welt dabei! Ich war in diesem Juni erstmals dort und habe sofort gemerkt, dass Audi und Ducati auf einer Wellenlänge sind. Und warum sollte ein Biker nicht auch irgendwann einen Audi RS6 oder R8 in der Garage haben?

Wie treten Sie auf bei einem Bikertreffen — wie gewohnt in Schlips und Kragen?
(lacht) Das sähe schon schräg aus. Nein, dort braucht’s eine Lederkluft.

Vielen Dank für das Gespräch.


Vita

Rupert Stadler wurde am 17. März 1963 im oberbayerischen Titting geboren, studierte Betriebswirtschaft in Augsburg und startete seine Karriere beim Elektronikkonzern Philips in Nürnberg. 1990 ging er als Controller zur Volkswagen-Tochter Audi nach Ingolstadt. 1994 zog er nach Barcelona, um als kaufmännischer Geschäftsführer VW Spanien zu leiten. 1997 wechselte Stadler in die VW-Zentrale nach Wolfsburg, wo er Bürochef des damaligen Vorstands- und heutigen VW-Aufsichtsratschefs Ferdinand Piëch wurde. 2003 stieg Stadler zum Finanzvorstand und 2007 zum Vorstandschef von Audi auf. Seit 2010 ist er zudem Vorstandsmitglied bei VW. Der 49-Jährige ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

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