Interview

Commerzbank-Chefvolkswirt Krämer: „Vorsicht vor der Zinsfalle“

02.01.10 06:01 Uhr

Für Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer könnten exportorientierte Firmen und Investitionsgüterhersteller wie Siemens oder ThyssenKrupp die Gewinner 2010 sein.

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von Wolfgang Ehrensberger, Euro am Sonntag

Bis zum Frühjahr sieht er den Dax auf neuen Höchstständen. Danach allerdings lauerten neue Risiken. Was die wirtschaftliche Entwicklung angeht, glaubt er zwar nicht an einen Rückfall in die Rezession. Aber das Wachstum könnte gebremst werden - unter anderem von weiteren Abschreibungen bei den Banken. Außerdem, so Krämer, müssten wir uns längere Zeit mit einer quälend hohen Arbeitslosigkeit und später mit erheblichen Inflationsrisiken herumschlagen.

€uro am Sonntag: Herr Krämer, die deutsche Wirtschaft ist in den vergangenen Monaten deutlich gewachsen. Wie lange hält diese Dynamik an?
Jörg Krämer: Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Halbjahr 2009 tatsächlich kräftig gewachsen, mit ein wenig Glück setzt sich dies im ersten Quartal fort. Aber all dies sollte man nicht einfach ins Jahr 2010 fortschreiben. Denn noch sind nicht alle wirtschaftlichen Ungleichgewichte bereinigt. Man denke nur an die noch zu erwartenden Abschreibungen der Banken auf Kredite und Wertpapiere. Der Internationale Währungsfonds IWF beziffert den Abschreibungsbedarf im Euroraum auf 470 Milliarden Euro. Zwar können die Banken über einbehalte Gewinne rund 360 Milliarden ausgleichen. Aber es bliebe eine Lücke von 110 Milliarden Euro.

Das Gröbste steht uns noch bevor?
Der Höhepunkt bei den Abschreibungen auf Kredite und Wertpapiere liegt laut IWF noch vor uns.

Wie groß ist die Gefahr, dass deshalb die Banken weniger Kredite vergeben und damit das Wachstum abwürgen?
Ich kann in den Daten keine keine breit angelegte Kreditklemme entdecken. Die Europäische Zentralbank und die Banken tun alles, um eine Kreditklemme zu verhindern. Allerdings zwingen die rechtlichen Vorgaben die Banken dazu, mit Eigenkapital zu haushalten. Das ist einer von mehreren Faktoren, die das Wachstum zwar nicht abwürgen, aber doch bremsen dürften. Weitere Belastungsfaktoren sind die fallenden Immobilienpreise in vielen Ländern des Euro-Raums oder die zu hohe Verschuldung der US-Verbraucher. Dort liegt die Sparquote nur bei vier Prozent, normal wären sieben oder acht Prozent.

Droht ein Rückfall in die Rezession?
Einen Rückfall in die Rezession erwarte ich nicht, dieses Risiko ist in den letzten Monaten deutlich geringer geworden.


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Woran machen Sie das fest?
Es sind ja schließlich auch Ungleichgewichte bereinigt worden, zum Beispiel die Überkapazitäten in der US-Bauwirtschaft. Die Baugenehmigungen dort haben sich auf dem niedrigen Niveau von jährlich 400.000 Einheiten stabilisiert. Auch dass der Verfall der US-Häuserpreise inzwischen gestoppt ist, zählt zu den positiven Überraschungen des Jahres 2009. Das spricht gegen einen Rückfall in die Rezession ebenso wie die Tatsache, dass die Zentralbanken die Märkte mit Liquidität fluten und nur Niedrigzinsen verlangen. Eine positive Überraschung ist auch, dass China nahezu ungeschoren durch die Krise gekommen ist und 2009 um knapp neun Prozent gewachsen sein dürfte.

Welches Wirtschaftswachstum erwarten Sie 2010?
In Deutschland rechnen wir mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts um 2,3 Prozent, in den USA um 2,5 Prozent. Innerhalb des Euro-Raumes wächst die sehr wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft am stärksten.

Welche Branchen werden 2010 von der konjunkturellen Entwicklung am meisten profitieren?
Auf jeden Fall exportorientierte Unternehmen und Investitionsgüterhersteller. Unsere Strategen denken an Unternehmen wie Siemens, ThyssenKrupp oder Demag Cranes. Die Binnennachfrage dürfte dagegen kaum Impulse geben.

Die Zentralbanken haben die Märkte mit Liquidität geflutet. Wie groß schätzen Sie die Inflationsgefahr ein?
In den kommenden ein bis zwei Jahren ist das wohl kein Thema – vor allem wegen der sehr niedrig ausgelasteten Produktionskapazitäten. Die deutsche Wirtschaft hat trotz starken Wachstums im zweiten Halbjahr 2009 gerade mal ein Viertel des zuvor erlittenen Produktionseinbruchs wettgemacht. Wie die meisten Industrieländern werden auch wir uns noch längere Zeit mit niedrigen Auslastungsraten und einer quälend hohen Arbeitslosigkeit herumschlagen müssen. Das dämpft den Anstieg der Löhne und damit die Inflation. Es besteht die Gefahr, dass Anleger in eine Art Inflationsfalle tappen..

Was meinen Sie damit?
Wenn der Inflationsdruck in den kommenden ein, zwei Jahren eher nachlässt, könnten die Anleger insofern in eine Falle laufen, als sie die langfristig durchaus bestehenden Inflationsrisiken aus dem Blick verlieren. Die westlichen Zentralbanken agieren aus Rücksicht gegenüber der Konjunktur vorsichtig, sie dürften die in der Krise stark ausgeweiteten Zentralbankgeldmengen nicht vollständig zurückführen. Hinzu kommt, dass die Finanzminister mit ihren hoch verschuldeten öffentlichen Haushalte von einer höheren Inflation profitieren, weil dann die Steuereinnahmen stärker sprudeln. Langfristig rechne ich deshalb mit erheblichen Inflationsrisiken.

Was erwarten sie für den Arbeitsmarkt im nächsten Jahr?
Viele unserer internationalen Kunden sprechen mich an und sagen: „Dr. Krämer, erklären Sie mir das Jobwunder in Deutschland.“ Auf den ersten Blick scheint es ein Jobwunder zu sein. Denn trotz eines Einbruchs der Produktion in diesem Jahr um fünf Prozent ist die Zahl der Arbeitslosen seit dem Tiefpunkt im Herbst 2008 nur um 250000 gestiegen. Dass die Kurzarbeit auf eine Million geklettert ist, hat 250000 Menschen vor der Arbeitslosigkeit bewahrt. Außerdem fielen durch veränderte Zählmethoden 200000 Arbeitslose aus der Statistik. Ohne Kurzarbeit und statistische Kosmetik wäre die Zahl der Arbeitslosen also um rund 700000 gestiegen. Aber selbst das ist wenig im Vergleich zum Produktionseinbruch.

Wie erklären Sie sich das?
Den Unternehmen sitzt noch der Fachkräftemangel des letzten Aufschwungs in den Köpfen. Dies hat sie bislang veranlasst, sich mit Entlassungen zurückzuhalten. Sie horten offenbar Fachkräfte

Wie lange können die Unternehmen das noch durchhalten?
Zum Jahresende hat die deutsche Wirtschaft auch nach drei Quartalen ordentlichen Wachstums erst ein Viertel des Produktionsrückgangs wieder aufgeholt. Je länger die Kapazitäten niedrig ausgelastet sind, umso schwieriger wird es für die Unternehmen, ihre Belegschaften zu halten. Die Arbeitslosigkeit wird also steigen.

Wie stark?
Wir rechnen mit einem Anstieg auf 4,4 Millionen Arbeitslose bis Ende 2010.

Kann die Politik da noch mit Maßnahmen wie Kurzarbeit gegensteuern?
Der Politik ist es gelungen, den Unsicherheitsschock der Lehman-Pleite aufzulösen. Das war das wichtigste. Der Staat hat auch dadurch viel getan, dass er Kurzarbeit für die Unternehmen attraktiver gemacht hat. Man darf aber nicht den Schluss ziehen, dass die Politik alles kann. Wir dürfen nicht in den Machbarkeitswahn der 70er Jahre zurückfallen. Die Politik wird den Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht vollständig verhindern können.

Wann werden die Zentralbanken die Leitzinsen wieder anheben?

Wir werden uns noch eine ganze Weile mit niedrig ausgelasteten Produktionskapazitäten und einer quälend hohen Arbeitslosigkeit herumschlagen müssen. Die Zentralbanken werden in dieser Situation die Leitzinsen eher spät als früh anheben. Wir rechnen erst in der zweiten Jahreshälfte 2010 mit Zinsanhebungen, vermutlich eher im vierten als im dritten Quartal.

Hohe Staatsdefizite drücken auf die Bonität von Ländern wie Griechenland oder Großbritannien. Besteht eine Gefahr für die Stabilität des Euro?
Eine direkte Gefahr für die Stabilität des Euro sehe ich nicht. Ich glaube aber, dass die ausufernden Staatsdefizite und die wirtschaftlichen Ungleichgewichte im Euro-Raum 2010 ein wichtiges Thema bleiben werden. Anleger sollten hier sehr aufmerksam sein.

Rechnen Sie damit, dass Griechenland weiter an Bonität verliert?
Griechenland wird in diesem Jahr mit einem Staatsdefizit von gut zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts abschließen. Um sicherzustellen, dass der Schuldenstand nicht schneller wächst als das Bruttoinlandsprodukt, müssten die Griechen ihr Staatsdefizit von zwölf halbieren. Das ist eine Herkulesaufgabe. Es besteht das Risiko, dass die Ratingagenturen die Bonität Griechenlands noch mal senken. Ich glaube aber nicht, dass dies zu einem Käuferstreik führt, die Anleger also keine griechischen Staatsanleihen mehr kaufen. Letztendlich wirken die Marktmechanismen, und bei entsprechend gestiegenen Risikoaufschlägen wird es für risikoorientierte Anleger irgendwann wieder interessanter, dort einzusteigen.

Das Emirat Abu Dhabi hilft dem wirtschaftlich klammen Nachbarn Dubai. Ist die Gefahr eines Staatsbankrotts gebannt?
Ja, dadurch sind die Risiken deutlich gefallen. Man sollte sich auch klarmachen, dass Dubai viel zu klein ist, um eine echte Gefahr für die Weltwirtschaft darzustellen. Aber Dubai lehrt, bei staatlichen Unternehmen in Emerging Markets genau hinzuschauen. Und der Fall Griechenland zeigt, dass sich Staaten selbst innerhalb des Euroraums nicht mehr alles erlauben können.

Wo steht der Dax zum Jahresende 2010?
Wir sehen gute Chance, dass die Erholungsphase an den Börsen noch etwas anhält und der Dax bis zum Frühjahr weitere Höchststände erreicht. Aktien sind noch günstig bewertet. Wenn die Unternehmen aber im weiteren Jahresverlauf ihre Lager gefüllt und die nach dem Lehman-Schock unterlassenen Investitionen nachgeholt haben, wird sich das Wachstum abschwächen. Hinzu kommen die wirtschaftlichen Spannungen im Euroraum und gegen Ende des Jahres die Zentralbanken mit Zinsanhebungen. All das muss der Aktienmarkt verdauern. Wir rechnen damit, dass sich der Markt nach einem neuen Hoch im ersten Quartal tendenziell seitwärts bewegen wird.

Ein €uro-am-Sonntag-Umfrage unter 20 Banken hat ergeben, dass die Institute im Schnitt mit einem Dax-Anstieg auf 6366 Punkte zum Jahresende rechnen.
Das halte ich für eine realistische Größenordnung.

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