Interview

Björn Jesch: "Für Käufe ist es noch zu früh"

06.02.16 13:00 Uhr

Björn Jesch: "Für Käufe ist es noch zu früh" | finanzen.net

Der Chefinvestor von Union Investment über Panik an den Börsen, die Gefahr neuer Kursverluste und Chancen für eine Erholung.

von Alexander Sturm, Euro am Sonntag

€uro am Sonntag: Herr Jesch, Sie waren lange optimistisch für die Börsen. Glauben Sie nach dem jüngsten Absturz an eine Erholung?
Björn Jesch:
Noch ja. Die Wirtschaftsdaten sind besser als die Stimmung an den Börsen. Die Sorge um China genügt nicht als Erklärung für diese Marktreaktion, eher Angst vor den Folgen des Ölpreisverfalls und einer Konjunkturschwäche in den USA. Die Wirtschaft dort soll 2016 jedoch um gut zwei Prozent wachsen. Das ist nicht exorbitant, aber auch nicht schlecht. Auch billiges Öl ist mittelfristig gut für die Weltwirtschaft.

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Dennoch haben Sie Aktien ­zuletzt untergewichtet.
Ja, erstmals seit drei Jahren. Sich in hektischen Phasen wie zu Jahresbeginn gegen den Markt zu stellen ist gefährlich. Fundamentaldaten spielen in solchen Zeiten eine kleinere Rolle als früher. Es gibt immer weniger Investoren, die bei fallenden Kursen einsteigen, und immer mehr, die Trends folgen oder via Algorithmen handeln.

Was könnte die schlechte Stimmung drehen? Müssen die Notenbanken es wieder richten?
Stimmt, in den letzten Jahren hat immer die EZB-Politik geholfen. Auch diesmal hat Mario Draghi mit seiner Andeutung, die Geldpolitik im März notfalls noch zu lockern, die Märkte gestützt. Es wird aber immer schwerer für die EZB, die Erwartungen zu übertreffen. Auch hat Draghi in der EZB durchaus Gegner einer zu starken Lockerung.
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Manche glauben, die Fed werde vorsichtshalber auf die nächste Zinserhöhung verzichten ...
Die Fed wird sich schwertun, die Zinserhöhung im März auszusetzen. Das würde der Markt als Schwäche der US-Konjunktur werten. Ein anderer Auslöser für eine Börsenerholung wäre ein steigender Ölpreis, da er als Zeichen einer starken Weltwirtschaft interpretiert würde. Allerdings kann den niemand mehr so steuern wie einst die OPEC. Sie hat wegen des Überangebots auf dem Ölmarkt viel Macht verloren.

Aus Sorge um die Weltwirtschaft schaut die Börse panisch auf China. Zu Recht?
Der Glaube, dass Peking bei jeder Wirtschaftsschwäche gegensteuern kann, ist gesunken. Die Lage in China ist aber nicht dramatisch und die Regierung hat hohe Währungsreserven. Selbst im Fall einer harten Landung der Wirtschaft, eines Einbruchs auf drei oder vier Prozent Wachstum, wären die Folgen für die Weltwirtschaft gar nicht so groß. Das Wachstum in den USA würde um 0,1 und in Europa um 0,4 Prozent sinken.
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Die Börse interessiert sich relativ wenig für die Berichtssaison. Wie bewerten Sie die bisher vorgelegten Unternehmenszahlen?
Die Berichtssaison ist gar nicht schlecht. Die schlechte Stimmung an der Börse hat sie nur überlagert. Mit der Zeit werden gute Zahlen wieder belohnt.

Einige Aktien sind hoch bewertet. Wie anfällig macht sie das?
Die Bewertungen sind nicht so stark gefallen, dass man deshalb einsteigen müsste. Sie sind aber auch nicht gefährlich hoch. Für Aktien sprechen hohe Dividenden, die sie angesichts der Niedrigzinsen attraktiv machen.

Was raten Sie Anlegern derzeit?
Ich empfehle, nicht zu riskant zu investieren und in Multi-AssetFonds anzulegen, die Schwankungen dämpfen können. Deutsche Anleger sind oft konservativ und können nicht gut mit hohen Schwankungen umgehen.

Was tun, wenn man schon in Aktien investiert ist?
Man sollte jedenfalls nicht alles verkaufen. Eine Erholung an der Börse kann schnell gehen. Für Käufe ist es aber noch zu früh. Wer sein Depot stabilisieren möchte, sollte in defensive Branchen wie Versorger und Pharma umschichten.

Kurzvita
Anlagestratege
Björn Jesch (46) ­leitet das Investmentkomitee beim Fondsanbieter Union Investment. Er verantwortet die Kapitalmarktstrategie für alle Fonds der Genossen. Zuvor arbeitete Jesch lange für die Deutsche Bank.

Bildquellen: Fritz Philipp/Union Investment, photofriday / Shutterstock.com