EZB-Chefin Lagarde: Überstürzte Zinsanhebung könnte Erholung gefährden
EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat vor vorschnellen Zinsanhebungen gewarnt.
"Wenn wir jetzt überstürzt handeln, könnte die Erholung unserer Volkswirtschaften deutlich schlechter ausfallen und Arbeitsplätze wären gefährdet" sagte Lagarde dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland" laut Vorabbericht aus der Freitag-Ausgabe. Die Europäische Zentralbank (EZB) gehe aber vorbereitende Schritte. So werde das Pandemienotprogramm zum Ankauf von Anleihen im März beendet und die EZB werde das Gesamtvolumen ihrer Nettokäufe von Vermögenswerten reduzieren.
"Das Ende der Nettoanleihekäufe ist Voraussetzung für Zinserhöhungen zu einem späteren Zeitpunkt", erklärte Lagarde. Auf die Frage, wann der Zeitpunkt gekommen sei, sagte sie: "Derzeit beobachten wir die steigenden Inflationszahlen, die wir in unsere Prognose einbeziehen. Es kann sein, dass die Inflation höher ausfallen wird, als wir im Dezember prognostiziert haben. Das werden wir im März analysieren und dann weitersehen."
Die Gefahr eines zusätzlichen Preisschubs durch die Energiewende hält die EZB-Präsidentin für gering: "Die aktuellen Auswirkungen der Dekarbonisierung auf die Preise sind minimal, und zwar egal, ob wir über Emissionshandel oder Sondersteuern reden." Auch durch die anstehenden Tarifrunden erwartet sie keinen weiteren Inflationsschub. Es sei zwar verständlich und legitim, wenn Gewerkschaften höhere Lohnforderungen stellten, um die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu erhalten. Dass die Lohnabschlüsse den Inflationsprozess beschleunigten, sehe sie derzeit aber "überhaupt nicht". Die Lohnforderungen seien in den meisten Euro-Ländern, auch in Deutschland, sehr moderat.
Bei den Energiepreisen erwartet Lagarde nach eigenen Worten eine Stabilisierung auf hohem Niveau. Die hohen Kosten für Öl und Gas seien zwar kein vorübergehendes Phänomen. Das Preisniveau sei aber jetzt schon sehr hoch. "Der Ölpreis ist von unter 20 Euro im April 2020 auf 90 Euro pro Fass gestiegen, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass er in der gleichen Dynamik weitersteigt. Die Inflation wird sich allein schon deshalb verlangsamen." Gleichwohl beobachte die EZB die Auswirkungen der hohen Energiepreise auf die allgemeine Teuerung sehr genau. "Wir werden uns das im März sehr genau ansehen und bei allen weiteren Treffen in den nächsten Monaten. Falls nötig, werden wir handeln. Aber das geht nur Schritt für Schritt."
Mit Blick auf die Diskussion zur Bargeld-Abschaffung sagte sie, die Menschen seien an Bargeld gewöhnt und wollten es nicht aufgeben. Die Debatte darüber halte sie daher für überflüssig. Auch wenn ein digitaler Euro eingeführt werde, werde es weiter Euro-Münzen und Banknoten geben. Für das EZB-Projekt zur Einführung eines digitalen Euro sprächen private Anbieter, die versuchten, Kryptowährungen zu etablieren: "Dem müssen wir etwas entgegensetzen. Es kann nicht sein, dass mit persönlichen Daten der Nutzerinnen und Nutzer Geld verdient wird." Zudem biete die Technologie für private digitale Währungen auch neue bedenkliche Möglichkeiten, etwa für Terrorismusfinanzierung und Geldwäsche. "Deshalb sollte die Schaffung eines digitalen Euro ein öffentliches Projekt sein."
Kein Durchschlagen der Inflation auf Lohnforderungen
EZB-Präsidentin Christine Lagarde fürchtet nach eigenen Worten nicht, dass höhere Tarifabschlüsse die Inflation weiter anheizen könnten. In den meisten Eurostaaten, darunter Deutschland, seien die Lohnforderungen ausgesprochen moderat, sagte die Französin dem Redaktionsnetzwerk Deutschland in einem am Freitag veröffentlichten Interview.
Löhne orientierten sich grundsätzlich an der Produktivität und an den mittelfristigen Inflationserwartungen, die zurzeit etwa beim Ziel der Europäischen Zentralbank von 2 Prozent lägen, sagte Lagarde. "Erst wenn die Abschlüsse deutlich und anhaltend darüber hinausgehen, könnten sie den Inflationsprozess beschleunigen. Das sehen wir im Moment aber überhaupt nicht." Es sei verständlich und legitim, wenn Gewerkschaften in dieser Lage höhere Löhne forderten, um die Kaufkraft der Arbeitnehmer zu erhalten.
Experten beobachten die Lohnentwicklung aufmerksam, weil sich daraus Hinweise auf sogenannte Zweitrundeneffekte ergeben könnten: Wenn eine steigende Inflation zu höheren Tarifabschlüssen und damit Lohnkosten führt, kann dies wiederum die Teuerung anheizen. Löhne und Preise würden sich also gegenseitig hochschaukeln und die Inflation verfestigen. Damit würde nicht nur das Geld der Verbraucher stärker entwertet, sondern es könnte auch negative Auswirkungen auf Unternehmen und Arbeitsplätze geben.
Wegen der gestiegenen Energiepreise und Lieferprobleme liegt die Inflationsrate in Deutschland zurzeit so hoch wie seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr. Am Freitag will das Statistische Bundesamt Einzelheiten zu den Januarzahlen bekannt geben. Bereits bekannt ist, dass die Rate bei 4,9 Prozent im Jahresvergleich lag. Die Bundesbank geht davon aus, dass die Preise in diesem Jahr um mehr als 4 Prozent zulegen werden.
Lagarde verteidigte in dem Interview erneut die Geldpolitik der EZB und sagte, man mache Fortschritte, das 2-Prozent-Ziel zu erreichen. "Das würde uns erlauben, einige unserer Interventionen zurückzunehmen. Das geht aber nur stufenweise." Zugleich stimmte auch sie Verbraucher darauf ein, dass die Inflation in den kommenden Monaten relativ hoch bleibt. "Ich bin aber zuversichtlich, dass sie im Laufe des Jahres sinkt."
Inflation im Januar bei 4,9 Prozent
Die Inflation in Deutschland ist zu Jahresbeginn unerwartet hoch geblieben. Nach einer ersten Schätzung des Statistischen Bundesamtes von Ende Januar legten die Verbraucherpreise im Januar 2022 gegenüber dem Vorjahresmonat um 4,9 Prozent zu. Ökonomen hatten einen geringeren Anstieg von 4,4 Prozent erwartet. Details zur Entwicklung der Teuerungsrate im Januar gibt die Wiesbadener Behörde am Freitag (8.00 Uhr) bekannt. Im Dezember 2021 hatte die Rate bei 5,3 Prozent gelegen.
Eine höhere Inflation schwächt die Kaufkraft von Verbrauchern, weil sie sich für einen Euro dann weniger kaufen können als zuvor. Auch an mickrig verzinsten Ersparnissen nagt eine höhere Teuerung. Angeheizt wird die Inflation in Europas größter Volkswirtschaft seit geraumer Zeit vor allem von deutlich gestiegenen Energiepreisen.
Viele Ökonomen erwarten vorerst keine schnelle durchgreifende Entspannung an der Preisfront. Fachleute der Deutschen Bundesbank halten aktuell eine Inflationsrate von deutlich mehr als vier Prozent im Jahresschnitt für wahrscheinlich.
BERLIN (dpa-AFX/Reuters)
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