Fiktives Interview

André Kostolany: Lieber bin ich ein Hippie

29.12.14 03:00 Uhr

André Kostolany: Lieber bin ich ein Hippie | finanzen.net

André Kostolany, Deutschlands berühmtester Spekulant, ­verstarb vor gut 15 Jahren. Wie würde er über die Schuldenkrise denken? Und über den Zickzackkurs des DAX? €uro am Sonntag fragt nach - in einem nur halb erfundenen Gespräch mit der ­Börsenlegende.

von Tobias Aigner, Euro am Sonntag

Homo Spekulator, welch ein fürstlicher Beruf. Er muss sich nicht in staubigen Hallen bei rauer Arbeit die Hände schmutzig machen. Und er pfeift auf die langweiligen Debatten mit Kaufleuten und Geschäftemachern." So hat André Kostolany den Beruf des Spekulanten beschrieben - seinen Beruf. Gern wüsste man, was der Altmeister heute über die Börse zu sagen hätte. €uro am Sonntag hat die Fragen dazu formuliert - und originale Antworten aus Interviews, Kolumnen und Büchern des Altmeisters danebengestellt.

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€uro am Sonntag: Lieber Herr Kostolany, 2014 war ein holpriges Börsenjahr. Ukraine-Konflikt, Euro­krise, Ölpreis-Crash - nicht mal die übliche Jahresendrally war den Investoren vergönnt. Sollte man Aktien erst mal meiden?
André Kostolany: Rückschläge gehören zur Börse wie die Gräten zum Fisch. Aber würden Sie deswegen den Fisch wegwerfen?

Das nicht. Doch der Starökonom Nouriel Roubini warnt angesichts der vielen Brandherde vor dem "perfekten Sturm", einer neuen Weltfinanzkrise. Da kann einem schon bange werden.
Mich packt der heilige Zorn, wenn ich sehe, wie irgendwelche Möchtegernpropheten versuchen, die Börse niederzumachen. Niemals werde ich aufhören, gegen diese Tölpel zu kämpfen. Natürlich scheuen sie sich alle, den Crash genau zu definieren. Würden sie sich festlegen, wäre nämlich ersichtlich, dass ihre Katastrophenwarnungen nicht mehr sind als laues Wortgeklingel. Einen Rückschlag von sechs oder sieben Prozent kann ich beim besten Willen nicht mit dem Wort Crash bezeichnen, allenfalls als Korrektur. Man darf doch einen Schnupfen nicht mit einer Lungenentzündung gleichsetzen.

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Schnupfen? Der Finanzwelt droht ein Infarkt. Die Staaten sind bis zur Halskrause verschuldet. Und die Notenbanken kleistern die Probleme mit ihrer Geldflut nur zu.
Die Notenbanken haben die Situation im Griff. Braucht die Wirtschaft Geld, schaffen sie es. Ist hingegen zu viel Geld da und die Inflationsgefahr zu groß, ziehen sie das Geld wieder aus dem Kreislauf ab. Wie in der ­Bibel: "Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen."

So machen sich die Notenbanken zu Handlangern der Regierungen.
Unter deutschen Volkswirten grassiert eine fixe Idee: Die Notenbank müsse unabhängig sein. Auch in anderen Ländern gibt es diese Forderung, aber dort steht sie meist nur auf dem Papier. Das Verhältnis zwischen Notenbank und Staat ähnelt der Zusammenarbeit zwischen Chirurg und Internist: Der Chirurg darf ohne Einwilligung des Internisten auch nicht den kleinsten Eingriff vornehmen. Denn was ist wichtiger - die Finanzen eines Landes oder seine Wirtschaft? Ich setze auf die Wirtschaft. Die gesündesten Finanzen können eine kranke Wirtschaft nicht gesund machen.

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Die Geschichte zeigt aber, dass Zentralbanker, die mit Staatschefs kungeln, die Notenpresse missbrauchen. So wie in der Weimarer Republik, als die Reichsbank eine Hyperinflation anzettelte.
Ein Volkswirt, der sich noch traut, die heutige wirtschaftliche Lage mit der der 20er-Jahre zu vergleichen, ist ein Dummkopf. Seinerzeit lag Deutschland am Boden und blutete wegen unzumutbarer Reparationszahlungen aus. Die Staatskasse war leer und die Produktion gleich null. Es war überhaupt keine Ware da, umso größer waren die Schlangen derer, die nach Brot anstanden. Die heutige Situation ist damit keinesfalls zu vergleichen.

Trotzdem steckt in unserem Geldsystem ein Fehler: Immer wenn eine Systemkrise droht, geben die Notenbanken geldpolitisch Gas - und beschwören eine Spekulationsblase herauf, die dann zur nächsten Krise führt. Müssen die Industrieländer ihre Währungen wieder mit Gold decken, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen?
Man muss schon ein unverbesserlicher Fanatiker sein, um vom Goldstandard zu träumen. Wo immer Anleger, Regierungen und Notenbanken auf Gold fixiert waren, brachte es Arbeitslosigkeit, Stillstand und Armut. Der Goldstandard hat das Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsum immer in die negative Richtung nivelliert. War die Produktion größer als der Konsum, hat man die Produktion gedrosselt. War der Konsum zu hoch für die Produktion, hat man auf den Konsum Druck ausgeübt. Wie drückte das der indische Dichter und Nobelpreisträger Rabindranath Tagore aus: "Fasse die Flügel des Vogels in Gold, und er wird sich nie wieder in die Lüfte schwingen."

Taugt Gold dann wenigstens als Depotbeimischung - für den Ernstfall?
Im Goldgeschäft geht es zu wie im Roulettesaal: Rot oder Schwarz? Auf die kleinste, unbedeutendste Nachricht kaufen oder verkaufen die Spieler Terminkontrakte in Millionen­beträgen, nur um eine kleine Differenz zu kassieren. Wenn aus irgendeinem Grund ein größeres Angebot kommt, fällt der Preis dramatisch. Alles ist möglich in diesem Spiel. Wenn man für die Goldtendenz eine Meinung haben will, muss man im Kaffeesatz lesen können.

Sie sagen, dass man sein Geld besser in Aktien stecken soll. Was müssen Anleger dabei beachten?
Als ich Auto fahren lernte, sagte der Fahrlehrer zu mir: "Sie werden nie wirklich Auto fahren können, wenn Sie immer nur auf die Motorhaube schauen. Sehen Sie 300 Meter vo­raus auf die Straße!" So ist es auch an der Börse. Wirkliche Profis schenken den kurzen Zickzacks, arabischen Despoten und der Arbeits­losenstatistik keine Beachtung. Vorstellen muss man sich nicht, was morgen oder übermorgen sein kann, man muss auf Jahre vorausdenken.

Und man muss die richtigen Aktien finden, Bilanzen und Bewertungen studieren.
Ein großer Denker bemerkte einmal: "Kultur ist, was übrig bleibt, wenn man schon alles vergessen hat." Genauso verhält es sich mit dem Börsenwissen. Es ist das, was übrig bleibt, wenn man all das vergisst, woran die Volkswirte ständig herumnagen: Bilanzen, Statistiken und anderen Kram, der in Computern steckt. Wie sagten doch die alten Juden in Frankfurt: "Man macht das Geld an der Börse nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Sitzfleisch."

In Zeiten des Hochfrequenzhandels klingt dieser Satz wie ein Anachronismus. Muss man heute nicht viel schneller agieren an der Börse als zu Ihrer Zeit?
Ich halte das für totalen Unsinn. Nichtsdestoweniger ist die Computergläubigkeit heute in vielen Köpfen fest verankert. Dabei kann die Maschine immer noch nicht, was Spekulanten können: Fakten und Stimmungen gegeneinander abwägen und nach eigenen Schlussfolgerungen handeln.

Wie würden Sie heute auf der Erde leben wollen? Wieder als Spekulant oder lieber als Unternehmensberater oder Hedgefondsmanager?
Komme mir niemand mit Hedgefonds! Sie versuchen sich in täglichen Taschenspielertricks: Das ist keine Börse, eher ein Toll- oder Irrenhaus. Und als Wirtschaftsberater müsste ich zittern, ob ein Unternehmen aufgrund meiner Ratschläge höheren Profit macht. Nein, lieber bin ich ein Hippie und Wanderprediger der Börse, der unabhängig ­alles sagen und schreiben kann. "So ist es recht, Niemandes Herr, Niemandes Knecht", sagt Hoffmann von Fallersleben.

Galionsfigur der Spekulanten
Der gebürtige Ungar wäre gern Musiker geworden, hat Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Doch berühmt wurde André Kostolany als Spekulant. In Büchern und Kolumnen setzte er sich stets für die Inter­essen der Anleger ein, erklärte mit Witz und Anekdoten das Wesen der Börse. Seine Karriere begann er mit 18 Jahren als Lehrling bei einem Börsenmakler in Paris. 1940 floh er vor den Nazis in die USA. Und 1971 gründete er mit Gottfried Heller die Vermögensverwaltung Fiduka in München. Kostolany wurde 93 Jahre.

Bildquellen: Julian Mezger für Finanzen Verlag, Vadim Balantsev / Shutterstock.com