Langsame Zersetzung statt schnellem Breakdown? Wie die Musk-Übernahme Twitter langfristig schaden könnte
Nun ist Twitter schon seit fast vier Monaten im Privatbesitz von Tech-Milliardär Elon Musk. Aller Unkenrufe zum Trotz läuft der Online-Messagedienst weiter und erfreut sich trotz der schlechten Publicity bei vielen Nutzern weiterhin großer Beliebtheit. Einige ehemalige Mitarbeiter sehen aber eine "langsame Zersetzung" des Onlinedienstes durch die Musk-Übernahme. Schafft sich Twitter selbst ab?
Werte in diesem Artikel
• Trotz Kritik ist Twitter weiter beliebt und läuft technisch rund
• Ehemalige Mitarbeiter betonen effektive Sicherheitsfunktionen - doch erwarten Verschlechterungen
• Neben technischen Nachlässigkeiten bedrohe auch Musks Führungsstil die Zukunft Twitters
Der Tesla-CEO Musk hat seit der endgültigen Übernahme von Twitter am 27. Oktober 2022 den Microbloggingdienst einer Radikalkur unterzogen: Tausende Mitarbeiter wurden entlassen, viele Funktionen wurden verändert und Ex-US-Präsident Donald Trump wurde von Musk wieder bei Twitter eingeladen. Einige prominente Nutzer wie Elton John oder Robert Habeck löschten ihr Twitter-Konto aus Protest gegen die Musk-Übernahme. Außerdem stellten mächtige Konzerne wie Volkswagen oder Pfizer ihre Werbung bei Twitter ein, was dem Onlinedienst einen Umsatzeinbruch bescherte.
Zuletzt wurde es aber wieder ruhiger um Twitter. Das Nutzeraufkommen hat sich nach den ersten Turbulenzen inzwischen wieder stabilisiert, ebenfalls läuft die Seite trotz der Entlassung Tausender IT-Fachleute technisch weiterhin verhältnismäßig gut. Ein von Musk-Kritikern skizzierter rascher Breakdown von Twitter zeichnet sich aktuell nicht ab.
Khatibi: Twitter ist "mit vielen Fallschirmen" ausgestattet
Doch was noch nicht ist, kann ja noch kommen - das meint zumindest Ramin Khatibi, der ehemalige Zuverlässigkeitsbeauftragte von Twitter. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärte er, dass Twitter nach Jahren der schrittweisen Verbesserungen inzwischen über ein sehr stabiles System verfüge und "mit vielen Fallschirmen" ausgestattet sei. In Anbetracht dieses robusten Fundaments könne man Twitter selbst bei einem äußerst schlechten Willen nicht innerhalb weniger Wochen zugrunde richten.
Experten sehen aber Gefahr für langsamen Niedergang
Matthew Rejo, ehemaliger Ingenieur in der Zuverlässigkeitsabteilung von Twitter, pflichtet seinem Ex-Kollegen bei. Auf seinem eigenen Blog erklärt Rejo, warum Twitter noch funktioniere, obwohl bis zu "80 Prozent der Mitarbeiter entlassen worden sind", darunter viele hochqualifizierte Ingenieure und IT-Experten. Rejo legt dar, dass durch den jahrelangen Aufbau einer Redundanz von Servern und Cache-Clustern inzwischen sogar bei eigentlichen Störungen keine Probleme auf der Twitter-Seite auftauchten. Jedoch schaltete Musk zuletzt diverse Server ab, weshalb es laut Rejo keineswegs feststünde, dass Twitter weiterhin so fehlerfrei funktionieren wird.
Auch Khatibi hält einen langsamen, aber stetigen Niedergang von Twitter für möglich und identifiziert Musks Vorliebe für neue Funktionen als ein besonders delikates Problem. "Schnell Features auszurollen, kann die internen Systeme zersetzen, wenn diese Features ohne Rücksicht auf Ressourcen oder technische Beschränkungen entworfen werden", lautet seine Einschätzung. Seit Musk Twitter übernahm, werden neue Funktionen im Wochentakt ausprobiert, wofür zuvor Monate anberaumt wurden. Zudem sei eine Mehrheit derjenigen Ingenieure, die dabei Fehler gemacht und wichtiges Lehrgeld gezahlt hatten, inzwischen entlassen worden. Dadurch fehle es an zuverlässigen Ingenieuren für all die neu geplanten Funktionen.
Zudem sieht Khatibi eine große Gefahr in der Vernachlässigung des Backends, das man auch als "Motorraum" des Systems nennt. Dort habe sich bereits eine große "technologische Schuld" aufgetürmt. Die Leistungsfähigkeit sei nicht mehr gewährleistet, weshalb "irgendwann ein neues Feature kommt und das System ins Kippen bringt".
Twitter schafft kostenlosen Zugang zu API-Schnittstellen ab - Fatale Folgen möglich
Zuletzt sorgte Twitters Ankündigung, keinen kostenlosen Zugang mehr zu API-Schnittstellen zu gewähren, für große Aufmerksamkeit in Tech-Kreisen. So sieht unter anderem der inside digital-Redakteur Thorsten Neuhetzki darin einen weiteren Beleg dafür, dass "Twitter sich unter der Führung von Elon Musk selbst abschafft." Durch diese neue Regelung werden automatisch gesendete Tweets von großen Konzernen wie der Deutschen Bahn oder der S-Bahn Berlin, die mittels Twitter unter anderem über Störungen im Stromnetz informierten, künftig kostenpflichtig sein. Experten rechnen damit, dass viele Unternehmen es nicht einsehen werden, für die automatischen Tweets Geld zu bezahlen. Infolgedessen werden der Nachrichtenverkehr auf Twitter einbrechen und die Nutzerzahlen zurückgehen.
Managementfehler vergrößern die Probleme
Neben den technischen Nachlässigkeiten, fragwürdigen Funktionsveränderungen sowie der allgemeinen Überforderung der Systeme bei einer viel zu geringen Mitarbeiterzahl erkennt Khatibi ein weiteres Risiko: Managementfehler. Der autoritäre Führungsstil Elon Musks, der spätestens seit der Massenentlassung bei Twitter in aller Munde ist, führe zu einem von Angst geprägten Arbeitsumfeld. Viele Mitarbeiter zieren sich aus Furcht vor negativen Konsequenzen davor, wichtiges Feedback an ihre Vorgesetzten oder sogar an Musk persönlich zu richten. Tatsächlich hat Musk bereits einige Mitarbeiter entlassen, weil ihm deren kritische Aussagen negativ aufstießen. Wie "t3n" berichtet, habe Musk sogar eine Sondereinheit eingesetzt, um Kritiker aufzuspüren. Diesen drohe die sofortige Entlassung.
Redaktion finanzen.net
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