Deutschlands Top-Konzerne im Stresstest
Nach dem historischen Kurseinbruch rätseln Börsianer, wann der Boden erreicht ist. €uro am Sonntag hat die 30 DAX-Werte einem Stresstest unterzogen. Die Ergebnisse.
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von Sven Parplies, Euro am Sonntag
Hinterher ist man immer schlauer. Ende Juli kaufte der neue BASF-Chef Kurt Bock 1500 Aktien seines Konzerns. Auf den ersten Blick eine sinnvolle Entscheidung: Kurz zuvor hatte der weltgrößte Chemiekonzern einen Gewinnanstieg von 75 Prozent fürs erste Halbjahr gemeldet. Die Aktie war rein rechnerisch mit einem einstelligen Kurs-Gewinn-Verhältnis und einer Dividendenrendite von fast vier Prozent moderat bewertet. Dennoch wurde BASF jetzt in der allgemeinen Verkaufspanik an den Börsen nach unten gerissen. In der Spitze lag Bock mit seinem Investment 25 Prozent im Minus.
Anderen Aktionären ging es ähnlich. Die weltweite Angst vor Schuldenkollaps und Rezession hat im DAX historische Verluste verursacht. Auch wenn sich die Kurse zwischenzeitlich leicht erholten, hat das den Optimismus unter den Börsenprofis spürbar gedämpft.
Die Deutsche Bank senkte ihr Kursziel für den DAX bis Jahresende um 15 Prozent auf 6800, die Commerzbank um knapp zehn Prozent auf 7500 Punkte. Die DZ Bank sieht den fairen Wert zum Jahresende nur bei 6200 Punkten. Die wohl pessimistischste Aussage kommt derzeit vom Research-Haus Equinet. Im Fall einer erneuten Rezession müsse man davon ausgehen, dass der deutsche Leitindex auf 4200 Punkte fällt, heißt es dort.
Die plötzliche Panik steht im krassen Widerspruch zu den Nachrichten der Unternehmen. Im ersten Halbjahr meldeten viele DAX-Mitglieder Rekordzahlen. Die 30 Konzerne zusammengenommen haben den auf die Anteilseigner entfallenen Nettogewinn im ersten Halbjahr um zwölf Prozent auf knapp 37 Milliarden Euro gesteigert. Rechnet man die durch den Atomausstieg belasteten Versorger heraus, hat der Gewinn sogar um 30 Prozent zugelegt. Volkswagen und BMW haben nach sechs Monaten bereits fast so viel Geld verdient wie im kompletten Vorjahr.
Auch zeigen die jüngsten Turbulenzen an den Finanzmärkten bislang offenbar noch keine Auswirkungen auf das operative Geschäft. „Wir haben am 28. Juli unseren Quartalsbericht vorgelegt, seitdem hat sich das Geschäft nicht geändert“, heißt es bei BASF. Adidas hat erst Anfang des Monats die Jahresprognose nach oben geschraubt. Henkel hob in dieser Woche die Erwartung für das organische Umsatzwachstum an.
An der Börse aber regiert Skepsis. Gestiegene Erwartungen an die Unternehmen, eine sich abschwächende Konjunktur und die Unsicherheit in Bezug auf einige europäische Banken wecken Erinnerungen an die große Finanzkrise, die 2008 mit dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman eskalierte. Sollte sich Ähnliches wiederholen, wären die Gewinnprognosen hinfällig. Theoretisch könnten alle Konzerne in die Verlustzone rutschen, das KGV sich also komplett in Luft auflösen. Das aber ist ein Extremszenario. Während der Finanzkrise 2008/09 schrieben auf Jahresbasis nur neun der 30 aktuellen DAX-Konzerne rote Zahlen – Allianz, Commerzbank, Daimler, Deutsche Bank, Deutsche Post, Infineon, Lufthansa, MAN und ThyssenKrupp.
Und viele Unternehmen sind nach der Erfahrung des Lehman-Schocks 2008 besser aufgestellt, glauben Börsenprofis. „Die Unternehmen haben ihre Controllingsysteme seit 2008 verfeinert. Sie können heute schneller reagieren“, betont Christoph Schlienkamp vom Bankhaus Lampe. Die Investmentbank Morgan Stanley hat exemplarisch die Automobilbranche untersucht und sieht eine deutlich stabilere Basis als in den Monaten vor dem Lehman-Crash. Europas Autobauer haben demnach 65 Milliarden Euro Liquiditätsreserve, 22 Milliarden mehr als vor der letzten Krise.
Auch die Kostenstruktur zeigt sich stark verbessert: So sind die Kosten pro Fahrzeug bei BMW um knapp 20 Prozent gesunken. Außerdem sind Autoaktien niedriger bewertet. Dem stehen deutlich ausgeweitete Kapazitäten entgegen. Bis 2015 wollen die Autobauer rund 20 Prozent mehr produzieren. Sollte die Nachfrage sinken, würde den Konzernen viel Geld verloren gehen.
DAX-Check: Deutschlands Top-Konzerne im Stresstest (PDF)
Noch kalkulieren Analysten mit einem sehr optimistischen Szenario für die Gewinnentwicklung der deutschen Topkonzerne. Für den DAX rechnen sie laut Daten des Finanzdiensts Bloomberg für das kommende Jahr mit einem Gewinn von 756 Indexpunkten. Das wären 20 Prozent mehr als im bisherigen Rekordjahr 2007. In einem störungsfreien Umfeld wäre das durchaus realistisch, da viele Unternehmen mit der Expansion in Schwellenländer neue Absatzmärkte erschlossen haben. Die Erfahrung allerdings lehrt, dass Analysten meist zu spät auf konjunkturelle Wendepunkte reagieren. Die Schätzungen fallen daher erst später als die Kurse. Das führt dazu, dass Kurs-Gewinn-Verhältnisse ungewöhnlich niedrig werden. Während der Lehman-Krise fiel das KGV des DAX auf einen Wert unter acht.
„Der Markt vertraut den Schätzungen für 2012 nicht, sondern erwartet Herabstufungen und geht davon aus, dass die Gewinne 2011 ihren Höhepunkt erreicht haben“, warnen die Experten der Deutschen Bank. Bleibt die Frage, wie stark die Prognosen nach unten korrigiert werden. Historisch betrachtet, gehen sie laut Berechnung der Deutschen Bank in den ersten vier Monaten nach einem Wendepunkt um 15 bis 20 Prozent nach unten. Nimmt man den unteren Rand dieser Spanne als Grundlage, würden die Schätzungen für den DAX vom letzten Hoch bei 773 Punkten auf 618 Indexpunkte fallen. Hält sich das Kurs-Gewinn-Verhältnis beim Zwölfmonatsdurchschnitt von 10,5, würde das auf einen Indexstand von rund 6500 Punkten hinauslaufen.
Ähnlich sieht die Rechnung der DZ Bank aus. Die bisherigen Gewinnerwartungen würden davon ausgehen, dass die Gewinne in den Schwellenländern weiter steigen und in den etablierten Märkten zumindest stabil blieben. Eine abflachende Dynamik der Wirtschaft in der westlichen Welt stelle zunehmend auch die positive Sicht der „wirtschaftlichen Unverwundbarkeit“ Asiens infrage. Als Konsequenz geht die DZ Bank für 2012 von stagnierenden Gewinnen aus. Bei 620 Indexpunkten Gewinn und einem KGV von zehn ergäbe sich ein fairer Wert von 6200 Punkten.
Einen sehr breiten Korridor sieht die Commerzbank für den DAX. Sie setzt ihre neue Gewinnprognose für das kommende Jahr mit Verweis auf die weitere „Eintrübung der konjunkturellen Wachstumsperspektiven“ auf 700 Indexpunkte, knapp zehn Prozent unter dem aktuellen Konsens. Schuldenkrise und restriktive Fiskalpolitik drückten das Bewertungsumfeld für den Leitindex. Bei einem KGV in der Bandbreite zwischen 8,5 und 10,5 sollte sich der DAX demnach zwischen 6000 und 7600 Punkten bewegen.
€uro am Sonntag hat den DAX einem deutlich härteren Stresstest unterzogen als die Strategen der Banken. Für unsere Berechnung haben wir die Gewinnschätzungen für das kommende Jahr bei jedem Unternehmen um 30 Prozent – einem Rezessionsszenario angemessen – gekürzt. Diesen Wert hat die Redaktion dem durchschnittlichen KGV der vergangenen fünf Jahre gegenübergestellt. Das Ergebnis zeigt, dass bei vielen Indexmitgliedern bereits eine Rezession eingepreist ist. Offen bleibt nur, ob die Übertreibung nach unten wieder so heftig ausfällt wie 2008/09.
In der Führungsetage von BASF glaubt man offenbar an ein baldiges Comeback der Kurse. Forschungsvorstand Andreas Kreimeyer kaufte in dieser Woche 2000 Aktien – 20 Prozent unter dem Einstandspreis seines Chefs.
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