Euro am Sonntag-Titel

Deutsche Auto-Aktien: So gefährlich ist die Talfahrt der Hersteller

01.08.17 05:45 Uhr

Deutsche Auto-Aktien: So gefährlich ist die Talfahrt der Hersteller | finanzen.net

Der Umbruch in der Branche, der Dieselskandal - und jetzt die Kartellvorwürfe. Die deutschen Auto-Hersteller haben einen schweren Stand. Droht den Anlegern eine Abwärtsspirale?

von Florian Westermann, Euro am Sonntag

"Die Autoindustrie macht derzeit Schlagzeilen - und keine guten", nur diesen einen Satz in einem Beitrag im Karrierenetzwerk LinkedIn gibt es von Dieter Zetsche. Weitere Aussagen zur schwelenden Kartellaffäre: Fehlanzeige. Der Vorzeigemanager der deutschen Autoindustrie schweigt. Und der Aktienkurs fällt - wie der von BMW und Volkswagen -immer weiter.



Dabei brummt das Geschäft der wichtigsten deutschen Industriebranche. Daimler meldete für das zweite Quartal ein Plus von 15 Prozent beim operativen Gewinn. Volkswagen kämpft sich aus dem selbst geschaufelten Dieselloch und verdoppelte das operative Ergebnis von April bis Juni. Und beim Premiumhersteller BMW rechnen Analysten für Donnerstag mit einem kräftigen Gewinnplus.

Doch abseits der Zahlen blättert der Lack. Da ist die nicht enden wollende Diskussion um zu hohe Schadstoffwerte und Fahrverbote für Dieselfahrzeuge, die Hersteller wie Daimler oder Audi auch nicht mit freiwilligen Rückrufen einfangen können.


Und jetzt: ein Autokartell. Ein Desaster. Kunden kaufen Produkte, Anleger eine Aktie, weil sie der Marke oder dem Unternehmen vertrauen. Die deutsche Autoindustrie aber hat massiv an Vertrauen eingebüßt. Mancher Börsianer raunt hinter vorgehaltener Hand, dass Autoaktien das gleiche Schicksal drohe wie Bankaktien nach der Finanzkrise.

Der Fünfer-Club

Audi, BMW, Daimler, Porsche und Volkswagen hätten sich seit den 90er-Jahren in geheimen Arbeitskreisen über Technik, Kosten, Zulieferer, Märkte und Strategien abgesprochen, berichtete "Der Spiegel". Konkurrenten wie Renault oder Fiat wurden demnach vom elitären Fünfer-Club ausgeschlossen.



Technische Absprachen an sich sind nicht verboten. Die Dokumente, die "Der Spiegel" zitiert, lassen allerdings darauf schließen, dass die Autobauer zumindest in einer Grauzone operierten. Die EU-Kommission ermittelt. Sollten die Wettbewerbshüter zu dem Schluss kommen, dass der Zirkel verbotene Absprachen etwa über Verkaufspreise getroffen und Kunden übervorteilt hat, drohen hohe Geldstrafen.

Im schlimmsten Fall werden zehn Prozent des Umsatzes fällig, der in dem Jahr erzielt wurde, in dem das Bußgeld verhängt wird. Legt man das Jahr 2016 zugrunde, könnten BMW, Daimler und VW zu einer Zahlung von bis zu 46 Milliarden Euro verdonnert werden. Hinzu kämen Strafen in anderen Ländern.

Die EU macht Ernst

Warum bloß sind BMW, Daimler und VW ein solches Risiko eingegangen? Ein Grund: Zu Beginn der Kungeleien waren die Strafen gering, das Risiko somit kalkulierbar. Inzwischen aber gehen die Wettbewerbshüter rigoros gegen illegale Absprachen vor. Im vergangenen Sommer verhängte die EU in einem Kartellverfahren gegen vier Lkw-Hersteller Strafen von knapp drei Milliarden Euro. Besonders hart traf es Daimler mit gut einer Milliarde.

Nachdem das Lkw-Kartell im Jahr 2011 aufgeflogen war, änderten die Stuttgarter ihre Geschäftspolitik offensichtlich. Wie die "Süddeutsche Zeitung" berichtet, wandte sich Daimler im Fall des mutmaßlichen aktuellen Kartellvergehens bereits 2014 per Selbstanzeige an die Behörden. BMW und VW ließ Daimler im Dunkeln tappen. Wohl aus der Erwägung heraus, dass die Schwaben als Kronzeugen straffrei ausgehen könnten - so wie MAN im Lkw-Kartell.

BMW reagierte stinksauer. Als Konsequenz haben die Münchner offenbar Gespräche mit Daimler über Kooperationen ausgesetzt. Immerhin über eine gemeinsame Carsharing-Gesellschaft will Chef Harald Krüger mit seinem Wettbewerber Zetsche aber weiter sprechen.

Auch Volkswagen hat gepetzt, so wurde die ganze Sache erst öffentlich. Liefern die Wolfsburger neue Beweise, können sie ebenfalls auf einen Strafnachlass, möglicherweise von 50 Prozent, hoffen. Der Konzern muss bekanntlich bereits wegen des Dieselskandals tief in die Tasche greifen. Analysten rechnen hier mit einem Schaden zwischen 25 und 35 Milliarden Euro. Der Gelackmeierte in einem Kartellverfahren wäre wohl BMW. Die Bayern, die bislang als Saubermänner im Dieselskandal galten, könnte die volle Härte des Gesetzes treffen.

Die Zukunft des Diesel

Kartellvorwürfe und Dieselskandal stehen miteinander in Verbindung. Es wird der Vorwurf erhoben, die Konzerne hätten sich in den Geheimtreffen aus Kostengründen auch auf vergleichsweise kleine Tankgrößen für das Harnstoffgemisch AdBlue in ihren Dieselfahrzeugen geeinigt. AdBlue neutralisiert giftige Stickoxide. Die immer strengeren Abgasvorschriften konnten die Hersteller im Nachhinein nur noch mit Tricks erreichen - wie VW mit der verbotenen Abschalteinrichtung.

Neben möglichen Strafen rollt womöglich eine immense Klagewelle auf die Konzerne zu. "Bestätigt sich der Verdacht der Kartellabsprachen, handelt es sich um vorsätzliche organisierte Verbrauchertäuschung", sagt Klaus Müller, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Müller rechnet mit Zehntausenden Verfahren, in denen Autokäufer Schadenersatz für überteuerte Fahrzeuge verlangen werden. Zudem könnten Aktionäre und Zulieferer vor Gericht ziehen.

Der nächste Showdown findet am 2. August auf dem Dieselgipfel statt. Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) will mit Vertretern der Autobauer Maßnahmen zur Reduzierung der Schadstoffemissionen bei Dieselautos vereinbaren. Nach den "Spiegel"-Enthüllungen dürfte der Ton rauer werden. Dobrindt muss auf den letzten Metern seiner laufenden Amtszeit endlich Ergebnisse präsentieren. Mit einem Zulassungsstopp für manipulierte Porsche- Geländewagen setzt Dobrindt das erste Ausrufezeichen. Am Freitag folgte mit dem Urteil zu Dieselfahrverboten in Stuttgart der nächste Rückschlag.

Für BMW, Daimler und VW war die Dieseltechnologie lange ein Erfolgsgarant. Vor allem die großen Fahrzeuge der deutschen Premiummarken lassen sich in den Dieselversionen relativ sparsam bewegen. Für die Konzerne ist das wichtig, um die immer strengeren CO2-Vorgaben zu erfüllen und Strafzahlungen zu vermeiden. Um den Diesel zu retten, zeigen sich die Autobauer überraschend einsichtig. BMW, Daimler und VW spendieren ihren Dieselfahrzeugen ein kostenloses Software-Update, das den Schadstoffausstoß verringern soll. Wohl auch um den guten Willen zu beweisen, kündigte Daimler sogar den Ausstieg aus der Rennserie DTM an. Stattdessen will der Konzern in der vollelektrischen Formel E durchstarten.

Vertrauensverlust, langjährige Untersuchungen, mögliche Milliardenstrafen - sie kommen zu einer Zeit, in der die etablierten Konzerne jeden Euro für ihre eigene Wandlung brauchen. Die Entwicklung umweltfreundlicher Antriebskonzepte, der Elektromobilität, des autonomen Fahrens - all das verschlingt riesige Summen.

Elektroautos rollen an

Die globale Konkurrenz wartet nur auf die Schwäche der Deutschen. Techriesen aus dem Silicon Valley wie die Google-Mutter Alphabet, Apple und allen voran der Elektroautopionier Tesla setzen alles daran, sich einen Vorsprung bei autonomem Fahren und Elektromobilität zu erarbeiten - oder ihn auszubauen.

Nicht nur aus den USA droht der deutschen Autoindustrie ernste Gefahr. Auch die Chinesen haben das Potenzial erkannt. Unter anderem arbeiten der Technologiekonzern Tencent sowie der Apple-Zulieferer Hon Hai Precision am selbstfahrenden Elektroauto.

Mit der rein elektrischen Autowelt tut sich die deutsche Autoindustrie bislang recht schwer. Dabei können die strengeren CO2-Auflagen ohne den Diesel nur durch den Einsatz alternativer Antriebe erreicht werden. Alle Konzerne haben inzwischen eine Elektrooffensive angekündigt. Die Einführung wichtiger Hybrid- und Elektromodelle könnte aber in vielen Fällen zu spät kommen.

Japans größter Autobauer Toyota beispielsweise setzt seit 20 Jahren äußerst erfolgreich auf die Hybridtechnologie. Hier unterstützt ein Elektromotor den Benzinmotor. Seine Vorteile spielt das System insbesondere im Stadtverkehr aus. Mit einem Seitenhieb auf die Konkurrenz und die Dieselproblematik wirbt der Konzern in Deutschland mit der "freien Fahrt in die City", die Selbstzündern künftig womöglich verwehrt bleibt.

Auch die Sorge vieler Autofahrer, ohne Saft in der Batterie auf der Autobahn stehen zu bleiben, umgeht Toyota mit der Hybridtechnologie. Kein Wunder, dass die Japaner eine Erfolgsgeschichte schreiben. Schon heute wird jeder zehnte verkaufte Toyota von einem Elektromotor unterstützt. Bis 2025 will der Konzern den Hybridanteil verdoppeln. Die Dieselproblematik dürfte diesen Trend zumindest in Europa - nur hier spielt der Dieselmotor eine bedeutende Rolle - beschleunigen.

In China, dem größten Automarkt der Welt und lange Jahre Wachstumstreiber der Premiummarken, hinterlassen die Querelen der deutschen Autobauer sicher auch keinen guten Eindruck. Der heimische Autohersteller BYD könnte von einer Schwäche profitieren. Beflügelt vom Willen der chinesischen Regierung, in Sachen E-Mobilität an die Spitze zu fahren, hat sich das Unternehmen nach Stückzahlen zum weltgrößten Hersteller von Elektroautos gemausert. Neben Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor und Hybridantrieb verkaufte BYD 2016 über 100.000 Elektroautos.

BYD, ein Kooperationspartner von Daimler beim Elektroauto in China, überzeugt auch Investorenlegende Warren Buffett. Mit seiner Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway ist Buffett mit knapp einem Viertel an BYD beteiligt.

Musk auf Frontalangriff

Auch dem kalifornischen Elektroautobauer Tesla kommt die hitzig geführte Dieseldebatte zugute. Chef Elon Musk hält an seinem Ziel fest, 2018 eine halbe Million Elektroautos auszuliefern. Für 2020 peilt der Selfmade-Milliardär die Millionenmarke an. Das sind ambitionierte Ziele, nachdem Tesla im ersten Halbjahr 2017 gerade einmal 51 000 Fahrzeuge produziert hat. Der große Wurf soll mit dem kompakten Model 3 gelingen, das seit wenigen Wochen vom Band läuft und den Massenmarkt erobern soll.

Obwohl Tesla tief in den roten Zahlen steckt, ist die Geldversorgung dank der risikofreudigen Anleger an der Wall Street kein Problem. Beim Börsenwert hat Tesla mit BMW gleichgezogen. Musk zufolge brauchen Investoren nur etwas Fantasie. "Legt man Vergangenheit und Gegenwart zugrunde, ist die Aktie hoch bewertet - aber nicht, wenn man an Teslas Zukunft glaubt", schrieb Musk jüngst auf Twitter. Viele Anleger glauben ihm. Noch mehr zweifeln an der Zukunft des Diesels.

Investor-Info

BMW
Heruntergestuft

Im Fall einer Kartellstrafe würde es BMW wohl am härtesten treffen. Da mit jahrelangen Ermittlungen zu rechnen ist, kann sich der Konzern allerdings darauf vorbereiten und Rücklagen bilden. Die Gefahr ist also nicht akut. Als deutscher Vorreiter in Sachen Elektromobilität ist BMW zudem besser auf den Wandel in der Branche vorbereitet als die Konkurrenten Daimler und VW. Die Aktie ist moderat bewertet, der Trend spricht aber gegen einen Kauf. Wir stufen auf "Halten" ab.

Daimler
Kronzeuge

Als Kronzeuge in einem möglichen Kartellverfahren könnte Daimler straffrei ausgehen. Operativ läuft es gut bei den Schwaben. Der Konzern wird 2017 voraussichtlich einen Gewinn auf Höhe des Rekordvorjahres einfahren. Aus charttechnischer Sicht befindet sich die nächste stärkere Unterstützung bei 57,40 Euro und damit vier Prozent unter dem aktuellen Kursniveau. Nur hartgesottene Zocker steigen jetzt schon ein. Vorsichtigere warten erst eine Bodenbildung ab.

Volkswagen
Skandalgeprüft

Zahlen und starker Ausblick überzeugen. Der Konzern hat trotz des Dieselskandals keinen größeren Imageschaden erlitten. Auch ein mögliches Kartellverfahren dürfte sich wohl kaum auf die Beliebtheit der Konzernmarken auswirken. Allerdings besteht ein finanzielles Risiko, das VW jedoch dank hoher Mittelzuflüsse ohne große Probleme schultern dürfte. VW ist die günstigste deutsche Autoaktie. Umfeld schwierig, einstweilen noch abwarten.

Toyota
Solider Riese

Japans größter Autobauer muss sich keine Sorgen um Kartellstrafen in der EU machen und ist im Bereich alternative Antriebe mit seiner breiten Palette an Hybridfahrzeugen bestens positioniert, um vom unaufhaltsamen Wandel in der Autobranche zu profitieren. Das spiegelt sich auch in der Bewertung wider. Im Vergleich zu den Branchenkollegen ist die Aktie nicht billig. Die Anleger erhalten dafür ein erstklassiges Unternehmen mit guten Perspektiven. Zudem hat die Aktie jüngst ein charttechnisches Kaufsignal generiert.

BYD
Buffett-Liebling

Angesichts des hohen Anteils reiner E-Autos ist der chinesische Autobauer stark abhängig von Subventionen, die Peking für Elektroautos zahlt. Inzwischen mehren sich die Anzeichen, dass die steuerlichen Anreize für E-Autos über das laufende Jahr hinaus verlängert werden. Für das Unternehmen, an dem auch Warren Buffett beteiligt ist, sind das äußerst gute Nachrichten. Zudem fasst BYD mit seinen Elektrobussen immer stärker in Europa Fuß. Spekulatives Investment in E-Mobilität.

Tesla
Riskanter Flitzer

Analysten rechnen damit, dass Tesla 2019 den Sprung in die Gewinnzone schafft. Im laufenden Jahr dürfte ein Verlust von 1,5 Milliarden Dollar anfallen. Der Elektroautohersteller ist wegen der immensen Investitionen in neue Modelle und Werke hoch verschuldet. Die Anleger glauben aber an den Erfolg der Kalifornier. Für Firmenchef Elon Musk ist es daher ein Leichtes, an der Wall Street frisches Geld einzusammeln. Dennoch: Die Aktie ist extrem hoch bewertet. Halteposition.

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Bildquellen: iStockphoto, Krom1975 / Shutterstock.com

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