Euro am Sonntag-Interview

Chefanlagestratege Masters: "Gute Zeit für aktives Investieren"

28.12.16 20:13 Uhr

Chefanlagestratege Masters: "Gute Zeit für aktives Investieren" | finanzen.net

Seth Masters, der Chefanlagestratege des US-Vermögensverwalters Bernstein ist überzeugt, dass Aktien trotz ihres Kursaufschwungs weiterhin ordentliche Gewinne abwerfen werden.

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von Nele Husmann, Euro am Sonntag

Seth Masters’ Prognose von 2012 dürfte sich bewahrheiten: Der Dow Jones nähert sich der 20.000-Punkte-Marke - so wie er es in seiner Analyse "Dow 20.000" für 2022 vorhergesagt hatte. Damals gab es einen Aufschrei - die Wunden aus der Weltfinanzkrise waren noch zu frisch, das Interesse an Rekordverheißungen gering. €uro am Sonntag besuchte den Chefanlagestrategen des Vermögensverwalters Bernstein in seinem New Yorker Büro im 41. Stock mit Blick auf den Central Park. Sein Urteil: Weitere rasante Höhenflüge sind nicht zu erwarten - wohl aber Chancen für Anleger, die aktiv Aktien auswählen.



€uro am Sonntag: Alle zeigten Ihnen einen Vogel, als Sie 2012 vorhersagten, der Dow-Jones-Index würde in zehn Jahren bei 20.000 Punkten stehen. Im Rückblick erscheint das seltsam, oder?
Seth Masters:
Man kann sich die schlechte Stimmung von damals heute kaum vorstellen: Die meisten dachten, die Anleiherückkäufe der Zentralbanken würden die nächste Katastrophe nur vertuschen. Der Goldpreis stand bei 2.000 Dollar die Unze - man fragte sich nicht, ob man Gold kaufen sollte, sondern wie viel. Ich wollte daran erinnern, dass Aktien eine bessere Geldanlage sind als Gold. "Dow 20.000" war eine ganz moderate Schätzung, die auf sehr konservativen Erwartungen basierte. Sie erschien den Leuten nur als völlig waghalsig, weil sie erneut einen freien Fall erwarteten.

Welche Erwartungen meinen Sie denn konkret?
Aktien steigen nur aus zwei Gründen: Entweder weil die Unternehmen mehr verdienen oder weil die Anleger bereit sind, höhere Bewertungen zu akzeptieren. Wenn die Zinsen extrem niedrig sind, ist es nicht unlogisch, dass Anleger eine Prämie für Aktien zahlen. Aber jetzt erleben wir eine weitere Expansion der Kurs-Gewinn-Verhältnisse - bis der Dow 20.000 Punkte erreicht. Gut ist das nicht. Es gibt eine Menge Risiko im Markt.


Aus dem Optimisten ist ein Pessimist geworden! Gibt es denn Branchen, die noch günstig sind?
Die Menschen kaufen in erster Linie Aktien, die als sicher gelten. Diese sind deshalb am teuersten, allen voran Dividendenaktien. Das sind meist Unternehmen in einem gesättigten Markt, in dem sich Reinvestitionen ins Geschäft nicht mehr lohnen - entsprechend gering ist das Kurspotenzial. Deshalb notieren Dividendentitel normalerweise mit einem Abschlag von zehn Prozent zum Gesamtmarkt. Jetzt aber steht die Welt Kopf: Dividendenaktien handeln weltweit mit einem Aufschlag von 20 bis 30  Prozent. Es braut sich eine "Sicherheitsblase" zusammen.

Also ein Crash?
Entsteht eine große Blase bei sicheren Investments wie Anleihen oder Dividendenaktien, gibt es meist keinen dramatischen Kollaps - eher entweicht die Luft ganz langsam, wie aus einem Ballon. Wir erwarten von Sicherheitsaktien langfristig sehr niedrige Erträge, etwa ein oder zwei Prozent. Der Rest des Markts wird sich deutlich besser entwickeln.


Riskantere Aktien sind dann jetzt Schnäppchen?
Die attraktiven Aktien bergen Risiken, die Investoren bisher nicht zu tragen bereit waren - etwa ein Unternehmen, das schnell wächst und profitabel, aber nicht stabil ist. Davon gibt es einige im Technologiesektor. Aber man findet diese Firmen quer durch alle Branchen. Und das ist sehr gut so.

Warum?
Weil es Anlegern eine gute Gelegenheit bietet, breit zu diversifizieren. Denn ­jedes dieser Unternehmen ist echten ­Risiken ausgesetzt. Da darf man nicht alles auf eine Karte oder nur auf eine Branche setzen. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied zu den letzten Jahren, als sich alle Assetklassen einheitlich bewegten.

Die Zeit des Indexanlegens ist also ­vorbei?
Auf alle Fälle. Die kommenden fünf bis zehn Jahre werden ungewöhnlich gut für aktives Investieren. Sichere Aktien machen im historischen Durchschnitt 30 Prozent des US-Markts aus. Jetzt ist ihr Anteil auf 45 Prozent gestiegen. Wer passiv einen Index kauft, hat fast zur Hälfte Kursnieten im Portfolio. Zugleich gibt es attraktive Aktien im Index - da ist es schade, sich dieser Chancen zu berauben.

Welche Branche empfehlen Sie derzeit ­besonders?
Banken. Wenn Inflation einsetzt, werden Banken sofort sehr profitabel. Aber man muss jede einzeln durchleuchten. Von den von Donald Trump versprochenen Steuersenkungen profitieren nur jene Häuser, die wirklich Steuern zahlen. Auch bei den Finanzaktien sind es nicht die sicheren, die sich lohnen, sondern die, deren Geschäft die Wall Street nicht richtig versteht.

Gilt das nur für die USA?
Weltweit gibt es in fast jeder Branche wirklich interessante Aktien. Europa wächst im Vergleich zu Amerika aber langsam, etwas besser geht es Deutschland. Emerging Markets expandieren stark, was noch nicht eingepreist ist.

Ist es wirklich ratsam, in Schwellenländer zu investieren, wenn die neue US-Regierung sich gegen Freihandel stellt?
In der Tat entsteht da ein Konflikt mit den Antiglobalisierungstendenzen. Manche Schwellenländer sind im Welthandel jedoch weniger präsent, als man denken würde - Indien zum Beispiel. Fest steht: Die vergangenen Jahre nach der globalen Finanzkrise waren sehr ungewöhnlich, weil es eine synchronisierte Antwort von den Zentralbanken gab. Jetzt deglobalisieren sich die einzelnen Volkswirtschaften.

Warum entkoppeln sie sich?
Der Wandel hängt mehr von Technologie als von der Politik ab. Viele Unternehmen produzieren wieder näher an ihren Märkten. Das gibt ihnen die Flexibilität, kurzfristig auf Trends zu reagieren oder individualisierte Produkte herzustellen. Die Arbeitskosten spielen dabei nur eine untergeordnete Rolle. Das beste Beispiel sind Sportschuhe. Die Fabriken kommen wieder in die USA, wo Schuhe speziell nach Kundenmaß und Farbwunsch gefertigt werden. Die Welt wird immer nuancierter.

Überall in der Welt begehren Menschen gegen das Establishment auf. Ist der ­Populismus schlecht für die Börsen?
Das strukturelle Risiko steigt nachhaltig. Auf Sicht von fünf bis zehn Jahren wird es deutlich mehr Volatilität in allen größeren Kapitalmärkten geben. Schocks wie in den USA sind bei den anstehenden Wahlen in Frankreich, den Niederlanden und Deutschland zu befürchten. Und der Brexit ist noch nicht einmal ausgehandelt. Er ist ein gutes Beispiel: Erst reagierten die Märkte, als sei es eine Katastrophe, dann sind sie zu einem leichten Optimismus umgeschwenkt, weil das schwächere Pfund gut ist für einige Unternehmen. Da ist das Ende des Tunnels nicht erreicht.

Veränderungen wie Brexit oder Trump scheinen die Märkte nicht sehr effizient vorhersagen zu können.
Die US-Wahlen sind ein Beispiel dafür, dass die Märkte recht gut funktionieren. Mit der Nachricht von Trumps Wahlsieg haussierten Anleihen, Aktien dagegen fielen stark im Kurs. Aber schon wenige Stunden später legten alle eine Pause ein und dachten über das neue Muster nach: Steuersenkungen und zugleich mehr Ausgaben für ­Infrastruktur plus ernsthafte Deregulierungen - das erhöht die Defizite und löst höhere Zinsen aus. Also kehrte sich alles um: Anleihen fielen, während Branchen wie Banken, Pharma, Energie sofort boomten. Ich würde argumentieren, dass die Märkte ihre Arbeit ziemlich gut erledigt haben.

Was sehen Sie für die Märkte voraus?
In den kommenden zehn Jahren erwarten wir pro Jahr in US-Dollar ein Wachstum von einem Prozent für Anleihen und sechs Prozent für Aktien. Letzteres teilt sich auf in Wachstumsaktien mit 3,5  Prozent und Dividendenaktien mit 2,5 Prozent. Im langfristigen Durchschnitt waren 5,8 Prozent für Anleihen und neun Prozent für Aktien normal.

Geschichte wiederholt sich nicht?
Wir lassen die Vergangenheit nicht mehr in unsere Modelle einfließen. Die nächsten 30 Jahre werden wohl kaum so ausfallen wie die vergangenen 30. Das Ende der Sowjetunion wird sich nicht wiederholen.

Und wann werden wir den Dow mit 30.000 Punkten erleben?
Das ist sehr weit weg - da werde ich schon pensioniert sein. Aber ich garantiere Ihnen: Die 20.000 werden wir noch oft passieren - auf dem Weg nach oben wie auf dem Weg nach unten. Ich weiß, das hört sich nicht sehr optimistisch an, aber auch die Dow-Prognose von 20.000 damals war keine optimistische Schätzung. Ich bin lieber Realist. Diese eine Devise kann ich allen An­legern mitgeben: Ihre Finanzplanung sollte nicht auf Hoffnungen und Träumen basieren. Der einzig richtige Weg, über Geldanlage nachzudenken, ist der mit einem Sinn für die Wirklichkeit.

Vita:
Ein Urgestein bei Bernstein
Seth Masters (56) ist Chefanlagestratege bei Bernstein Global Wealth ­Management. ­Damit ist er für 65 Milliarden Dollar von 25.000 vermögenden Privatkunden verantwortlich. Masters arbeitet seit 25 Jahren für Bernstein, zuerst als Analyst für Banken, dann für Emerging Markets. Er spricht fließend Französisch und Mandarin. Masters studierte in Princeton und Oxford Chinesisch. ­Alliance Bernstein hat 500 Milliarden Dollar unter Verwaltung.

Bildquellen: Courtesy of AllianceBernstein

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