Landwirtschaft nach überraschendem Urteil: Züchter sehen rot
Der Europäische Gerichtshof reglementiert die Nutzung neuer Gentechnik-Methoden stark. Welche Folgen das Urteil hat. Welche Aktien dennoch profitieren.
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von Julia Groß, Euro am Sonntag
Statt ihr Getreide zu ernten, vernichten manche Bauern die mickrigen Ähren dieser Tage direkt im Häcksler. Andere bringen Kühe zum Schlachter, weil die eigenen Felder nicht genug Futter für das Vieh hervorgebracht haben. "Ein existenzbedrohendes Ausmaß" habe die Trockenheit der vergangenen Wochen für Landwirte in manchen Teilen Deutschlands erreicht, beklagt der Bauernverband.
"Die Dürre zeigt uns exemplarisch, dass wir zukünftig beispielsweise trockenheitstolerantere Sorten brauchen", sagt Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied. Schließlich hat die Landwirtschaft in bestimmten Regionen, etwa im Osten Deutschlands, immer regelmäßiger mit Trockenheit zu kämpfen, auch wenn das Jahr 2018 ein Extrem darstellt. Die Entwicklung einer neuen Sorte dauert nach Angaben der Saatgutkonzerne jedoch rund zehn Jahre. Viel schneller ginge es mit neuen molekularbiologische Methoden wie CRISPR/Cas. Durch sogenannte Genome-Editing-Technologien können Pflanzenzüchter seit einigen Jahren gezielt und punktuell ins Erbgut eingreifen, ohne dass sich das Ergebnis wesentlich von dem einer konventionellen Züchtung unterscheidet.
In Europa müssen Landwirte auf solche Lösungen jedoch wohl verzichten. Mitte der Woche urteilte der Europäische Gerichtshof überraschend, dass auch mit den neuen Methoden hergestellte Pflanzen unter die GVO-Richtlinie fallen und somit stark reglementiert werden. Da die europäischen Verbraucher als GVO ("gentechnisch veränderter Organismus") gekennzeichnete Lebensmittel ablehnen, kommt das faktisch einem Anbauverbot gleich. Denn Saatgutzüchter werden kaum den enormen Aufwand und die Kosten des GVO-Zulassungsverfahrens auf sich nehmen, wenn es keinen Absatzmarkt gibt.
Erheblicher Wettbewerbsnachteil
Das Urteil hat weitreichende Konsequenzen. Denn viele andere Länder, etwa die USA, Kanada, Brasilien und Argentinien, haben sich entschlossen, genomeditierte Pflanzen nicht strenger zu regulieren als konventionell gezüchtete Feldfrüchte. "Mit der Einstufung als GVO koppelt sich Europa von der wichtigsten Entwicklung in der Pflanzenzüchtung der vergangenen Jahre ab", glaubt man bei KWS Saat, dem viertgrößten Saatguthersteller von Nutzpflanzen weltweit. Die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Produzenten und auch der europäischen Pflanzenforschung ist in Gefahr.
Wie groß der Vorteil ist, der durch Einsatz der neuen Technologien realisiert werden könnte, zeigt der Vergleich zwischen den Methoden (siehe auch Glossar unten): Eine häufig angewandte Methode in der konventionellen Züchtung, übrigens auch in der ökologischen Landwirtschaft, ist die radioaktive Bestrahlung von Pflanzenzellen.
Dadurch entstehen Mutationen, das sind viele kleine Schäden in der DNA, von denen sich einige vielleicht zufällig positiv auf die Zuchtziele auswirken. Die picken Züchter heraus und eliminieren weniger gewünschte Veränderungen durch Rückkreuzen.
Bei der "alten" Gentechnik dagegen setzen Wissenschaftler häufig Gensequenzen aus anderen Arten ein, um Pflanzen eine neue Eigenschaft zu verleihen. Zum Beispiel kann sich der "Bt-Mais" mittels eines DNA-Abschnitts aus dem Bakterium Bacillus thuringiensis gegen Fraßschäden durch bestimmte Larven schützen.
Die neuen Genome-Editing-Werkzeuge spielen ihre Stärke bei punktuellen DNA-Schnitten aus, die ganz gezielt gesteuert werden können. Dadurch lassen sich beispielsweise einzelne Gene ausschalten. Das Ergebnis ähnelt sehr stark einer zufälligen, natürlichen Mutation, ist in vielen Fällen womöglich auch gar nicht davon zu unterscheiden.
Neben der Präzision beeindruckt die Geschwindigkeit: Um beispielsweise Sonnenblumen mit spezieller Eigenschaft zu züchten, sind auf konventionellem Weg mindestens sieben Pflanzengenerationen nötig, mit der Genschere CRISPR/Cas geht es innerhalb von zwei. Der US-Konzern DuPont hat 2015 lediglich drei Jahre, nachdem CRISPR/Cas überhaupt entdeckt wurde, eine damit hergestellte Maissorte in den USA zur Zulassung eingereicht. Die Erlaubnis wurde im April 2016 erteilt - eine drastische Zeitersparnis.
Hoher Aufwand für Zulassung
"Dieses Potenzial möchten wir nutzen", hat der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter über die vergangenen Jahre immer wieder erklärt. Jetzt fällt diese Möglichkeit in der EU weg. Das trifft besonders die zahlreichen Mittelständler der Branche, die vor allem europäische Kunden beliefern. Sie sahen in den recht kostengünstig anzuwendenden neuen Technologien eine Chance, sich im Wettbewerb zu behaupten. Stattdessen werden die Großen, die durch Zusammenschlüsse wie Bayer/Monsanto, Dupont/Dow oder Syngenta/ChemChina bereits eine enorme Marktmacht erhalten haben, weiter gestärkt.
Das Nachsehen haben auch die europäischen Landwirte. Sie erhalten keinen Zugriff auf innovative Sorten. Die Angebotsvielfalt dürfte insgesamt sinken, die Preise dagegen langfristig steigen. Wie lange es sich für global tätige Saatguthersteller überhaupt lohnt, konventionelle und genomeditierte Sorten parallel zu entwickeln und anzubieten, bleibt abzuwarten.
Für Verbraucher ist positiv, dass die Kennzeichnungspflicht gentechnisch veränderter Lebensmitteln nicht verwässert wurde. Denn natürlich ist und bleibt der Prozess des Genome Editings Gentechnik.
Für den Wirtschaftsstandort Europa wäre es allerdings besser gewesen, die EU hätte die Verantwortung nicht auf ein Gericht abgewälzt, sondern die 17 Jahre alte GVO-Richtlinie an den Stand der Wissenschaft angepasst und vernünftig zwischen den Technologien differenziert.
Investor-Info
Bayer
Gute Wachstumsperspektive
Das Potenzial der neuen Pflanzenzuchtmethoden dürfte bei der Entscheidung für den Kauf von Monsanto durchaus eine Rolle gespielt haben. Bayer ist groß genug, um auch aufwendige Zulassungsverfahren zu stemmen - doch in den wichtigen Agrarmärkten Nord- und Südamerikas, wo Monsanto stark vertreten ist, herrscht sowieso weitgehend freie Bahn für genomeditierte Sorten.
KWS Saat
Verpasste Chance
Das Gentech-Urteil verbaut dem deutschen Traditionskonzern viele Möglichkeiten für die Zukunft. KWS erzielte laut Neunmonatsbericht zuletzt über 70 Prozent des Umsatzes in Europa. Das Auslandsgeschäft wurde in diesem Zeitraum von Wechselkursschwankungen negativ beeinflusst, Umsatz und Gewinn gingen zurück. Erst ab 2019 könnte eine neue Zuckerrübensorte Wachstumsimpulse geben.
Glossar:
Alte und neue Technologien
Konventionell züchten bedeutet das gezielte Vermehren und Einkreuzen von Pflanzen mit besonders erwünschten Eigenschaften. Darunter fällt auch die Mutagenese, bei der zufällige Mutationen durch Chemikalien oder radioaktive Strahlung erzeugt werden, um dann zu schauen, ob nützliche Eigenschaften dabei herausgekommen sind.
Naturidentisch ist der von der Industrie erdachte Begriff für Pflanzen, an deren Erbgut kleine, gezielte Veränderungen mit neuen Genome-Editing-Methoden vorgenommen wurden. Sie sind kaum von zufällig, auf natürliche Weise bzw. durch konventionelle Züchtung entstandenen Veränderungen zu unterscheiden, es wird keine fremde DNA eingeführt.
Transgene Pflanzen enthalten im Labor eingefügte Erbgutabschnitte von anderen Arten bzw. Organismen.
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