Schwache Aktienjahre voraus? Darum erwartet Börsenkenner Jim Chanos das große Comeback der Short Seller
Seit dem Abklingen der Finanzkrise von 2008 hatten Short Seller in den vergangenen Jahren oft das Nachsehen gegenüber den Börsenbullen. Doch 2022 erlebte Short Selling ein großes Comeback, das sich laut Prognosen des Börsenexperten Jim Chanos in den kommenden Jahren fortsetzen dürfte. Lohnt sich Short Selling also wieder?
Werte in diesem Artikel
• Chanos: Höhere Zinsen und schwache Unternehmenszahlen beenden langjährigen Bullenmarkt
• Anerkannter Short-Investor Chanos sieht viele Chancen für Leerverkäufer
• Für Tech-Unternehmen Tesla, Coinbase, Robinhood & Co. ist Chanos besonders pessimistisch
Das Börsenjahr 2023 begann äußerst erfreulich. Der abnehmende Inflationsdruck, die Verlangsamung der Leitzinsanhebungen, die wirtschaftliche Öffnung Chinas nach dem Ende der No-COVID-Lockdowns sowie auch zuletzt recht stark ausgefallene Konjunktur- und Arbeitsmarktdaten nähren die Hoffnungen auf eine sogenannte "weiche Landung" der Weltwirtschaft. Fällt die Rezession also aus? Und erreichen DAX, Dow Jones, S&P 500 & Co. schon bald wieder neue Rekordhochs? Der bekannte Investor Jim Chanos würde diese Fragen entschieden verneinen - vielmehr rechnet er mit einem großen Revival des Short Sellings in den kommenden Jahren.
Chanos rechnet mit hervorragenden Short-Chancen
Chanos geht davon aus, dass nach langjährigen Übertreibungen an den Börsen nun die Bühne für eine größere Leerverkaufsperiode bereitet sei. Diese werde den Jahren nach dem Platzen der Dotcom-Blase im Frühjahr 2000 ähneln. "Fundamentale Leerverkäufe hatten nach dem Jahr 2000 eine lange erfolgreiche Zeit, und zwar fast 10 Jahre lang, weil 1999 und 2000 viele überbewertete Unternehmen an die Börse gingen. Egal, wohin sich der Markt entwickelt, es wird eine große Anzahl von Unternehmen geben, deren Geschäftsmodell zurecht in Frage gestellt werden wird", wie Chanos von Financial News zitiert wird. Somit würden sich für gerissene und wagemutige Short Seller hervorragende Chancen bieten. Tatsächlich konnten sich Leerverkäufer bereits durch den Absturz hochbewerteter Tech-Unternehmen wie Zoom, Peloton oder Snap 2022 über große Gewinne freuen, zuletzt erholten sich aber viele wachstumsorientierte Firmen wieder etwas.
Chanos: Schwache Unternehmenszahlen treffen auf hohe Bewertungen und hohen Inflationsdruck
Laut Chanos sei die Phase der Kurskorrekturen bei Unternehmen mit schwachen Fundamentaldaten aber noch längst nicht beendet, da die Zeit der Niedrigzinsen vorbei sei und die Anlagealternativen zu Aktien immer wichtiger werden. Zudem sei der Markt deutlich zu optimistisch, was die Ertragslage der Unternehmen und den Rückgang der Inflation betrifft. Das Bewertungsniveau des S&P 500 sei mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von etwa 21 noch keineswegs als günstig einzustufen. So sieht er beispielsweise den fairen Wert der Tesla-Aktie bei nur 30 bis 40 US-Dollar, derzeit kostet die Aktie etwa das Fünffache. Neben Tesla habe er auch die Papiere von Robinhood und Coinbase leerverkauft, wie Chanos der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) verriet.
Chanos: Allseits bekannter und gefürchteter Bär
Chanos ist der Gründer von Kynikos Associates, der mit seinen Leerverkäufen gegen die Enron Corporation nach der Aufdeckung des Bilanzbetrugs schon 2001 einen großen Gewinn erzielte. Seitdem shortete Chanos viele weitere Unternehmen, bei denen sich später herausstellte, dass sie auf Betrugsschemata beruhten. Dafür gründete er Chanos & Company, ein in New York City zugelassener Anlageberater, der auf Leerverkäufe spezialisiert ist. 2020 beispielsweise verdiente er an der Wirecard-Pleite mehr als 100 Millionen. Sein gutes Händchen erklärte er mit seinem Gespür für Unternehmensbilanzen. "Wenn man mich fragt, wo man nach Betrug sucht, lautet meine Standardantwort: direkt vor der Nase", so Chanos gegenüber Financial News. "Es ist die Art und Weise, in der Geld verlierende Unternehmen sich selbst als profitabel darstellen", fügte er hinzu. Chanos erklärt, dass die Unternehmen ihre Kennzahlen den Investoren "aggressiv" präsentieren, um die Ergebnisse besser erscheinen zu lassen, als sie sind.
Erstes großes Opfer von Short Selling 2023: Adani Group
2023 wurde schon ein großes Unternehmen Opfer einer intensiven Leerverkaufsattacke: das indische Industriekonglomerat Adani Group, das sich auf die Gewinnung und den Handel von Rohstoffen sowie die Energieversorgung konzentriert hat. Der Gründer und CEO des Konzerns, Gautam Adani, war zeitweise der drittreichste Mensch der Welt. Jedoch sind die die Wertpapiere seines Unternehmens unter die Räder gekommen, als der in den USA ansässige aktivistische Leerverkäufer Hindenburg Research am 24. Januar über Betrugsvorwürfe berichtete. In dem darauf folgenden Kurssturz wurde der Wert der Adani Group um 100 Milliarden Dollar geschmälert. Unterdessen hat die Adani Group rechtliche Schritte gegen Hindenburg eingeleitet und weist jegliche Manipulationsvorwürfe von sich. "Ich habe Hindenburgs Artikel gelesen, als er herauskam. Ich fand die Arbeit ziemlich gründlich", lautete die Einschätzung des erfahrenen Leerverkäufers Chanos. Auch Hedge-Fonds-Manager Bill Ackman lobte den Hindenburg-Artikel laut Finance News als "äußerst glaubwürdig und extrem gut recherchiert". Wenn man Chanos Glauben schenken mag, dann könnte der Kursverlust der Adani Group nur eines von vielen lukrativen Zielen der Leerverkäufer in diesem Jahr gewesen sein.
Redaktion finanzen.net
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