Risiken für den Aktienmarkt: Warum die sinkende Inflation Anlegern Sorgen machen sollte
Der Anstieg der Verbraucherpreise verlangsamt sich, der Höhepunkt der Inflation in den USA scheint überschritten. Und auch in Deutschland mehren sich die Hoffnungen, dass mit Blick auf die Verbraucherpreise das Schlimmste überstanden sein könnte. Entwarnung für die Aktienmärkte gibt es laut Experten aber nicht - im Gegenteil.
Werte in diesem Artikel
• Inflation geht zurück
• Experten geben keine Entwarnung für die Aktienmärkte
• Droht eine Deflation?
2022 geht als das Jahr mit einer Rekordinflation in Deutschland in die Geschichte ein. Kräftig gestiegene Preise für Energie und Lebensmittel hatten die Inflation im Jahresdurchschnitt auf 7,9 Prozent getrieben. Zwischenzeitlich hatte der Wert sogar deutlich darüber gelegen: Im Oktober und November 2022 wurden Inflationsraten von über 10 Prozent gemeldet.
Entspannung an der Inflationsfront
Zum Jahresende entspannte sich die Lage an der Inflationsfront aber etwas: Der Preisaufstieg verlangsamte sich deutlich, im Dezember lagen die Verbraucherpreise noch um 8,6 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Trotz jüngster Entspannungstendenzen mahnen Experten aber, hierzulande in Sachen Inflation noch keine Entwarnung zu geben. Dekabank-Chefvolkswirt Ulrich Kater wertet dies lediglich als "Zwischentief": "Bis wir wieder richtige Preisstabilität haben, wird es im besten Fall ein bis zwei Jahre dauern", zitiert dpa den Experten.
Deutlich optimistischer äußern sich Marktbeobachter zur Inflationslage in den Vereinigten Staaten. Hier war der Höhepunkt des Verbraucherpreisanstiegs bereits im Juni erreicht worden, als die Inflationsrate bis auf 9,1 Prozent stieg. Seitdem verlangsamte sich der Anstieg der Verbraucherpreise stetig weiter, im Dezember sanken die Verbraucherpreise gegenüber dem Vormonat um 0,1 Prozent und lagen um 6,5 Prozent über dem Niveau des Vorjahresmonats. Auch hier ist in allzu naher Zukunft zwar ebenfalls nicht davon auszugehen, dass die Inflationsraten durchschnittlich auf das von der US-Notenbank angestrebte Ziel von durchschnittlich zwei Prozent sinken werden, dennoch gehen Experten von einer weiter rückläufigen Inflationsentwicklung aus: "Die Inflationsraten werden über die kommenden Monate hinweg weiter einen fallenden Trend aufweisen. Es wird zunächst relativ zügig bis in den Bereich der 4 Prozent gehen. Vor allem der zu erwartende geringere Mietpreisanstieg wird die Inflationsraten erheblich nach unten drücken. Das Thema Inflation verliert also an Brisanz und die Fed kann damit weiter einen Gang zurückschalten", zitiert Dow Jones etwa Thomas Gitzel, den Chefvolkswirt der VP Bank.
Risiken für die Aktienmärkte steigen
Doch während sinkende Inflationsraten für Verbraucher grundsätzlich positive Nachrichten sind, steht den Aktienmärkten möglicherweise ein neues Risiko ins Haus. Die schwache Nachfrage hat erste Unternehmen jüngst zu Preiskorrekturen gezwungen. Eines der prominentesten Beispiele ist in diesem Zusammenhang der Elektroautobauer Tesla. Das US-Unternehmen sah sich unlängst gezwungen, die Preise auf dem wichtigen chinesischen Markt nach unten anzupassen. Schuld ist unter anderem die starke Konkurrenz auf diesem Absatzmarkt. Auch für europäische Kunden wird der Tesla-Autokauf günstiger: Je nach Konfiguration müssen Kunden in Deutschland dann zwischen einem und 17 Prozent weniger für die Limousine Model 3 und den weltweiten Tesla-Bestseller Model Y bezahlen.
Neben der zunehmenden Konkurrenz dürfte es auch die schwächelnde Nachfrage sein, durch die sie sich der E-Auto-Konzern zu diesem Schritt gezwungen sah. Bereits die Auslieferungszahlen im Dezember hatten Sorgen aufgebracht, die Fahrzeuge könnten unter potenziellen Elektroautokäufern nicht mehr so gefragt sein: "Wir glauben, dass Tesla einem bedeutenden Nachfrageproblem gegenübersteht", schrieb Bernstein-Analyst Toni Sacconaghi.
Nicht nur bei Tesla sanken zuletzt die Preise, auch am Rohstoffmarkt ist die Preisentwicklung rückläufig: Nach teils neuen Höchstständen im Jahr 2022 kosten Stahl, Aluminium und auch Öl inzwischen deutlich weniger.
Am Arbeitsmarkt, der sich weiterhin durchaus robust zeigt, hat dies aber noch keine Folgen, im Gegenteil: Die Löhne sinken nicht, weiter sind viele Stellen hierzulande und auch in den USA unbesetzt, der Fachkräftemangel ist weiter akut. Die Kombination aus fallenden Produktpreisen und einem starken Arbeitsmarkt sei keine gute Nachricht für Investoren, da die Unternehmen mehr für die Arbeiter bezahlen müssen, aber weniger für das bekämen, was sie verkaufen. Die Gewinnspannen "werden sinken" […], "das ist ein Fakt", zitiert "Barron’s" Brian Rauscher, den Leiter der globalen Portfoliostrategie bei Fundstrat.
Sinkende Gewinnspannen sind wiederum eine Hiobsbotschaft für Anleger. "Im weiteren Verlauf wird es ein Problem der Preissetzungsmacht geben … [bevorzugen Sie also] Unternehmen mit festeren Margen", so Rauscher weiter. Dabei spricht er insbesondere von jenen Unternehmen, die die immer noch dazu in der Lage sind, Preiserhöhungen durchzusetzen, Kosten effektiv zu senken oder sogar beides tun können.
Droht eine Deflation?
Rutscht die Wirtschaft also von einer Inflation in eine Deflation? Werden Verbraucher und Anleger 2023 statt höherer Verbraucherpreise das Gegenteil erleben und das Geld gewinnt an Wert, während es zu einem Preisverfall von Waren- und Dienstleistungen kommt? Die Folgen - insbesondere für die Aktienmärkte - wären verheerend. Zwar könnten die Währungshüter ihre Politik der Zinserhöhungen dann beenden und möglicherweise die Leitzinsen sogar wieder senken, was insbesondere jenen Unternehmen auf die Beine helfen würde, die stark fremdfinanziert sind. Zeitgleich käme es aber zu einem wirtschaftlichen Abschwung und steigenden Arbeitslosenzahlen, Kreditausfälle sind in deflationären Zeiten ebenfalls häufig.
Erste Marktexperten warnen bereits vor einem Umschlagen der Inflation in eine Deflation: "Es ist an der Zeit, in höflichen Kreisen das 'D'-Wort zu äußern. Anscheinend ist das entschieden konträr, aus aktuellen Gründen, nehme ich an. Ich kann nicht für 2024 sprechen, aber was 2023 betrifft, könnten wir sehr wohl eine überraschende CPI-Deflation erleben", zitiert Markets Insider Jeff Weniger, Head of Equities bei WisdomTree.
Sein Kollege Ryan Detrick, Chefmarktstratege der Carson Group, stützt diese Einschätzung gegenüber dem Portal: "Die Wahrheit ist, dass praktisch niemand eine Deflation erwartet, aber heute vor 18 Monaten hat auch niemand eine Inflation von 9 % erwartet". Zwar geht Detrick nicht davon aus, dass eine "völlige Deflation" zu erwarten sei, ein sehr schneller Rückgang der Inflation sei aber wahrscheinlich. "Wir würden es lieber Desinflation statt Deflation nennen, aber die Wahrheit ist, dass der Patient aktuell viel Medizin bekommt und jetzt, da China wiedereröffnet wird und die Lieferketten wieder in Gang kommen, verschwinden viele der großen Gegenwindfaktoren und öffnen die Tür für viel niedrigere Preise".
Anleger sollten sich vor diesem Hintergrund auf alle Optionen vorbereiten. Lohnen würde sich ein Blick auf qualitativ hochwertigere Unternehmen mit besseren Bilanzen und starken Managementteams, empfiehlt Rauscher. Diese Strategie dürfte in jedem Markt lohnenswert sein, insbesondere aber dann, wenn die Preise sinken.
Redaktion finanzen.net
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