Crash-Propheten

Was von düsteren Vorhersagen zu halten ist

12.08.10 06:00 Uhr

Untergangspropheten wie Nouriel Roubini haben spätestens seit der Finanzkrise Hochkonjunktur. Wer sie sind, was sie bewegt, was sie erwarten.

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19.871,5 PKT -13,2 PKT -0,07%

42.712,1 PKT -128,2 PKT -0,30%

25.551,8 PKT 2,1 PKT 0,01%

21.359,2 PKT 70,1 PKT 0,33%

19.630,6 PKT 58,0 PKT 0,30%

5.931,5 PKT 0,7 PKT 0,01%

13.514,6 PKT -14,3 PKT -0,11%

4.270,9 PKT 20,0 PKT 0,47%

3.425,0 PKT 11,2 PKT 0,33%

von Martin Blümel, Euro am Sonntag

Die Börsenwelt ist doch auch nur großes Theater, eine Bühne mit schillernden Darstellern. Und das Publikum, die Anleger, die Medien, sie gieren nach Stars, nach Helden. Mal sind das euphorische Optimisten, die verkünden, dass dieses Mal alles anders sei und Bewertungsmaßstäbe, die einst unumstößlich waren, passé seien. Dann sind es wieder warnende Pessimisten, auch Dooms genannt: Untergangspropheten, Leute mit scheinbar seherischen Fähigkeiten, die eifrig düstere Zeiten propagieren. Die Dooms sind dabei sicherlich schillernder als die Optimisten, da die Wahrscheinlichkeit, mit einer ­negativen Prognose richtigzuliegen, klar geringer ist. Denn historisch gesehen, geht es an zwei Dritteln der Handelstage an den Börsen bergauf.

Seit Beginn der Finanzkrise haben die Pessimisten auf der Börsenbühne die Hauptrollen besetzt. In Deutschland etwa wurde Max Otte bekannt, und auch Börsenaltmeister Roland Leuschel bekam wieder sein Publikum. Jedoch sind die Dooms vor allem eine amerikanische Domäne: Wall-Street-Legende Gary Shilling etwa warnt schon seit 1969 immer wieder vor Kursstürzen. 2008 lag er mit all seinen Jahrestipps richtig – etwa damit, Bankaktien zu verkaufen. Jetzt befürchtet Shilling eine ­Deflation, also stetig fallende Preise, was Unternehmen vom Investieren abhält und Konsumenten vom Konsumieren. Aktien solle man daher auf keinen Fall kaufen. Oder Nouriel Roubini: Der Wirtschaftsprofessor der New York University sah schon 2006 das Platzen der US-Immobilienblase kommen. Jetzt warnt er vor neuen Blasen, die „die Nullzinspolitik mit sich bringen wird“. Oder der Harvard-Historiker Niall Ferguson: Der wähnt den Euro auf dem „Sterbebett“ und hält das Ende der wirtschaftlichen Vormacht des Westens für besiegelt. Oder der Intellektuelle Nassim Taleb, der 2007 vom „schwarzen Schwan“ erzählte, vom tatsächlichen Eintreten nahezu unmöglicher Ereignisse. Ob man daraus gelernt habe? „Wir gehen immer noch fahrlässig mit Risiko um“, sagt Taleb.

Was die Dooms gemeinsam haben: Die meisten sind unabhängig, sind nicht Teil des Wall-Street-Estab­lishments. Da kann man leichter provokativ formulieren und sich so besser Gehör verschaffen. Auch jetzt noch, obwohl die Börsen steigen und die Konjunktur scheinbar wieder anspringt. Denn bei den Dooms ist die Wahrscheinlichkeit einer neuerlichen Rezession groß. Was ist da nur los? Ist der Dauerpessimismus nur eine Masche? Weil konträr zu sein für ein gewisses Maß an Berühmtheit sorgt? Andere werten die mediale Dauer­präsenz von Roubini und Co als Zeichen dafür, dass TV, Zeitungen und Internet der Realität hinterherhinken, daher ein Kontraindikator für die Richtung von Wirtschaft und Börsen seien. Aber das ist zu simpel: Die Bankenexpertin Meredith Whitney schaffte es im August 2008 mit einer schonungslosen Analyse der maroden Finanzbranche auf das Titelblatt des „Fortune“-Magazins – also einen Monat vor dem Crash.

Aktueller Aufreger ist der Wellen-Theoretiker Robert Prechter. Es stehe so schlimm um die Wirtschaft, dass der Dow Jones in den kommenden sechs Jahren auf 1000 Punkte falle. Großes Geraune, große Schlagzeilen. Nur 1000 Punkte beim Dow – eine schier unvorstellbare Prognose. Der Dow Jones, Index der 30 wohl wichtigsten Aktien Amerikas und somit ein guter Repräsentant der Weltkonjunktur, steht gerade bei etwa 10 600 Punkten. Er müsste demnach 90 Prozent verlieren, damit Prechter recht behielte. Auf 1000 Punkten notierte der Index zuletzt 1982.

Wie sähe die Welt wohl aus nach einem solchen Kurssturz? Sie wäre vielleicht nicht mehr dieselbe. Wenn Aktien 90 Prozent an Wert verlieren, dann hat das doch nichts mehr mit einer „normalen“ Rezession zu tun, eher mit Depression, kaputten Banken, Unternehmenspleiten, Massenarbeitslosigkeit, Währungsreform. Etwa so wie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise, die 1929 ihren Lauf nahm. Ein echter Kollaps. Mit Verzweiflung, Wut, Tränen, Hunger. Oder geht es auch weniger dramatisch? In Japan, ja. Dort verlor der Nikkei-Aktienindex zwischen 1998 und 2008 etwa 80 Prozent an Wert, ohne dass man im Chaos unterging. Trotzdem wird im Nachhinein von den verlorenen Dekaden gesprochen, die Vermögenserosion war so schleichend wie gewaltig.


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Letztlich unterscheiden sich an diesem Punkt auch die Dooms: So, wie die Weltwirtschaftskrise von Hyperinflation begleitet wurde und das Japan-Dilemma von Deflation, lassen sich die Befürchtungen der meisten Untergangspropheten einem der beiden Phänomene zuordnen. Einer, der Hyperinflation erwartet, ist der gebürtige Schweizer und jetzt in Thailand beheimatete Investor Marc Faber, der aufgrund seiner ausdauernden Schwarzmalerei und seines monatlichen Anlagereports „Gloom, Boom & Doom“ beinahe respektvoll mit „Dr. Doom“ tituliert wird. „Die Märkte tendieren nach oben in der Erwartung einer weiterhin lockeren Geldpolitik und möglicherweise weiterer Konjunkturhilfen“, sagt Faber. Trotzdem werde die Geldschwemme irgendwann in der Katastrophe münden – in Hyperinflation, nach Faber die einzige Möglichkeit der Staaten, ihre Schuldenberge abzutragen. Anders Prechter, der Deflationist. Dass die Staatsschulden das Kardinalpro­blem seien, darin ist er sich mit Faber und den meisten anderen Dooms einig. Sein Lösungsansatz heißt aber Sparen: „Das Leben auf Pump kann so nicht weitergehen – bei den Staaten nicht und bei den Privatleuten nicht. Es wird massiv gespart werden.“ Das aber ginge zulasten von Investitionen und Konsum und somit der Konjunktur.

Deflation sei die Folge und somit fallende Kurse bei Aktien, Rohstoffen und Immobilien. Es ist nicht das erste Mal, dass Prechter fallende Kurse vorhersagt. Er versucht, Kursbewegungen durch Anlegerpsychologie und die umstrittene Elliott-Wellen-Theorie zu erklären, dadurch große Stimmungsumschwünge vorherzusehen. Das hat bisweilen eindrucksvoll geklappt, 1987 etwa, als er rechtzeitig vor dem Oktober-Crash an der Wall Street gewarnt hatte. Und im März des vergangenen Jahres riet Prechter rich­tigerweise zum Kauf von Aktien. Trotzdem sehen in ihm viele einen Scharlatan, weil er die goldenen Börsenjahre der 90er-Jahre wegen sei-nes damaligen Dauerpessimismus schlicht verpasst hat. Bei Fehleinschätzungen werden aus Stars und Helden ganz schnell Blender, Selbstdarsteller – oder eben auch Scharlatane. Auch aktuell, obwohl man kein Doom sein muss, um die Probleme zu erkennen, die auf der Weltwirtschaft lasten. Die Argumente der Schwarzseher sind hier meist berechtigt und stichhaltig. Nur: Wann schlagen sie auf die Märkte durch?

Auch wenn die Kurse wie aktuell in die andere Richtung, nämlich nach oben, laufen, führt das die Prognosen nicht gleich ad absurdum. Es scheint, oft nur eine Frage der Zeit, bis der nächste Crash kommt. Das Problem: Die Anlegergeduld bei Marktprognosen ist schnell strapaziert, und die oft gehörte Relativierung der Dooms, der Crash käme dann eben später und dafür umso heftiger“, bekommt den Geschmack einer schnöden Ausrede. „Die Schwarzseher erkennen oft die tatsächlichen Fakten, die sich hinter Halbwahrheiten verbergen“, sagt Didier Sornette, Spezialist für Finanzmarktblasen am Lehrstuhl für unternehmerische Risiken an der Technischen Hochschule Zürich. Sornette bricht gar eine Lanze für die Dooms: „Die fundamentalen Prob­leme der Weltwirtschaft wurden geschönt statt gelöst. Politik, Banken und Wirtschaft haben das Problem doch nur auf die lange Bank geschoben und somit größer gemacht.“

Was tun? Den Dooms glauben? Rette sich wer kann? Was aber, wenn den Dooms die eigene Psyche einen Streich spielt? Aus der modernen Psychologie weiß man: Je fester die Überzeugungen verankert sind, desto schwerer fällt es, den Blick auf die Dinge zu ändern. Da werden Einschätzungen schnell dogmatisch, und die Wahrnehmung verzerrt sich. Denn ein Pessimist im Börsentheater sieht, was ein Pessimist sehen will, der Optimist wiederum mag nur die guten News. An entspannten, kühlen Analytikern fehlt es im Börsen­theater dagegen doch oft.

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