DAX auf dem Drahtseil
Nach einem trüben ersten Halbjahr präsentierte sich der DAX in den Sommermonaten wieder von seiner Sonnenseite.
Vom Juni-Tief bei gut 5.900 Zählern kletterte das Börsenbarometer in wenigen Wochen bis über die 7.000 Punkte-Marke. Es war vor allem der Draghi-Effekt, der dem Deutschen Aktienindex neues Leben einhauchte. „Innerhalb unseres Mandats ist die EZB bereit, alles Erforderliche zu tun, um den Euro zu erhalten. Und glauben Sie mir, es wird ausreichend sein.“ Zwei kleine Sätze von EZB-Chef Mario Draghi, ein großer Sprung für die Börse. Denn die Botschaft des Italieners war für die meisten Marktteilnehmer unmissverständlich: Wenn nötig, wird die EZB (wieder) Staatsanleihen von Krisenländern kaufen, womöglich sogar unbegrenzt.
Aber kann es das tatsächlich sein, was die Börse will? Denn die Ursachen des Euro-Schulden-Problems lassen sich mit Anleihekäufen oder sonstigen Liquiditätsspritzen der Notenbank nicht lösen, sie sorgen lediglich für zwischenzeitliche Linderung. Einen kranken Zahn behandelt man ja auch nicht dauerhaft mit Schmerztabletten. Schon am nächsten Tag, wäre eine neue, stärkere Dosis notwendig. Und was würde man damit gewinnen? Nichts, außer einem tablettensüchtigen Patienten, dessen Zahn mangels Behandlung kaputt und kaputter wird. Will heißen, man muss das Übel im wahrsten Sinne des Wortes an der Wurzel packen. Letztendlich sind es die ökonomischen Ungleichgewichte in der Eurozone, die beseitigt werden müssen. Oder anders ausgedrückt: Aus Südländern müssen – was die Wirtschaftsethik betrifft – Nordländer werden. Oder aus Nordländern Südländer. Natürlich könnte man sich auch in der Mitte treffen.
Die Aktienmärkte mögen auf Ankaufprogramme, Euro-Bonds oder XXL-Rettungsschirme kurzfristig mit Euphorie reagieren. Doch diese Begeisterung ist ein zweischneidiges Schwert. Denn sie ist nicht nur sprunghaft, sondern auch teuer erkauft. Darüber hinaus trübt sie den Blick für die tatsächliche Wirtschaftslage. Und die sieht momentan nicht besonders gut aus. Die Eurozone befindet sich quasi in der Rezession, Deutschland steht zwar noch vergleichsweise gut da, aber wirft man einen Blick in die jüngsten Quartalsberichte deutscher Konzerne, wird spätestens in der Rubrik „Ausblick“ deutlich, dass die fetten Jahre für viele Unternehmen vorerst vorbei sein könnten. Aus dieser Sicht erscheint es nicht sehr realistisch, dass der DAX – wie es manche Börsenbullen prophezeien – schon bald seine alten Rekordstände jenseits der 8.000-Punkte-Marke in Angriff nehmen wird. Und wenn doch, dann liquiditätsgetrieben.
Auf der anderen Seite sollte man aber auch nicht zu schwarz sehen. Insbesondere die international breit aufgestellten Konzerne profitieren nach wie vor vom Wachstum in den aufstrebenden Volkswirtschaften. Auch die relativ niedrigen KGVs und die durchaus ansprechenden Dividendenrenditen sprechen für den DAX. Zumindest könnten sie vor größeren Abstürzen schützen. Dennoch: Aktieninvestments bleiben im aktuellen Umfeld ein Drahtseilakt. Da gilt es gut abzuwägen und die Balance nicht zu verlieren.
Dirk Heß, Finanzexperte der Citi, schreibt regelmäßig zu aktuellen Markt- und Derivate-Themen. Als Leiter öffentlicher Vertrieb Deutschland & Österreich Equity & Private Investor Solutions besitzt er langjährige Expertise in allen Fragen rund um Börse und Investments. In seinem regelmäßigen Kommentar gibt Dirk Heß fundiertes Fachwissen weiter.
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