Chefwechsel = Trendwechsel?

Deutsche Bank: Aufräumer vor Herkulesaufgabe

15.06.15 03:00 Uhr

Deutsche Bank: Aufräumer vor Herkulesaufgabe | finanzen.net

John Cryan, der neue Chef der Deutschen Bank, muss das Geldhaus nach dem Rücktritt der Doppelspitze Jain und Fitschen sanieren. Viele trauen ihm das zu.

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von Alexander Sturm, Euro am Sonntag

Die Vorschusslorbeeren für John Cryan wiegen drei Milliarden Euro. Um diese Summe schoss der Wert der Deutschen Bank in die Höhe, als die Börsen am Montag erstmals nach dem Rücktritt von Anshu Jain und Jürgen Fitschen öffneten. Um mehr als acht Prozent jagten Aktionäre den Kurs zeitweise nach oben - acht Prozent, die zeigen, wie groß ihre Hoffnung auf einen Neuanfang bei der Deutschen Bank ist. Vorbei die quälende Zeit der Skandale, Umbauten und Negativschlagzeilen? Plötzlich schienen all die Probleme von Deutschlands größtem Geldhaus vergessen. Für Cryan wirkte keine Aufgabe zu groß.

Unbelasteter Neubeginn

Dabei dürfte der Name Cryan den Wenigsten bekannt sein. Selbst am Finanzplatz Frankfurt fiel sein Name nicht bei Spekulationen um Nachfolger für Fitschen und Jain. Dann platzten am Sonntag Gerüchte von deren Rücktritt in die Nachmittagsidylle. Um 15.09 Uhr hievte die Deutsche Bank Cryan offiziell auf den Thron. Er wird der 21. Chef in der 145-jährigen Geschichte des Hauses.

Der 54-jährige Brite ist indes kein Unbekannter in dem Geldhaus. Seit 2013 sitzt er im Aufsichtsrat, leitet den Prüfungsausschuss und ist Mitglied im Ri­sikoausschuss. Er kennt die Bank im ­Detail und ist mit der Aufarbeitung ihrer Vergangenheit vertraut - ohne selbst von ihr belastet zu sein. Weder stammt Cryan aus der skandalumwitterten Investmentbankingsparte wie Jain noch ist er in Gerichtsverfahren verwickelt wie Fitschen. Für einen Neustart sind das keine schlechten Vorzeichen. "John Cryan steht persönlich und beruflich für die Werte, die nötig sind, die Deutsche Bank voranzubringen", sagt Aufsichtsratschef Paul Achleitner.

Er weiß, wie wichtig eine unbelastete Führung ist. Drei Jahre nach ihrem Antritt hatten Fitschen und Jain ihre Glaubwürdigkeit verspielt. Die Kosten- und Renditeziele, die sie 2012 ankündigten, blieben unerreicht, dafür blieb die Aktie trotz Börsenboom am Boden (siehe unten). In der Aufarbeitung der vielen Rechtsstreitigkeiten der Bank kam das Duo nur langsam voran oder behinderte gar Ermittlungen. Auch deshalb musste die Bank die Rekordstrafe von 2,5 Milliarden Dollar für die Manipulation von Libor-Zinsen zahlen. Und am Dienstag durchsuchten Polizisten erneut die ­Zentrale bei einer Razzia. Den ausgerufenen Kulturwandel konnten Jain und Fitschen nicht verkörpern.

Auch mit der "Strategie 2020", die Jain und Fitschen im April vorstellten, überzeugten sie nicht. Auf der Hauptversammlung entzogen ihnen die Aktionäre das Vertrauen. Die Kritik traf Jain hart. Den Ausschlag für seinen Rücktritt soll eine Werbetour vor US-Investoren gegeben haben, heißt es. Dort habe Jain gemerkt, dass er das Vertrauen verloren hat. Er wird die Bank bis Januar 2016 beraten. Fitschen bleibt noch ein Jahr im Amt, um Cryan einzuarbeiten.

Angesehener Krisenmanager

Der Neue genießt einen guten Ruf bei Investoren. Der gründet sich vor allem auf seine Aufräumarbeit als Finanzchef der Schweizer Großbank UBS. Sie beschloss in der Finanzkrise, sich aus dem Investmentbanking zu verabschieden und sich auf die Vermögensverwaltung zu konzentrieren. Cryan organisierte den Abbau riskanter Geschäfte, strich die Bilanz zusammen und führte ein neues Überwachungssystem ein. Heute ist die UBS an der Börse fast doppelt so viel wert wie die Deutsche Bank. Der Ritterschlag, die Beförderung zum Bankchef, blieb Cryan jedoch versagt. 2011 verließ er die UBS, wohl im Streit mit dem damaligen Chef Oswald Grübel. Er ging zu Singapurs Staatsfonds Temasek, wo er das Europa-Geschäft steuerte.

Den Ruf als energischer Kostenkürzer und Krisenmanager hat er heute noch. "Wir sehen John Cryan als umsetzungsstarken und auf die Zahlen fokussierten Chef, so wie er es bei der UBS bewiesen hat", sagt Kian Abouhossein, Analyst bei der Bank JP Morgan. "Er ist der richtige, um bei der Strategie 2020 zu liefern." Cryan habe Führungserfahrung und sei mit der neuen Strategie der Bank vertraut, sagt Hans-Christoph Hirt, Manager bei der Londoner Investorenberatung Hermes. Und die Citigroup sieht die Deutsche Bank gar an einem "Wendepunkt".

Scheu, bescheiden, detailverliebt

Dass Cryan trotz seiner Erfolge in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist, liegt auch an seinem scheuen Charakter. Der Brite mit der markanten Halbglatze gilt als bescheiden und zurückhaltend. Er nehme sich selbst nicht allzu wichtig, heißt es. Andere kritisieren, er sei kein besonders charismatischer Anführer. Dafür wird er als Zahlenmensch und scharfer Analytiker geschätzt, der sich tief in Details einarbeitet und unbequeme Fragen stellt.

Seine Gründlichkeit hat ihm in seiner Karriere nicht geschadet. Geboren im nordenglischen Harrogate begann er nach einem Wirtschaftsstudium an der Elite­universität Cambridge im Jahr 1987 seine Laufbahn als Wirtschaftsprüfer bei der Beratungsfirma Arthur Andersen. Anschließend wechselte er zur Londoner Invest­mentbank SG Warburg, für die er Anfang der 90er-Jahre in München arbeitete. Dort lernte er sein gutes Deutsch.

Bei der Bank arbeitete er als Berater bei Übernahmen und Fusionen und der Platzierung von Wertpapieren. So ist Cryan Investmentbanker, doch keiner, der aus den von Skandalen verseuchten Handelsräumen stammt. Über Verfehlungen in seiner Vergangenheit ist nichts bekannt.

Als SG Warburg in der UBS aufging, kletterte Cryan die Karriereleiter empor. 2007 gelang ihm ein Coup, der seinen Ruf als Mann für schwierige Fälle stützt. Er beriet die niederländische Bank ABN Amro, als eine Übernahmeschlacht um sie ausbrach. Am Ende gelang der Verkauf zum Rekordpreis von 70 Milliarden Euro. Dann brach die Finanzkrise aus und Cryan, inzwischen zum Finanzchef von UBS befördert, wickelte dort das Investmentbanking ab.

Keine Schonzeit für Cryan

Bei der Deutschen Bank wird Cryan nicht das Investmentbanking schließen. Er unterstütze die Strategie von Jain und Fitschen, heißt es. Sie sieht den Verkauf der Postbank, die Schließung von 200 Filialen und einige Einschnitte im Investmentbanking vor. Es ist aber schwer vorstellbar, dass der Neue gar keine Akzente setzt. Viele glauben, dass Cryan Kürzungen im Investmentbanking leichter fällt als Jain, der mit der Sparte groß wurde. "Ein neuer Manager könnte leichter harte Entscheidungen treffen", glaubt die Ratingagentur Fitch.

Viel Zeit, um sich einzugewöhnen, hat Cryan nicht. Nicht einmal die 100 Tage Schonfrist, die neue Chefs gern beanspruchen: Spätestens Ende Juli muss er die Details zur neuen Strategie vorlegen, die Jain und Fitschen bei der Präsentation schuldig blieben. Wahrscheinlich wird er den Abschied von Auslandsgeschäften und konkrete Pläne zur Kostensenkung bekannt geben.

Doch auch wenn Cryan mit Lob überschüttet wird, zum Jubeln ist es zu früh. Denn die Probleme der Bank bleiben - Chefwechsel hin oder her. So muss Cryan nicht nur die Kosten in den Griff bekommen, sondern auch die 7.000 Rechtsstreitigkeiten der Bank abarbeiten, die Rendite steigern, das Eigenkapital stärken, unrentable Geschäfte eindampfen und verlorenes Vertrauen zurückgewinnen. Zumal der Spagat zwischen sparen, schrumpfen und wachsen in Zeiten niedriger Zinsen und schärferer Regulierung nicht leichter wird.

Große Hoffnung, gewaltige Hürden

"Die langfristigen Themen brauchen mehr als nur einen neuen Chef", urteilt James Chappell, Analyst bei Berenberg, skeptisch. Auch wird Cryan um ein­malige Kosten für Strafen und die neue Strategie nicht herumkommen sowie den Abgang mancher Vertrauter von Jain verkraften müssen. Die Aktionäre werden weiter Geduld brauchen.

Immerhin kann er sich auf ein solides Kerngeschäft stützen. So profitierte die Deutsche Bank zuletzt im Investmentbanking von höheren Schwankungen an den Märkten und großen Zuflüssen in der Vermögensverwaltung. Auch wird Cryan ein gutes Gespür für die Kommunikation mit Regulierern nachgesagt. Beim Abbau der Rechtsstreitigkeiten könnte das von Nutzen sein.

Seine Deutschkenntnisse werden Cryan helfen, schnell in Frankfurt anzukommen. Jain, der die Sprache kaum beherrschte, blieb ein Fremdkörper. Zu vielen Deutschen fand er keinen Draht, mit der Politik in Berlin wurde er nicht warm. Bizarr geriet sein Auftritt auf der Hauptversammlung. Als Jain seine Rede auf Englisch hielt, wurde die deutsche Übersetzung über seinen Originalton gelegt. So stand er vor den Aktionären, ohne zu ihnen zu sprechen. Nur seine Lippen bewegten sich.

Das wird Cryan nicht passieren. Doch den meisten Investoren ist etwas anders wichtiger als gute Sprachkenntnisse. Nur wenn er bei der zweiten Großbank die Wende schafft, werden sie zufrieden sein. Erst dann sind für Cryan, den Drei-Milliarden-Euro-Mann, die Vorschusslorbeeren gerechtfertigt.

Vita

Auf Umwegen zum Bankchef

John Cryan (54) erreicht spät die Spitze. Der Ökonom und Wirtschaftsprüfer, der bei der Schweizer Bank UBS Karriere machte, wurde schon dort als Chef gehandelt. Doch er verließ die Bank im Streit. Jüngst soll Cryan als Chef der Credit Suisse im Gespräch gewesen sein. Nun kam über­raschend der Ruf der Deutschen Bank. Cryan, der mit seiner Frau in London lebt und ein Haus an der Ostküste der USA besitzt, sucht jetzt eine Bleibe in Frankfurt. Dass er Opern mag, könnte die Umgewöhnung erleichtern.

Deutsche Bank-Aktie

Am Boden

Belastet von verfehlten Renditezielen, hohen Strafen und offenen Rechtsstreitigkeiten kam die Aktie der Deutschen Bank (siehe Seite 19) seit dem Antritt von Fitschen und Jain im Sommer 2012 nicht vom Fleck. Sie notiert weit unter Buchwert. Die Titel von US-Konkurrenten verdoppelten sich seitdem. Nun hoffen Aktionäre auf einen Neuanfang bei der Deutschen Bank.

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Bildquellen: UBS, 360b / Shutterstock.com

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