Internet-Aktien: Was von den China-Krachern zu halten ist
Chinesische Internetaktien sind die neuen Überflieger an der Wall Street. Steckt mehr als ein Hype hinter Titeln wie Renren, Tencent und Baidu?
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von Stephan Bauer, €uro am Sonntag
An der Wall Street herrscht eine seltsame Stimmung. Da sind die üblichen Ängste – die schleppende US-Konjunktur, die Eurokrise. Zugleich aber gibt es Anzeichen einer Euphorie, die man seit Jahren vergessen glaubte: Die US-Börse ist im Webfieber.
Jüngstes Beispiel: der Suchmaschinenbetreiber Yandex. Soeben haben die Russen den größten Internetbörsengang in New York seit der Börsenpremiere von Google hingelegt. 1,3 Milliarden Dollar spielte das Listing ein. Der Emissionspreis lag bei 25 Dollar pro Aktie – 20 bis 22 Dollar waren angepeilt. Höchstkurs am Emissionstag: knapp 39 Dollar.
Nur wenige Tage zuvor war es das Social-Networking-Portal Renren, das den Traum vom schnellen Dollar bei vielen Händlern wahr werden ließ. Renren ist so etwas wie Chinas Antwort auf den amerikanischen Überflieger Facebook. Mit rund fünf Milliarden Dollar bewertete die Börse den Neuling . Dabei hat das Unternehmen im vergangenen Jahr bei gerade mal 77 Millionen Dollar Umsatz rund 64 Millionen Verlust verbucht. Die Bewertung könnte man astronomisch nennen. Oder historisch – so, wie Internetwerte einst in der Dotcom-Blase bewertet wurden.
Elf Jahre nach dem letzten Hype erlebt die Wall Street ein Comeback der Kursraketen aus dem Netz. Wieder geht es um coole Techniktrends. Dieses Mal geht es aber auch um die Emerging Markets – und vor allem um China: 1,3 Milliarden Menschen, eine rasch wachsende Wirtschaft. Zügig steigende Kaufkraft, die sich mit hoher Technikbegeisterung der Konsumenten paart.
Rund 450 Millionen Chinesen sind derzeit online. 2015 sollen es nach Schätzungen der Unternehmensberatung Boston Consulting bereits 650 Millionen sein. Das Geschäft im Web soll sich explosiv entwickeln. Für 2010 etwa hat die Credit Suisse das gesamte Volumen des Internethandels in China auf rund 73 Milliarden Dollar taxiert. Mit Wachstumsraten von 40 Prozent pro Jahr entfaltet sich den Schweizern zufolge bis 2015 bereits ein Markt von über 400 Milliarden Dollar Größe.
Zudem agieren Chinas Webunternehmen in einem Umfeld, das im Vergleich zum internationalen Geschäft schon fast gemütlich ist. Chinas Webkonzerne müssen zwar die harte Zensur der chinesischen Internetwächter unterstützen, doch dafür hält die Regierung in Peking die ausländische Konkurrenz gewöhnlich auf Distanz.
Dass man bisweilen auch aktiv gegen Ausländer vorgeht, zeigt das Beispiel Google. Nach Hacker-Angriffen auf E-Mail-Konten chinesischer Kunden zog sich der US-Konzern 2010 aus dem Markt zurück. Die Alternative wäre unbedingte Kooperation mit Peking gewesen – das wiederum wollten sich die Amerikaner aus Imagegründen nicht leisten.
Die Vorteile dieser protektionistisch wirkenden Politik kennt Baidu-Chef Robin Li aus erster Hand. Die chinesische Suchmaschine ist Hauptprofiteur des Rückzugs von Google.
Der raketenhafte Aufstieg des Vorzeigeunternehmens hat viel zum Mythos der chinesischen Webbranche beigetragen. 2005 ging Baidu mit spektakulärem Erfolg an die Nasdaq. Das Unternehmen kam auf eine Marktkapitalisierung von vier Milliarden Dollar – bei einem Umsatz von umgerechnet knapp 20 Millionen.
Auch das war astronomisch hoch. Wer dennoch auf Baidu setzte – und dem Papier durch die folgenden Tiefen die Treue hielt – machte alles richtig. Der Aktienkurs hat sich seit dem IPO mehr als verzehnfacht.
Baidu vergrößerte seinen Marktanteil seit dem Börsengang von 34 auf 84 Prozent. 2010 kam das Unternehmen bereits auf rund 1,2 Milliarden Dollar Umsatz. Im laufenden Jahr sollen es mehr als zwei Milliarden werden. Wen wundert’s, dass Investoren begeistert sind. „Wir lieben Baidu immer noch. Das ist eine langfristige Wachstumsstory, zumal der Wettbewerb äußerst schwach ist“, sagt Peter Newell, Fondsmanager bei Vontobel Asset Management.
Astronomische Bewertungen per se müssen also nicht auf Blasen hindeuten. Sie können gerechtfertigt sein – falls es das Unternehmen tatsächlich an die Spitze schafft. Dort angekommen ist bereits Taobao, Webhändler Nummer 1 im Reich der Mitte und zudem führendes Online-Auktionshaus. Der Marktanteil liegt bei über 80 Prozent, die Zuwachsraten sind beeindruckend.
Die Börsenpläne für Taobao legte der Mutterkonzern Alibaba Anfang des Jahres allerdings auf Eis. Anleger können indes direkt bei Alibaba einsteigen. Chef Jack Ma betreibt neben Taobao auch eine Business-to-Business-Handelsplattform sowie mit Alipay einen – Paypal ähnlichen – Online-Bezahldienst.
Zu den Top-Playern gehört auch Tencent, der größte Webkonzern Chinas. Der Wettbewerber von Renren ist breit aufgestellt, betreibt neben Social-Network-Aktivitäten auch Spiel- und Videoportale. Rund 100 Millionen Chinesen nutzen etwa die Plattform QZone zum sozialen Austausch und zum Spielen. 160 Millionen wiederum „twittern“ regelmäßig über Tencents Mikroblog. Investoren gefällt die breite Aufstellung des Unternehmens, das unter anderem von Werbeerlösen und dem Vertrieb von Spielen profitiert.
Sehr stark spezialisiert ist hingegen Youku. Die chinesische Youtube-Variante zeigt wegen des laxen Umgangs mit Urheberrechten auch geschützte Inhalte – etwa Kinofilme in Originallänge. Youkus Dienste sind deshalb in zahlreichen Ländern nicht zugänglich. Der an der Nasdaq notierte Konzern kam zuletzt auf einen Jahresumsatz von knapp 60 Millionen Dollar. Dass man Verluste schreibt, hindert nicht an einer Bewertung von 1,6 Milliarden Dollar.
Zu den sündteuren Firmen zählt auch das Portal Sina, das in China vor allem durch seinen Twitter-ähnlichen Dienst Weibo bekannt ist. Mit rund 140 Millionen Nutzern ist Weibo der Mikroblog Nummer 2 hinter Tencent. Knapp sieben Milliarden Dollar bringt der Konzern auf die Waage – auch bei rund 400 Millionen Dollar Umsatz kein Pappenstil.
Der Shootingstar der Nasdaq, das Social-Networking-Portal Renren, glänzt ebenfalls mit hoher Kundenzahl. Fast 120 Millionen Chinesen sind bei Renren registriert – eine gute Ausgangsposition, um sich dauerhaft als Marktführer und Facebook-Pendant zu positionieren.
Ob es beim Überflieger tatsächlich zur neuen Baidu reicht? Zumindest eine Parallele gibt es. „Renren ist der Beweis für eine Internetblase“, warnten Händler an der Wall Street. Dieselben Kommentare gab es sinngemäß auch zum Börsengang von Baidu vor sechs Jahren.
Investor-Info
Bewertung Internetaktien
Spitzenpreise auch bei Etablierten
Sündteuer, gemessen am Kurs-Umsatz-Verhältnis, ist der Börsenneuling Renren, der nur noch durch den Videodienst Youku getoppt wird. Die Bewertungen der etablierten chinesischen Webkonzerne Baidu – und vor allem Tencent – sind moderater. Zum Vergleich: Der weltgrößte Webhändler, Amazon, kommt auf ein imposantes Kurs-Gewinn-Verhältnis, Google ist vergleichsweise spottbillig.
Tencent
Die Nummer 1 in China
Gemessen am Umsatz ist Tencent das größte Internetunternehmen Chinas. Der Konzern ist breit aufgestellt: Tencent profitiert vom Online-Spieleboom und ist bei sozialen Netzwerken sowie Mikroblogs führend. Der Konzern baut seine Position durch Übernahmen und Investitionen in Marketing konsequent aus. JP Morgan schätzt das Umsatzwachstum in diesem Jahr auf über 40 Prozent, das Gewinnplus liegt demnach bei rund 30 Prozent. Gemessen daran ist die Aktie günstig. Unser Favorit.
Baidu
Die Nasdaq-Rakete
Chinas Marktführer bei der Internetsuche verbuchte dank des Rückzugs von Google zuletzt starke Marktanteilsgewinne. Die Aktie hat deshalb in den vergangenen zwölf Monaten um rund 70 Prozent zugelegt. Gewinn- und Umsatzwachstum relativieren die immens hohe Bewertung: Für 2011 erwarten Analysten einen Zuwachs beim Umsatz von knapp 70, beim Gewinn von knapp 80 Prozent, 2012 sollen es je 50 Prozent werden. Spekulativer Topwert.
Zertifikat
Größte Internetwerte Chinas
Wer das Risiko eines Investments in Einzelwerte als zu hoch erachtet, aber dennoch von den Perspektiven der Webbranche Chinas profitieren will, sollte einen Blick auf das Zertifikat der Deutschen Bank auf den S-Box-China-Internet-Index (ISIN: DE 000 DB2 CNT 8) werfen. Im Index finden sich die Branchengrößen Baidu, Tencent, Alibaba und Sina. Daneben sind kleinere Werte wie das Reiseportal Ctrip, eine der populärsten Seiten für Reise- und Hotelbuchungen Chinas, oder Shanda Interactive, ein erfolgreicher Anbieter von Onlinespielen. Der Indextracker hat zuletzt eine Jahresperformance über 50 Prozent erzielt. Pro Jahr fallen 1,5 Prozent Managementgebühr an.
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