Börse Frankfurt-News: "Politische Börsen haben kurze Beine, oder?"
FRANKFURT (DEUTSCHE-BOERSE AG) - Fondsmanager Peeters bemerkt wenig Diskussion um die anstehende Bundestagswahl, und fragt sich, ob die Politik wirklich so wenig nachhaltigen Einfluss auf die Aktienmärkte haben kann, bzw. wann doch.
28. Juni 2021. FRANKFURT (pfp Adisory). Zu den stets gerne und viel zitierten Kapitalmarktweisheiten zählt seit jeder der Hinweis, dass "politische Börsen kurze Beine" hätten. Eine etwas triviale Feststellung, wonach der Einfluss etwa von politischen Richtungsentscheidungen für die aggregierten Unternehmensbewertungen oft nur temporären Charakter hat. Der These nach orientieren sich die Marktteilnehmer nach einem kurzen (positiven oder negativen) Impuls wieder auf Unternehmensergebnisse oder das Zinsumfeld und vernachlässigen das, was im Parlament gerade so beschlossen wird.
Als grundsätzliche (im Sinne von allgemeingültige) These kann man diesen Ansatz durchaus hinterfragen. Weit über die Extrembeispiele wie etwa dem rohstoffreichen, aber von Sozialisten brachial abgewirtschafteten Land Venezuela hinaus kann Politik durchaus veritablen Schaden anrichten. Diese potenzielle Zerstörungskraft ist deutlich visibler, wenn nicht mehr aggregierte Volkswirtschaften, sondern einzelne insbesondere potenziell verfemte - Sektoren betrachtet werden. Natürlich hat die Politik die Kraft, im Wirkungsbereich (etwa EU, Bund, Land) Geschäftsmodelle wie die Herstellung von Verbrennungsmotoren, Nuklearkraftwerke oder Glückspiel deutlich zu beschneiden. Und spätestens wenn es um illegale Aktivitäten geht, besteht sicher ein breiter gesellschaftlicher Konsens, dass der Staat hier mehr als eine "unsichtbare Hand" zeigen darf. Die Wirkungskraft der Politik ist noch mal größer, wenn Kollateralschäden mit betrachtet werden, die es in den vergangenen gut 12 Monaten vielfach zu betrachten gab. Kaum jemand dürfte dem Staat unterstellen, dass er stationäre Einzelhändler oder Hoteliers gezielt schädigen wollte, aber natürlich tat er das im Zuge der Pandemiebekämpfung auch unter Einrechnung von Kompensationsleistungen.
Eine ordentliche Machtfülle und Wirkungskraft besteht also durchaus und wir stehen wenige Monate vor der nächsten Bundestagswahl. Doch besteht deshalb so etwas wie Unruhe auf dem Parkett? Wirken Anleger nervös? Gibt es ausgedehnte Spekulationen von Anlegern auf mögliche Wahlgewinner und -verlierer nach der Wahl? Nach meinem Eindruck findet dergleichen bisher recht wenig statt. Auch wenn in den Programmen der größten Parteien doch einige gravierende Veränderungen in den Raum gestellt werden und sogar eine mögliche Regierungsbeteiligung von "Linksaußen" gleich von mehreren potenziellen Koalitionspartnern als möglich erachtet wird, kommt an den Märkten als Seismografen der Wirtschaft bisher wenig Unruhe auf.
Das kann sich natürlich noch ändern bis zum 26. September, aber vielleicht wirken andere Faktoren, allen voran die global losgetretene Geldschwemme, die für reichlich "Asset Price Inflation" geführt hat, einfach stärker. Zudem gilt ja auch, dass alle Parteien sich den großen Themen wie Demographie, Klimawandel oder dem veränderten Auftreten von China auf der Weltbühne stellen müssen. Eben weil viele Themen global sind, wirken nationale Ansätze wirkungsarm. Die schon viele Jahre währende Diskussion über die Besteuerung international agierender Gruppen verbildlicht dies gut, denn trotz aller Bemühungen wurde noch nicht so viel erreicht.
Doch, um kurz auf das Eingangsthema zurückzukommen: Mit Blick auf die nahende Bundestagswahl halte ich durchaus eine gewisse Gelassenheit für angemessen. Selbst wenn es zu einem aus Investorensicht als nachteilig empfundenen Ergebnis kommt, muss die Marktreaktion keinen Bestand haben. Der steile Absturz etwa nach der überraschenden Wahl von Donald Trump am 8. November 2016 war bereits mittags wieder aufgeholt.
Im Umkehrschluss gilt auch bei "guten Nachrichten" aus der Politik eine gewisse Vergänglichkeit. Als Oskar Lafontaine am 11. März 1999 von seinem Amt als Finanzminister zurücktrat, feierten die Börsen dies mit einem Kursfeuerwerk, das die seinerzeit laufende Hausse noch angefeuert hat. Dies änderte aber auch nichts daran, dass ziemlich genau ein Jahr später eine der größten Baissen der vergangenen Jahrzehnte eingesetzt hat. Konkreter gesprochen würde ich bei der Titelselektion das politische Umfeld überall da, wo es direkten Einfluss auf die Unternehmenszahlen hat, berücksichtigen. Eine übergreifende, womöglich spekulativ Veränderungen antizipierende Marktpositionierung erscheint mir hingegen gewagt.
von: Roger Peeters
28. Juni 2021, © pfp Advisory
Roger Peeters ist geschäftsführender Gesellschafter der pfp Advisory GmbH. Gemeinsam mit seinem Partner Christoph Frank steuert der seit über 20 Jahren am deutschen Aktienmarkt aktive Experte den DWS Concept Platow Fonds (WKN DWSK62), einen 2006 aufgelegten und mehrfach ausgezeichneten Stock-Picking-Fonds. Weitere Infos unter www.pfp-advisory.de. Peeters ist weiterhin Mitglied des Vorstands der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management (DVFA) e.V.. Roger Peeters schreibt regelmäßig für die Börse Frankfurt.
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