Wie sich Anleger vor Staatspleiten schützen
Länder wie Griechenland fürchten den Staatsbankrott. Anleger auch. Was man aus bisherigen Pleiten lernen kann und wie man sich davor schützt.
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von Martin Blümel, Euro am Sonntag
In Berlin wird schon an einem Plan gebastelt. In Brüssel dagegen möchte bislang keiner das Thema so recht anpacken: den Insolvenzplan für EU-Staaten. Es ist ja auch ein heißes Eisen, das „geordnete Pleitegehen“ von Mitgliedsländern, die derart in Not sind, dass nicht einmal mehr die jüngst beschlossenen Finanzspritzen des „Rettungsschirms“ helfen.
Das sind Eventualitäten, sicherlich. Aber angesichts der teils exorbitanten Staatsschulden wäre Griechenland durchaus ein Kandidat, Spanien und Portugal eher (noch) nicht. Aber wer mag so etwas schon wollen? Ein „Insolvenzplan“, das klingt für viele in der EU bedrohlich. Empfindsame Gemüter in labilen Staaten dürften es gar als eine Art Verrat an der gemeinsamen Sache empfinden. Vielleicht wird gerade deswegen das Thema vom EU-Rat lieber auf die lange Bank geschoben.
Das Credo lautet daher immer noch, dass eine Pleite unbedingt zu vermeiden ist – obwohl der Maastrichter Vertrag diese Option durchaus zulässt. Dennoch: Die Einstellung fälliger Zahlungen oder die Erklärung einer Regierung, fällige Forderungen nicht mehr oder nur noch teilweise erfüllen zu können, soll es in der Eurozone nicht geben. Basta, Brüssel hat gesprochen.
Dabei sind Staatspleiten – im Fachjargon Defaults – zum einen nichts Ungewöhnliches, sie gehören zum Geschichtsbild wie Revolutionen oder Kriege und treten in schöner Regelmäßigkeit immer wieder auf. Und zum anderen bieten Staatspleiten auch eine Chance. Ökonomen wie Nouriel Roubini befürworten den Bankrott als sauberen Schlussstrich unter einen maroden, verfahrenen Staatshaushalt – mit der Möglichkeit eines Neustarts. „Griechenlands Sparmaßnahmen werden nicht reichen, die verlängern nur die Rezession. Was das Land braucht, ist eine Neuordnung ihrer Schulden“, so der Harvard-Professor. Brüssel will das aber eben so nicht haben.
Dabei sollte den Politikern die Lehre aus den bisherigen Überschuldungskrisen der Geschichte bekannt sein: „Staatspleiten sind keinesfalls gleichbedeutend mit Staatsvernichtung“, schrieb der Philosoph und Jurist Alfred Manes schon 1918 in seinem Standardwerk über das Phänomen Staatspleiten. Länder existieren in der Regel einfach weiter, überstehen den finanziellen Ruin, wenn auch unterschiedlich schnell und unterschiedlich schmerzhaft.
Kredit gibt’s immer – auch nach einer Staatspleite, das ist Fakt. Mag sein, dass dafür eine gewisse Übergangszeit in Kauf genommen werden muss, weil es potenziellen Geldgebern zunächst an Vertrauen in das Land fehlt. Am Ende entscheidet aber die Höhe des gebotenen Zinssatzes, ob Finanziers gewillt sind, dem Land wieder Darlehen zu gewähren.
Und die Vergangenheit hat es ja gelehrt. Sogar im schlimmsten Fall sind die geliehenen Gelder nicht komplett futsch. Denn Staatspleiten enden meist mit einem Vergleich. Die Geschichte ist voll davon. König Philip II. von Spanien etwa erlitt wegen seiner Neigung zur exzessiven Kriegsführung zwischen 1566 und 1598 gleich viermal den Staatsbankrott. Geld bekam er trotzdem immer wieder, obwohl seine Kreditgeber viermal mit dem leben mussten, was Roubini heute „Neuordnung der Schulden“ nennt: niedrigere Zinszahlungen, gestundete Tilgungen, reduzierte Schuldensummen.
Der von Bundeskanzlerin Angela Merkel vorgeschlagene und von Brüssel bislang erfolgreich ignorierte Insolvenzplan fordert nichts anderes: Kann ein Euroland seine Schulden nicht mehr bedienen, so die Idee, sollen die Inhaber von Anleihen des betroffenen Staats einer Laufzeitverlängerung zustimmen, sich mit niedrigeren Zinszahlungen zufriedengeben oder eine Rückzahlung zu einem Kurs von weniger als 100 Prozent in Kauf nehmen – im übelsten Fall gäbe es also einen Schuldenschnitt, Haircut genannt.
Gestutzt wurden Anleger in den vergangenen Jahren immer wieder. Beispielsweise bei Argentinien-, bei Ukraine- und bei Russland-Anleihen. Wobei vor allem der Argentinien-Haircut mehr einer Rasur, denn einem Haarschnitt glich. 2001 ging das Land pleite, stellte die Bedienung von Anleihen im Wert von 82 Milliarden Dollar ein. Zweimal wurden seither Umschuldungen durchgeführt: 2005 und im Juni dieses Jahres. 92 Prozent der Zahlungsausfälle gegenüber Privatanlegern wurden so geregelt. Zu einem hohen Preis: Die Gläubiger verzichteten auf etwa 70 Prozent ihrer Forderungen. Der Argentinien-Vergleich ist damit laut der Ratingagentur Moody’s der für Anleger heftigste seit den frühen 80er-Jahren. „Im Schnitt kamen Geldgeber bei den neun größten Staatspleiten seit 1983 mit dem Verlust von 30 Prozent ihres Kapitals davon“, sagt Moody’s-Analystin Elena Duggar.
Ob und wie gut eine Umschuldung von Staatsschulden funktioniert, ist sicher auch eine Frage des Umfangs der Schulden – was vielleicht auch das Zaudern der EU erklärt. Je geringer das Schuldenproblem nämlich, desto einfacher geht ein Vergleich über die Bühne. Griechenland hat 371 Milliarden Dollar Staatsschulden. Dagegen sind die 182 Milliarden Dollar an Zahlungsausfällen, die Moody’s seit 1983 verzeichnet, Peanuts. Und auch diese Zahl ergibt angesichts der Ausfälle in Russland 1998 und Argentinien 2001, die zusammen 150 Milliarden Dollar ausmachten, ein schiefes Bild. Meist ist der Umfang der neu zu ordnenden Schulden deutlich geringer. Die jüngsten Restrukturierungen betrafen Summen von sechs Milliarden oder weniger von Ländern wie Ecuador und der Dominikanischen Republik, Ländern an der Peripherie der Welt, deren Probleme sicher nicht die Weltwirtschaft erschüttern.
Der Fall Griechenland ist zusätzlich schwierig, da Anleihen von Industrieländern meist von Banken und Versicherungen gehalten werden – Schwellenländerpapiere dagegen meist von Fonds. Ginge Griechenland pleite, hätte dies weitreichende Konsequenzen für die Finanzindustrie, der Schuldenkrise folgte womöglich eine Bankenkrise, die per Dominoeffekt eine Wirtschaftskrise auslösen könnte, mit allen nur erdenklichen Konsequenzen für die Weltkonjunktur.
Griechenland hat Schulden in Höhe von 150 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und keine Möglichkeit, die Währung abzuwerten oder die Geldpolitik zu beeinflussen. Um die Schulden aber auf ein Niveau von vielleicht 80 Prozent des BIP oder darunter zu senken und damit einer möglichen Lösung näherzukommen, wäre ein drastischer Haircut erforderlich. Das dürfte politisch nicht durchsetzbar sein. Die EU hat das Thema also auf der langen Bank, und dort dürfte es wohl auch bleiben. Auch wenn Ökonomen wie Roubini etwas anderes fordern.
Bleibt für Anleger die Frage, wie gut sich das Risiko einer Staatspleite einschätzen lässt. Allein der Blick auf die Verschuldung eines Lands reicht nicht – demnach stünde die halbe Welt auf der Kippe, etablierte Nationen wie Japan und Großbritannien mit eingeschlossen. „Die meisten Industrieländer sind faktisch insolvent“, findet etwa Volkswirt Dylan Grice von der Société Générale.
Was hilft, ist ein Blick auf die Bonitätsbewertung der Staaten. Bei allen Mängeln, welche die Bewertungsmethodik der Agenturen Moody’s und S & P aufweisen, und bei aller berechtigter Kritik wegen zu zögerlicher Anpassungen der Bonitätsnoten an die wirtschaftliche Realität liefern die Benotungen doch Hinweise, ab wann es gefährlich wird. Eine Analyse der Staatspleiten seit 1983 zeigt denn auch tatsächlich eine Parallele bei allen Fällen auf: Alle Pleitiers wurden ein Jahr vor der offiziellen Erklärung des Bankrotts mit einem Moody’s-Rating von Ba2 oder schlechter bewertet. Insofern ist es für vorsichtigere Anleger also sinnvoll, Anleihen mit diesen Bewertungen zu vermeiden oder zu verkaufen, sobald ein Kandidat unter die Schwelle rutscht. Die Kehrseite der Medaille: Nicht zwangsläufig geht ein Land mit einem derart schlechten Rating pleite. Bestes Beispiel ist Venezuela, das seit Jahr und Tag mit einem B2 (das entspricht in etwa der Schulnote ausreichend bis mangelhaft) leben muss. Solange das Land aber über fließende Ölquellen verfügt, ist ein Default eher unwahrscheinlich.
Geht es nach den Moody’s-Noten, muss man sich um die EU-Teilstaaten noch keine Sorgen machen. Einzig Griechenland ist nur noch einen Schritt von der Moody’s-Schwelle entfernt. Bei Portugal wiederum wurde zwar die Bonitätsnote vergangene Woche um zwei Stufen auf A1 zurückgestuft, die Bewertung steht aber immer noch für eine „hohe Kreditwürdigkeit“. Den Zauderern in Brüssel dürfte das recht gelegen kommen, der Berliner Plan dagegen in der Ablage liegen bleiben.
Investments
Gefahr hin oder her: Fondsmanager Raphael Kassin ist vermutlich der risikofreudigste unter den Geldverwaltern, die auf Schwellenländerbonds setzen. Nachdem er jahrelang für ABN Amro gearbeitet hat, managt er jetzt seit Kurzem für die Schweizer Investmentboutique Reyl den neuen Emerging Debt Opportunities. Und er bleibt sich treu: 25 Prozent des Portfolios hat er in Ukraine-Bonds angelegt, jeweils zehn Prozent in Venezuela und den Philippinen. Auch recht mutig wird beim Amundi-Fonds investiert: Hier stecken jeweils neun Prozent in Philippinen- und Indonesien-Anleihen und fast acht Prozent in Venezuela-Papieren. Interessant ist auch der Pictet Emerging Local Currency Debt, der ausschließlich in Anleihen der jeweiligen Landeswährung investiert.
Empfehlung
Reyl Emerging Debt Opps. ISIN: LU 047 458 773 9
Amundi Emerging Debt ISIN: LU 011 909 744 1
Pictet Emerg. Local Currency ISIN: LU 025 579 810 9