Osteuropa

Russland und Co im Höhenflug

23.03.10 06:00 Uhr

Die osteuropäischen Börsen haben derzeit einen guten Lauf. Doch wird diese Entwicklung tatsächlich durch harte wirtschaftliche Fakten in der Region gestützt?

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von Christoph Platt, Euro am Sonntag

Sie sind eines der Wahrzeichen Moskaus: die auffälligen und farbenfrohen Zwiebeltürme der Basilius-Kathedrale. Imposant recken sie sich am südlichen Ende des Roten Platzes in die Höhe. Himmelwärts streben in diesem Jahr auch die Kurse osteuropäischer Aktien. Weltweit belegen die jeweiligen Börsen derzeit Spitzenplätze. In der Ukraine sind die Kurse seit Jahresbeginn um 59 Prozent gestiegen. Estische Aktien verteuerten sich um 42 Prozent, rumänische um 32 Prozent. Zu den besten 15 Börsenplätzen zählen 2010 auch Litauen, Lettland, Ungarn und Russland.

Für diese außergewöhnliche Hausse gibt es mehrere Gründe. Zum einen sind die Zuwächse noch immer als Gegenreaktion auf die Verwüstung der osteuropäischen Märkte von Mitte 2008 bis März 2009 zu verstehen. Damals verloren die Börsen bis zu drei Viertel ihres Werts. Zum anderen verbessern sich die Aussichten für Osteuropa. Viele Volkswirtschaften haben die Rezession hinter sich gelassen und wachsen wieder. „Osteuropa wird 2010 und 2011 stärker zulegen als Westeuropa“, prognostiziert Peter Reichel, Fondsmanager des Berenberg East European Equities. Zudem dürften die Gewinne steigen. „Nach dem Rückschlag 2009 suchen Investoren wieder vermehrt nach Wachstumsunternehmen, die billig bewertet sind“, sagt Matthias Siller, Co-Manager des Baring Eastern Europe Fund. „An dieser Stelle kommt Osteuropa ins Spiel.“ Die russische Börse profitiert darüber hinaus von der steigenden Nachfrage nach Rohstoffen, was deren Preise nach oben treibt.

Doch noch ist es zu früh, um nach vermeintlich ausgestandener Krise die Freudenfeuer anzuzünden. Denn der wirtschaftliche Aufschwung steht auf wackeligen Beinen. Als Anlageregion ist Osteuropa äußerst heterogen. Die wirtschaftlichen Niveaus unterscheiden sich, ebenso die Dynamik der Märkte. „Man kann Polen nicht mit dem Baltikum vergleichen“, gibt Reichel ein Beispiel. Das zeigt sich schon beim Handelsvolumen der Börsen. Während in Polen täglich Aktien im Wert von 150 bis 200 Millionen Euro den Besitzer wechseln, sind es in den baltischen Ländern gerade einmal Papiere für drei bis fünf Millionen. Lässt man Russland wegen seiner Sonderstellung als Rohstoffnation außen vor, können Polen, Ungarn und die Tschechische Republik als Kernmärkte Osteuropas bezeichnet werden. Ihre Volkswirtschaften sind einigermaßen entwickelt, ihre Aktienmärkte liquide.

Aussichtsreichster Kernmarkt ist Polen, das im vergangenen Jahr äußerst positiv überraschte. Es war das einzige Land der Europäischen Union, dessen Wirtschaft wuchs. Auch für die kommenden Jahre sieht es gut aus. Der Internationale Währungsfonds prognostiziert ein stabiles Wachstum von rund vier Prozent. Zudem sorgt die zunehmende Privatisierung von Unternehmen durch den polnischen Staat für Freude in der Wirtschaft. Neue Aufträge winken, denn marode, ehemals in Staatshand befindliche Unternehmen müssen saniert werden. Weniger gut sind die Aussichten für die Tschechische Republik und Ungarn. „In der Tschechischen Republik lässt sich eine zyklische Erholung nur schwer spielen, denn die Indizes werden von Versorgern und Telekommunikationsanbietern dominiert“, sagt Markus Brück, Fondsmanager des Metzler Eastern Europe. Für Ungarn hingegen rechnet die Mehrheit der Marktteilnehmer 2010 mit keinerlei Wachstum.

Zu den Randmärkten gehören unter anderem die baltischen Länder, Rumänien und die Ukraine. Insbesondere die Ukraine und Estland machen in diesem Jahr durch hohe Kurszuwächse auf sich aufmerksam. Dass sich diese Hausse noch lange fortsetzen wird, ist unwahrscheinlich. Dafür seien in Estland die fundamentalen Daten einfach zu schlecht, meint Reichel. „Mit einer Bodenbildung bei der Wirtschaft ist erst Ende 2010 zu rechnen“, sagt er. „Und auch danach dürfte die Erholung nur langsam voranschreiten.“ Fondsmanager Brück ist anderer Meinung und erwartet eine Wachstumsüberraschung. „Die meisten der führenden Unternehmen haben ihre Hausaufgaben während der Krise gemacht“, sagt er. So seien die Kosten deutlich gesenkt, das jeweilige Geschäftsmodell eingedampft worden. Für einen Aufschwung seien diese Unternehmen gut aufgestellt.

Auch die Kurse der Börse in Kiew werden derzeit mehr von Hoffnungen getragen als von wirtschaftlichen Fakten. „Die Marktteilnehmer honorieren den politischen Neuanfang unter Präsident Janukowytsch und die schnelle Regierungsbildung“, sagt Brück. Zudem erhöhte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Bewertung des Landes von CCC auf BB-. Die Heraufstufung kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch das neue Rating schlecht ist.

Ungeachtet der Ausblicke für die kommenden Monate hoffen viele Investoren, dass die Angleichung Osteuropas an die wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Westeuropa langfristig Wachstumsimpulse gibt. Zuletzt war es um den als Konvergenz bezeichneten Prozess still geworden. Doch er sei noch immer völlig intakt, ist sich Fondsmanager Reichel sicher. Mit ihm gehen unter anderem eine Steigerung des Konsums und der Ausbau der Infrastruktur einher. Auf lange Sicht hilfreich sind auch die finanziellen Zuwendungen Westeuropas. „Das Geld, das aus den Fördertöpfen der EU nach Osteuropa fließt, sorgt für ein Mindestmaß an Wirtschaftskraft und einen Wachstumssockel von ein bis zwei Prozent jährlich“, sagt Brück.

Nach Russland fließen solche Fördergelder nicht und die Konvergenz zu Ländern mit einem höheren Wohlstand ist nur schwach ausgeprägt – zwei Gründe, warum Managerkollege Reichel gegenüber dem Riesenreich skeptisch ist. Zudem sei die Führung vieler Unternehmen intransparent, die politische Einflussnahme hoch und die Rechte der Minderheitseigentümer würden immer wieder missachtet, kritisiert er. James Syme, Leiter der Abteilung für Schwellenländeraktien von Barings, hält diese Besorgnis für übertrieben. „Die Nachrichten über Russ­land sind schlecht, doch sie verstellen den Blick auf die starke Wirtschaftskraft des Landes“, sagt er. Außerdem würden die Gefahren für Eigentümer und Aktionäre überschätzt. Nur für einen Teil der Konzerne – diejenigen, die in der Ära Boris Jelzins privatisiert wurden – bestünde dieses Risiko. Dem Problem, dass Russlands Leitindex dem Auf und Ab der Rohstoffpreise mit starken Ausschlägen folgt, begegnet der Manager bei der Auswahl der Titel. Einzelhandelsunternehmen, Banken, Konsum- und Telekomwerte zieht er Rohstoff- und Energietiteln vor. „Die wachsende Binnennachfrage ist in Russland das deutlich interessantere Investmentthema“, sagt er. Weiterer Vorteil der von ihm favorisierten Branchen: Sie werden im Vergleich zu Rohstoff- und Energieunternehmen niedriger besteuert.

Investor-Info

Metzler Eastern Europe - Osteuropa mit Russland
Fondsmanager Markus Brück investiert in alle Staaten Osteuropas. In Russland hat er 40 Prozent des Fondsvermögens angelegt und setzt dort vor allem auf zyklische Werte, um von einer konjunkturellen Erholung zu profitieren. Auf Platz 2 macht Polen knapp ein Viertel des Portfolios aus. Brück engagiert sich auch in westeuropäischen Unternehmen, falls diese einen hohen Anteil ihres Ertrags in Osteuropa erwirtschaften.

Berenberg East European Equities - Osteuropa ohne Russland
Bis August 2009 konzentrierte sich Fondsmanager Peter Reichel auf osteuropäische Nebenwerte. Doch dann entschloss sich die Berenberg Bank, das Investmentuniversum auszuweiten. Seitdem kann sich Reichel in allen osteuropäischen Titeln engagieren. Dazu zählen beim Berenberg East European Equities Aktien aus der Türkei, nicht jedoch aus Russland. Mit fast 30 Prozent stellt Polen derzeit den größten Anteil des Portfolios.

PF (Lux) Russian Equities-P Cap - Ausschließlich Russland
Russland ist ein Markt der Extreme. Dessen müssen sich Anleger bewusst sein, die dort investieren. Derzeit macht er wieder einmal durch hohe Gewinne von sich reden. Besonders gut schnitt der Russland-Aktienfonds von Pictet ab. Er verdreifachte beinahe seinen Wert binnen eines Jahres. Managerin Agne Zitkute sieht weiterhin große Chancen, weiß aber auch um die Risiken.