Geldanlage-Report Armin Brack

Amazon: Profitabel nach Belieben - Wirklich?

06.05.14 09:49 Uhr

Amazon: Profitabel nach Belieben - Wirklich? | finanzen.net

"Ich habe mir neulich bei der Aktion mal den Kindle HD Fire 7 mit 8 GB geholt und muss sagen: für das Geld (79 Euro inkl. 5 Euro Guthaben für Apps) ist das ein tolles Tablet",...

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... berichtete mir ein Börsen-Spezi vor ein paar Tagen per E-Mail. Ohne das Kindle bisher selbst getestet zu haben, bin ich mir sicher: Er hat Recht! Geld verdienen tut Amazon mit diesem Kampfpreis allerdings sicher nicht. Den Aktionären war das bisher reichlich egal.

Das Mantra der Amazon-Bullen heißt: Zuerst kommen die Marktanteile, dann die Profite. Das Konzept, die Hardware billig anzubieten und später mit der "Software" Geld zu verdienen, habe schließlich in anderen Bereichen auch funktioniert, z.B. bei Druckern/Druckerpatronen und Rasierern/Rasierklingen. Doch ist es wirklich so einfach? Ich habe meine Zweifel.

Im ersten Quartal steigerte Amazon seine Umsätze um für ein Unternehmen dieser Größenordnung beeindruckende 23 Prozent auf 19,7 Milliarden Euro. Zwar legte auch der Gewinn um prozentual ansehnliche 32 Prozent zu, in absoluten Zahlen sind das aber gerade mal 108 Millionen US-Dollar gewesen. Das heißt, wir reden hier von einer Nettomarge von 0,5 Prozent. Kurz gesagt: Relativ zu seinen Umsätzen verdient Amazon aktuell fast nichts. Analysten hatten mit deutlich mehr gerechnet.

Wichtig zu verstehen: Amazon verfehlt die Gewinn-Prognosen der Analysten bereits seit vier Jahren regelmäßig. Andauernd werden die Prognosen nach unten korrigiert. Für das laufende zweite Quartal hatten die Analysten ursprünglich mit 0,24 US-Dollar je Aktie gerechnet, nun liegt die Konsensschätzung nur noch bei 0,05 US-Dollar und sie wird voraussichtlich sogar noch in den negativen Bereich fallen (weil weitere Analysten ihre Schätzungen nach unten korrigieren müssen).

Noch gravierender ist die Situation aufs Gesamtjahr gerechnet: Noch vor 90 Tagen ging die Wall Street im Durchschnitt für 2014 von einem Gewinn von 2,65 US-Dollar je Aktie aus. Aktuell liegen wir noch bei 1,32 US-Dollar. Die Schätzungen haben sich also fast exakt halbiert.

Alles wie immer? Nein, denn diesmal reagieren auch die Anleger verschnupft. Die Aktie hat seit der Bekanntgabe der Zahlen in der Spitze rund 20 Prozent verloren.

Zum Teil mag das an der momentanen allgemeinen Zurückhaltung gegenüber hoch bewerteten Technologieaktien liegen. Nach klassischen Bewertungsmaßstäben (KGV) relativ günstige Titel wie Apple und Microsoft waren zuletzt eher gefragt.

Doch diese Erklärung allein greift zu kurz. Amazon hat strukturelle Probleme im Kerngeschäft:

1. Der veränderte Produktmix. Entgegen der landläufigen Meinung steigt nicht der Umsatzanteil hochmargiger Media-Produkte (E-Books; MP3s) sondern die Kategorie "Elektronik und sonstige Güter", die geringere Margen aufweist. Das hängt damit zusammen, dass der Anteil von Umsätzen mit Dritten, die über Amazon verkaufen, weiter zunimmt. Daran wird sich auch nichts ändern. Das Produktmix-Problem wird bleiben.

2. Die Logistikkosten steigen - und zwar auch im Verhältnis zu den Produktumsätzen. Von rund neun Prozent im ersten Quartal 2011 auf knapp 12 Prozent im ersten Quartal 2014. Angesichts der dünnen Margen im E-Commerce-Sektor ist das eine ganze Menge. Entsprechend musste Amazon auch die Jahresabogebühr für Amazon Prime (kostenloser Versand für Mitglieder) erhöhen, in den USA um 20 auf 99 US-Dollar). Auch hieran dürfte sich so schnell nichts ändern.

Die Spekulationen, wonach Amazon künftig einen eigenen Logistikdienstleister aufbauen wird, halte ich für substanzlos. Im Vergleich zu UPS oder Fedex hätte Amazon deutliche Größennachteile. Kein Zufall, dass Amazon ausgerechnet jetzt mit seiner Drohnen-Vision aus der Deckung gekommen ist, die in ferner Zukunft die Pakete liefern sollen. Bis das allerdings tatsächlich in der Praxis funktionieren wird - wenn überhaupt - werden noch Jahre vergehen.

3. Höhere Steuern! Bisher musste Amazon in US-Staaten, in denen das Unternehmen nicht physisch präsent war, die Umsatzsteuer in Höhe von acht Prozent nicht bezahlen. Ein klarer Wettbewerbsnachteil für herkömmliche Einzelhändler wie Wal-Mart oder Target. Das ändert sich nun aber. In 20 Staaten muss Amazon bereits zahlen, darunter auch in den drei nach Bevölkerung größten, Kalifornien, New York und Texas. Seit 1.Mai folgt nun auch Florida. Auch das wird sich wohl nicht mehr ändern und sorgt für deutlich steigende Kosten.

Festzuhalten ist also: Das Kerngeschäft wird schwieriger, die Margen noch dünner. Das wird bisher durch das Mengenwachstum noch überdeckt. Das heißt: Dadurch dass Amazon insgesamt immer noch stark wächst und immer mehr Produkte verkauft, kann es mit seinen Lieferanten noch bessere Konditionen aushandeln.

Aber auch die prozentualen Wachstumsraten, sowohl beim absoluten Umsatz als auch bei den Stückzahlen, sind rückläufig. Von jeweils rund 40 Prozent im ersten Quartal 2010 auf aktuell jeweils etwas mehr als 20 Prozent.

Gespannt darf man vor diesem Hintergrund sein, wie der Angriff von Amazon auf die letzte Domäne des stationären Handels, des Geschäfts mit Lebensmitteln, ausgeht. Der Lieferservice Amazon Fresh ist bisher ausschließlich in Kalifornien abrufbar. Für eine Einmalzahlung von 299 US-Dollar im Jahr wird jeder Einkauf über 35 US-Dollar kostenlos geliefert.

Der Gag dabei: Kunden bekommen ein kleines Gerät, den Amazon Dash. Dieses reagiert auf Sprache und bietet eine Scan-Möglichkeit, so dass Kunden ein Produkt per Sprachbefehl in ihren virtuellen Einkaufswagen legen und sofort bestellen können.

Wenn Sie beispielsweise in der Küche stehen und merken, dass die Kaffee-Tabs ausgehen, sagen Sie den Namen den Produkts in ihren Dash und schon haben Sie es im Einkaufskorb liegen - und bekommen es innerhalb der nächsten 24 Stunden geliefert, sofern Sie die Bestellung abschicken.

Wird Amazon Fresh ein Erfolg ergeben sich ungeahnte neue Wachstumsmöglichkeiten.

Abgesehen davon ist Amazon inzwischen aber bekanntlich weit mehr als ein E-Commerce-Händler. Amazon Web Services beispielsweise ist ein sehr cleveres Cloud-Computing-Geschäftsmodell, in dessen Rahmen das Bezos-Imperium überschüssige Rechnerleistung seiner riesigen Serverparks an andere Firmen vermietet - und dabei gutes Geld verdient!

Aber auch hier gilt: Rechnerleistung ist ein Commodity-Gut, das die Konkurrenz genauso anbieten kann. Beispielsweise befindet sich in diesem Bereich Microsoft mit seinem "Azure"-Produkt bei prozentual dreistelligen Wachstumsraten aktuell auf der Überholspur. Der Sektor wächst rasant. Letzten Endes werden aber auch hier die Margen schrumpfen.

Sehr aggressiv gehen die Seattler auch im Bereich Hardware vor. Das eingangs angesprochene Kindle-Tablet greift diesen bisher vom Apple iPad dominierten Markt an und rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft soll nun auch noch ein Amazon-Smartphone folgen.

Gerüchteweise will man hier mit einer 3D-Innovation aufwarten. Letztlich ist aber anzunehmen, dass sich auch das Smartphone hauptsächlich über den Preis verkaufen soll (im Gespräch sind 150 bis 170 US-Dollar) und sich durch eine einfache Bedienbarkeit auszeichnen wird. Amazon könnte sogar soweit gehen, ein Einsteigermodell umsonst anzubieten.

Mit dem Kindle Phone, das wahrscheinlich auf einer abgespeckten Android-Version laufen wird, soll wohl auch ein eigener Datentarif, Prime Data, verkauft werden. Damit können Nutzer das Prime-Angebot auf ihrem Kindle-Phone abrufen - nicht aber auf den Appstore von Google zugreifen, sondern nur auf den von Amazon. Amazon baut also ähnlich wie Apple sein eigenes Online-Ökosystem auf.

Diese Strategie ist ohne Zweifel exzellent. Amazon versucht den Mainstream-Markt abzugrasen. Ziel ist der Otto-Normalbürger, der nicht besonders kaufkräftig oder technik-affin ist und der sein Tablet vor allem nutzt, um einzukaufen oder Filme zu schauen.

Genau hier setzt Amazon mit seinem Streaming-Dienst an, der frontal den US-Marktführer Netflix angreift. Sehr clever ist dabei, dass Amazon dieses Angebot mit seinem Prime-Dienst verknüpft; also den Vorteil der kostenlosen Lieferung mit dem Zugriff auf die (schnell wachsende) digitale Videothek kombiniert. So kann man die vorhandenen Prime-Kunden mit dem "beides aus einer Hand"-Angebot bei der Stange halten und gleichzeitig neue Kunden locken.

Doch die Konkurrenz ist hart und der Kampf um Inhalte hat bereits eingesetzt. Durch die hohen Kosten, die beim Rechteerwerb von den großen Filmstudios entstehen, wird dieses Segment sehr kapitalintensiv werden - zusätzlich zur ohnehin schon relativ kapitalintensiven Logistik mit den erforderlichen großen Lagerzentren.

Mittelfristig könnte hier zudem neben Netflix auch Apple mitmischen - und die sind noch kapitalkräftiger und könnten die Premium-Inhalte exklusiv vermarkten wollen. Bleibt noch die Möglichkeit selber Filme und Serien zu produzieren, wie es Netflix mit House of Cards vorgemacht hat. Aber auch das ist nicht ohne Risiko. Netflix hat hier mehr Erfahrung und kann seine Datenbanken nach den Vorlieben seiner Abonnenten detailliert auswerten.

Amazon geht auch hier in Richtung Massenmarkt. Das zeigt der jüngste Deal mit dem Bezahlsender HBO, dem Amazon die Rechte für etwas ältere Serienerfolge wie The Sopranos abgekauft hat.

Selbstverständlich hat der Bezos-Konzern auch in seinem ursprünglichen Kerngeschäft, den Büchern, Großes vor. Neben dem sehr erfolgreichen E-Book-Reader betätigt sich Amazon inzwischen auch als Verleger bzw. bietet mit seinem Kindle Direct Publishing (KDP)-Service Autoren an, ihre Bücher über die Amazon-Plattform zu vertreiben - als E-Book und im Erfolgsfalle später auch in Druckversion.

Gedruckt und vertrieben werden die Bücher dann über die Amazon-Tochter CreateSpace. Die empfehlenswerte Arte-Doku "Story-Seller - Wie Amazon den Buchmarkt aufmischt" können Sie hier abrufen.

Die Strategie funktioniert. In den USA kauft Amazon bereits ganze Backkataloge von Verlagen auf. Aber auch hier ist das Muster dasselbe: Angesetzt wird beim Preis. Die selbst veröffentlichten E-Books kosten nur drei, vier Euro, im Extremfall sogar nur 99 Cents. Leicht verdauliche Massenware halt. Und die richtig erfolgreichen Autoren suchen sich dann häufig doch noch einen "echten" Verlag.

Aber prinzipiell hat Amazon bei Büchern den Vorteil des First Movers und könnte daher diesen Markt tatsächlich aufrollen - und dabei gut verdienen.

MEIN FAZIT:

Amazon baut - ähnlich wie Apple - sein eigenes Online-Ökosystem, über das seine Kunden nicht nur jedes Produkt online kaufen oder konsumieren können, auch das Surfen im Internet selbst soll mit Amazon-Geräten stattfinden, bereits jetzt mit dem Kindle-Tablet oder in Kürze mit dem Kindle Phone.

Dabei geht Amazon bei der Hardware gleich vor wie beim E-Commerce. Mit unschlagbar günstigen Preisen sollen zunächst möglichst viele Marktanteile gewonnen werden - um dann später mit den Inhalten Geld zu verdienen.

Der große Vorteil für Amazon ist die Bequemlichkeit der Konsumenten. Alles muss schnell und möglichst einfach gehen. Der kostenpflichtige und sehr beliebte Amazon Prime-Service ist ein guter Anknüpfungspunkt, um neue Produkte an die Kunden zu verkaufen - mit einem Klick. Denn die meisten haben ja sowieso ihre Kreditkarten-Daten bereits hinterlegt.

Im Unterschied zu Apple, das auf den High End-Markt abzielt, versucht Amazon den Low End-Markt abzugrasen. Das wird sich aber nur dann rentieren, wenn das Unternehmen dabei wirklich sehr erfolgreich sein wird und sich hohe Marktanteile erkämpft. Ob das wirklich gelingt ist fraglich, denn im Streaming-Bereich beispielsweise dürfte der Kampf um Inhalte enorm hart und damit teuer werden.

Wer die Amazon-Aktie zum aktuellen Preis kauft, der muss davon überzeugt sein, dass die Strategie zu 100 Prozent aufgeht - und das relativ schnell. Denn auch nach dem Kursrückgang ist noch sehr viel Fantasie im Kurs enthalten - und im angestammten E-Commerce-Kerngeschäft wird es auf Grund eines schlechteren Produkt-Mixes, steigender Kosten und höheren Steuern immer schwieriger für die Firma wirklich Geld zu verdienen.

Armin Brack ist Chefredakteur des Geldanlage-Reports. Gratis anmelden unter: www.geldanlage-report.de. Der obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die finanzen.net GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.

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