Wall Street-Legende Bob Farrell: So schlagen sich die zehn Börsenregeln des Marktkenners heute noch
1998 verfasste Merrill Lynch-Chefanalyst Bob Farrell zehn Regeln für Investoren. Diese lassen sich auch auf das derzeitige Marktumfeld anwenden - und sind damit noch lange nicht in die Jahre gekommen.
Werte in diesem Artikel
• Bob Farrell erlebte Bullen- und Bärenmärkte, Blasen und Crashs
• 45-jährige Karriere bei Bank of America-Tochter Merrill Lynch
• Zehn Marktregeln für erfolgreiches Investieren
Bob Farrells Marktregeln
Der ehemalige Wall Street-Stratege Bob Farrell gilt aufgrund seiner langjährigen Erfahrung als Legende am Markt. Bereits 1957 fing Farrell nach seinem Master-Abschluss an der Columbia Business School bei Merrill Lynch als Analystenpraktikant an und ebnete damit den Weg für seine 45-jährige Karriere bei der Bank of America-Tochter. Alleine 25 Jahre lang arbeitete er bei der Bank als Chefanalyst für den Aktienmarkt. Kurz vor dem Ende seiner Wall Street-Karriere veröffentlichte der Marktexperte, der in seiner Zeit an der Börse zahlreiche Bullen- und Bärenmärkte sowie Blasen und Crashs erlebte, 1998 in einer Notiz dann seine zehn Marktregeln, die Anlegern bei Investitionsentscheidungen helfen sollen. Mittlerweile hat sich Farrell weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seine Börsentipps haben dennoch noch heute Relevanz.
Regel 1: Die Märkte tendieren dazu, mit der Zeit zum Durchschnitt zurückzukehren
Farrells erste Regel besagt, dass die Aktienmärkte immer wieder zu ihren gleitenden Durchschnitten zurückkehren, nachdem sie ins Plus oder ins Minus überdehnt wurden. "Wie ein Gummiband, das zu weit gedehnt wurde - es muss entspannt werden, um wieder gedehnt werden zu können", kommentierte "Business Insider" die Prognose des Marktexperten. So würden die Aktienkurse selbst nach starken Aufwärts- oder Abwärtstrends an den langfristigen gleitenden Durchschnitt zurückkehren, was als Reversion bezeichnet wird. Während in Aufwärtstrends Umkehrungen zum Mittelwert vorliegen und damit Kaufgelegenheiten schaffen, sollten rückläufige Bewegungen zum Verkauf von Aktien, dem Beschaffen von Barmitteln und schließlich der Reduzierung des Portfoliorisikos genutzt werden. Panikverkäufe sollten in schwachen Marktphasen jedoch vermieden werden.
Regel 2: Exzesse in einer Richtung führen zu einem entgegengesetzten Exzess in der anderen Richtung
Auf die Regel des gleitenden Durchschnitts baut auch Regel Nummer zwei auf: Ähnlich wie ein Pendel bewegt sich auch der Aktienmarkt von einem Extrem ins andere, wie der Wall Street-Experte in den 1990er-Jahren festhielt. Je stärker die Kurse etwa ins Minus ausschlagen, desto stärker geht es langfristig auch wieder in die Gewinnzone. Ganz nach Newtons drittem Gesetz lässt sich also sagen: "Für jede Aktion gibt es eine gleiche und entgegengesetzte Reaktion." Aktuelle Beispiele hierfür sind "Cash" zufolge die Kursbewegungen einiger Kryptowährungen, allen voran des Bitcoins. Sprang das Krypto-Urgestein im November 2021 noch auf ein Rekordhoch bei 68.789,63 US-Dollar, ging es in diesem Jahr bereits auf bis zu 17.708,62 US-Dollar abwärts.
Regel 3: Es gibt keine neuen Epochen - Übertreibungen sind nie von Dauer
Zwar gibt es Farrell zufolge am Markt immer wieder neue Trends, die Anleger zu spekulativem Investitionsverhalten drängen, oftmals handle es sich dabei jedoch um Spekulationsblasen, die in der Vergangenheit bereits oftmals, ähnlich wie der "Gesang der Sirenen", zum Untergang geführt hätten. Von der Tulpenmanie im 17. Jahrhundert bis zur Dotcom-Blase im Jahr 2000 habe es solche Ereignisse schon immer gegeben. "Eine Lektion, die ich früh gelernt habe, ist, dass es an der Wall Street nichts Neues gibt", zitiert Business Insider dazu den bekannten Investor Jesse Livermore. "Das kann auch gar nicht sein, denn die Spekulation ist so alt wie die Berge. Was auch immer heute an der Börse passiert, ist schon einmal passiert und wird wieder passieren."
Regel 4: Exponentiell schnell steigende oder fallende Märkte gehen in der Regel weiter als man denkt, aber sie korrigieren sich nicht durch eine Seitwärtsbewegung
Farrells vierte Regel besagt, dass Exzesse am Markt weiter voranschreiten als es Anlegern logisch erscheint, diese werden aber niemals durch eine Seitwärtsbewegung abgebrochen. Damit stützt sich diese Regel auf die zweite Erkenntnis des Experten, dass extreme Ausschläge in die gegenteilige Richtung drehen. So seien Korrekturen immer genauso drastisch wie vorherige Erholungsrallys. Dieses Phänomen zeige sich Cash zufolge etwa an der Kurs-Performance von Cathie Woods Flaggschiff-Fonds ARK Innovation ETF. Der Vorzeige-ETF der ARK-Chefin setzt sich aus Unternehmen zusammen, die als besonders innovativ gelten. Zu Beginn der Corona-Pandemie konnte das Aktien-Bündel mit Krisengewinnern wie Zoom, Roku und Teladoc im Wert deutlich steigen, dann setzte allerdings eine Gegenbewegung ein. Von seinen Höchstständen im Januar 2021 ist der Kurs damit nun weit entfernt.
Regel 5: Die Öffentlichkeit kauft am meisten an der Spitze und am wenigsten am Tiefstand
Die fünfte Regel Farrells fußt auf der Annahme, dass die meisten Anleger bei hohen Kursen eher zu Käufen bereit sind, weil der Optimismus zu diesem Zeitpunkt überwiegt und sie zu Gier neigen. Tiefstände lösen an der Börse hingegen eine schlechte Stimmung aus und führen zu Angst. Rein logisch betrachtet wäre der Wall Street-Legende zufolge zwar bei niedrigen Kursen der passende Zeitpunkt zum Kauf gekommen, die Tatsache, dass der Großteil der Investoren sich dann aber genau gegenteilig verhält, zeige, wie sehr der Markt von Emotionen getrieben sei. "Eine konträre Sichtweise kann sich auszahlen", rät Bank of America-Analyst Stephen Suttmeier laut Cash.
Regel 6: Furcht und Gier sind stärker als langfristige Entschlossenheit
Die Bedeutung von Emotionen am Markt zeigt auch Regel Nummer sechs: So können starke Gefühle wie Furcht und Gier Anleger von ihren langfristigen Strategien abbringen. "Gewinne machen uns übermütig, sie steigern das Wohlbefinden und fördern den Optimismus", so auch Wirtschaftsprofessor Meir Statman von der Santa Clara University laut Business Insider.
Regel 7: Märkte sind am stärksten, wenn sie breit gefächert sind, und am schwächsten, wenn sie sich auf eine Handvoll Blue-Chip-Titel beschränken
Wenn möglichst viele Aktien und Branchen stark performen, hat eine Erholungsrally Farrell zufolge das Potenzial, langfristig zu bestehen. Sind jedoch nur eine Handvoll Werte beteiligt, ist auch das Risiko höher, dass die Aufwärtsphase ein jähes Ende findet. Daher sei nicht nur der Erfolg von Standardwerten wichtig, auch starke Nebenwerte tragen zur guten Stimmung am Markt bei. Eine Erholungsphase, die unterschiedlichste Sektoren abdeckt, könne ein Hinweis auf ein generelles Wachstum geben und damit die Wahrscheinlichkeit von langfristigen Gewinnen erhöhen.
Regel 8: Bärenmärkte bestehen aus drei Phasen - starker Abschwung, reflexartiger Aufschwung und langwieriger fundamentaler Abwärtstrend
Ein Bärenmarkt, der sich durch anhaltend sinkende Kurse auszeichnet, wird laut Farrell in drei Phasen unterteilt: Zuerst kommt es zu einem starken Kursschwund am Markt, bevor dieser dann mit einer Gegenbewegung reagiert und den Weg zurück ins Plus findet. Zuletzt folgt jedoch wieder ein Abschwung, der nun aber längerfristig andauert und von schlechten Fundamentaldaten geprägt ist. Dies lasse sich laut Suttmeier derzeit am S&P 500 beobachten, der im Jahresverlauf bereits deutlich nachgab, dann kurzzeitig wieder etwas aufholen konnte, sich nun aber in der fundamentalen Abwärtsphase befinde.
Regel 9: Wenn alle Experten und Prognosen übereinstimmen - wird etwas anderes passieren
Oftmals mögen die verschiedenen Einschätzungen zum Markt von Analysten gegenteilig wirken. Hin und wieder kommt es jedoch vor, dass die Prognosen der Experten weitgehend übereinstimmen. Dies sei Farrell zufolge jedoch ein klares Anzeichen dafür, dass alles ganz anders kommen wird als von den Experten erwartet. Business Insider nennt dazu ein Zitat von Anlagestratege Sam Stovall: "Wenn alle optimistisch sind, wer soll dann noch kaufen? Wenn alle pessimistisch sind, wer soll dann noch verkaufen?" Das Phänomen, dass die Marktexperten mit ihren Einschätzungen weitgehend auf einen grünen Zweig kommen, könne dazu führen, dass unerwartete Ereignisse die daraufhin einsetzende Gegenbewegung am Markt noch weiter verstärken können.
Regel 10: Bullenmärkte machen mehr Spaß als Bärenmärkte
Farrells letzte Regel mag offensichtlich erscheinen, bekräftigt jedoch seine fünfte und sechste Erkenntnis, die besagen, dass sich Anleger von Emotionen treiben lassen. So halten sich Investoren für klug und gewitzt, wenn der Wert ihres Portfolios ansteigt, tatsächlich handle es sich dabei eher um Glück. Hier seien Ähnlichkeiten zum Glücksspiel festzustellen: Stehen Anleger auf der Gewinnerseite, sehen sie dies durch ihr Können begründet. Bröckeln die Gewinne jedoch, besteht die Annahme, dass der nächste Versuch die Verluste wieder ausgleichen wird. Oftmals glückt diese Strategie jedoch nicht. Die positiven Emotionen, die mit Bullenmärkten einhergehen, vertrösten Anleger damit oftmals in Bärenmärkten sorgen dafür, dass beim nächsten Aufschwung "alles ganz anders" wird. "Bullenmärkte werden mit wirtschaftlichen Expansionen und einem positiven Vermögenseffekt in Verbindung gebracht, während Bärenmärkte oft mit Rezessionen und einem negativen Vermögenseffekt verbunden sind", erklärte Suttmeier gegenüber Cash.
Farrells zehn Investitionsregeln lassen sich also auch heute noch auf den Markt anwenden. Nicht nur ist der Markt nach wie vor von Emotionen getrieben, auch rücken zahlreiche neue Trends in den Fokus der Anleger, die unter Kritikern oftmals als Blase eingeschätzt werden. Behält der Marktexperte mit seinen Erkenntnissen also auch im derzeitigen Marktumfeld Recht, können sich Anleger damit trösten, dass extreme Kurseinbrüche langfristig auch wieder in einen Gegentrend umschlagen.
Redaktion finanzen.net
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