Ultralockere Geldpolitik

EZB bereitet Ausstieg sehr vorsichtig vor

08.06.17 09:02 Uhr

EZB bereitet Ausstieg sehr vorsichtig vor | finanzen.net

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) dürfte heute den im Dezember 2016 beschlossenen Kurs bestätigen, zugleich aber erste Signale geben, dass er über einen Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik nachzudenken beginnt.

Möglicherweise werden diese Signale aber schwächer ausfallen als die meisten Beobachter glauben oder zu glauben vorgeben. Außerdem bringt die Woche Auftragseingangs- und Produktionsdaten aus Deutschland, sowie Parlamentswahlen in Großbritannien und Frankreich.

   Volkswirte erwarten, dass die EZB sowohl die Leitzinsen als auch das Volumen der Wertpapierkäufe unverändert lassen wird. Der im Dezember 2016 beschlossenen Plan, den Anleihebestand mindestens bis Ende 2017 monatlich um 60 Milliarden Euro zu erhöhen, bliebe damit in Kraft. Auch deutliche Änderungen bei der Forward Guidance sind angesichts niedriger Inflationsraten unwahrscheinlich.

   Die Forward Guidance der EZB sieht einerseits vor, dass die Anleihekäufe mit einem Monatsvolumen von 60 Milliarden Euro zunächst bis Ende dieses Jahres fortgeführt werden, auf jeden Fall aber so lange, bis die Inflation dauerhaft bei rund 2 Prozent zu liegen verspricht. Zudem verspricht die EZB eine Erhöhung des Volumens und/oder eine Verlängerung der Laufzeit für den Fall, dass sich Ausblick oder Finanzierungsbedingungen verschlechtern sollten.

   Andererseits prognostiziert die EZB, dass sie ihre Leitzinsen deutlich über die Dauer von Wertpapierkäufen hinaus auf dem aktuellen oder einem noch niedrigeren Niveau belassen wird. Sowohl die Prognose für die Ankäufe als auch jene für die Leitzinsen enthalten also einen "Easing Bias". Was davon wird Bestand haben?

Analysten halten Streichung des Easing Bias bei Zinsen für möglich

Am ehesten können Analysten sich vorstellen, dass die Prognose eventuell weiter sinkender Zinsen gestrichen wird. Oft wird argumentiert, dass dieser Teil der Forward Guidance auf die Eindämmung von Deflationsrisiken zielte, die nun geschwunden seien. Gestützt wird diese Sichtweise durch Äußerungen einiger EZB-Offizieller, die über einen Zusammenhang "bestimmter Elemente der Forward Guidance" und Risiken mit sehr geringer Eintrittswahrscheinlichkeit (Tail Risks) gesprochen hatten, die sich mit einem zunehmend robusten Wachstum verflüchtigten.

   Dazu passt, dass Beobachter ziemlich einhellig erwarten, dass die EZB die Risiken für den Wachstumsausblick nicht mehr als abwärts gerichtet, sondern als ausgewogen bezeichnen und zudem die Wachstumsprognosen leicht anheben wird.

   Dass eine Streichung des Easing Bias bei den Zinsen gleichwohl alles andere als sicher ist, zeigt eine Aussage der als geldpolitische Falkin geltenden deutschen EZB-Direktorin Sabine Lautenschläger. Lautenschläger hatte in der vergangenen Woche gesagt: "Wenn sich die Lage deutlich und nicht nur vorübergehend ändert, dann sollte sich auch die Forward Guidance ändern." Zudem hatte sie darauf hingewiesen, dass die Inflation im Euroraum im Mai auf 1,4 (Vormonat: 1,9 Prozent) gesunken sei.

   Das andere Element der Forward Guidance bei Zinsen dürfte die EZB unverändert lassen - die Aussage, die Zinsen deutlich über die Dauer von Wertpapierkäufen hinaus auf ihrem aktuellen (aber keinem niedrigeren) Niveau zu belassen.

Forward Guidance bei Anleihekäufen bleibt unverändert

Die Forward Guidance zu den Wertpapierkäufen dürfte gleichfalls Bestand haben. Analysten sehen die EZB noch nicht unter Druck, den Märkten eine neue Orientierung zu geben, da das Programm in seiner jetzigen Form noch bis mindestens Jahresende laufen soll. Die meisten von ihnen gehen davon aus, dass die Zentralbank ihre Exit-Kommunikation ernsthaft im September beginnt.

   Überhaupt beruhen Prognosen der Analysten für diese und die nächsten Ratssitzungen vor allem auf der Annahme, dass der EZB die Anleihen beim jetzigen Zuschnitt ihres Ankaufprogramms im nächsten Jahr ausgehen werden und dass die Konjunktur einfach zu gut läuft, um eine potenziell konfliktreiche Ausweitung anzusteuern.

   Teil des aktuellen geldpolitischen Statements werden neue Prognosen für Wachstum und Inflation sein, an denen dieses Mal wieder die volkswirtschaftlichen Stäbe der nationalen Zentralbanken beteiligt sein werden. (Der Bundesbank-Teil wird am Freitag um 8.30 Uhr veröffentlicht.) Angesichts der zuletzt überraschend guten Konjunkturdaten erwarten Ökonomen, dass die Wachstumsprognosen leicht angehoben werden. Für die Prognosen zu Inflation und Kerninflation erwarten sie dagegen leichte Rückgänge.

   Die EZB wird ihre geldpolitischen Entscheidungen heute (13.45 Uhr) veröffentlichen. Die Pressekonferenz mit Präsident Mario Draghi beginnt gegen 14.30 Uhr.

Erste britische Hochrechnungen kommen um 23.00 Uhr

Die Briten entscheiden heute über die neue Zusammensetzung des Unterhauses. Die Wahllokale schließen um 23.00 Uhr, und exakt zu dieser Zeit werden die Fernsehstationen erste Hochrechnungen auf Basis von Nachwahlbefragungen veröffentlichen. Noch vor Mitternacht dürften die ersten Ergebnisse feststehen, den Anfang macht für gewöhnlich der Bezirk Sunderland.

   Beobachter rechnen mit einem recht deutlichen Sieg für die Tories von Premierministerin Theresa May, so dass das Ergebnis schon etwa gegen 3.00 Uhr morgens feststehen könnte. Ein Sieg würde die Position Mays als Chefunterhändlerin in Sachen EU-Austritt festigen. Ob das eine Verhandlungslösung oder einen "harten Brexit" wahrscheinlicher macht, ist schwer zu sagen. An der generell problematischen Brexit-Konstellation für Großbritannien änderte ein Wahlsieg Mays nichts.

Macron braucht Unterstützung im Parlament

Die Wahl Emmanuel Macrons zum französischen Staatspräsidenten ist in Europa mit großer Erleichterung aufgenommen worden. An den Finanzmärkten wurde sein Sieg regelrecht gefeiert. Damit verband sich einerseits die Erleichterung darüber, dass eine europakritisch und protektionistisch gesinnte Präsidentin Marine Le Pen verhindert wurde. Andererseits hoffen die Märkte nun auf wachstumsfreundliche Reformen und neue Impulse für die europäische Integration.

   Für seine Pläne braucht der neue Präsident die Unterstützung der Nationalversammlung, in der seine neu gegründete Partei La Republique En March! bisher nicht vertreten ist. Für die am Sonntag stattfindende erste Runde der Wahl hat En March in den meisten Wahlbezirken eigene Kandidaten aufgestellt, von denen rund die Hälfte bisher nicht in der Politik tätig war. In rund 50 Bezirken verlässt sich Macron darauf, dass die dort von anderen Parteien nominierten Kandidaten seine Politik unterstützen werden. Am 18. Juni folgt die zweite Runde der Wahl.

   Kontakt zum Autor: hans.bentzien@dowjones.com

   Von Hans Bentzien

   FRANKFURT (Dow Jones)

Bildquellen: DANIEL ROLAND/AFP/Getty Images, Jorg Hackemann / Shutterstock.com