Ökonomen erwarten keine EZB-Zinssenkung
Trotz des überraschenden Rückgangs der Inflation im Euroraum von 1,1 auf 0,7 Prozent rechnen Ökonomen nicht damit, dass die Europäische Zentralbank, kurz EZB, ihren Leitzins am Donnerstag senken wird.
Nur drei der 50 befragten Experten erwarten einen solchen Schritt. Die EZB wird ihre Entscheidung am Donnerstag um 13.45 Uhr bekannt machen. Präsident Mario Draghi wird sie in einer gegen 14.30 Uhr beginnenden Pressekonferenz erläutern.
Bevor die Statistikbehörde Eurostat den unerwarteten Rückgang der Inflation im Oktober meldete, drehte sich die Diskussion der Ökonomen mehr oder weniger um die Frage, in welcher Weise EZB-Präsident Draghi am Donnerstag den hohen Euro-Kurs erwähnen würde. Nachdem nun klar ist, dass sich die Inflation sehr deutlich vom Inflationsziel der EZB von knapp 2 Prozent entfernt hat, wächst der Druck auf die Zentralbank, ihren Zins zu lockern, was der Euro-Kurs mit einem kräftigen Rücksetzer quittierte.
Aber offenbar erwartet kaum jemand, dass die EZB diesem Druck nachgeben wird. Ken Wattret, Ökonom bei BNP Paribas, ist einer von ihnen. "Wir sehen den Dezember als wahrscheinlichsten Zeitpunkt für eine Zinssenkung, weil die EZB dann auch niedrige Inflationsprojektionen veröffentlichen dürfte, darunter erstmals eine für 2015", kalkuliert er.
Wattret sieht die EZB nicht alleine wegen der niedrigen Inflation, sondern auch wegen des immer noch erhöhten Euro-Wechselkurses unter Handlungsdruck, der die finanziellen Rahmenbedingungen beeinträchtigt. Anfang 2014 könnte die EZB weitere, kleinere Zinsschritte folgen lassen, meint Wattret.
Andere Ökonomen erwarten, dass die EZB ein weiteres langfristiges Refinanzierungsgeschäft ausschreiben wird. "Es ist keine weitere Zinssenkung zu erwarten, stattdessen wird es wegen der niedrigen Inflation einen weiteren Langfristtender geben", prognostiziert zum Beispiel Martin Hasse von M.M. Warburg. Für den wahrscheinlichsten Termin hält er das Dezember-Treffen.
Noch zurückhaltender sind die Commerzbank-Ökonomen Jörg Krämer und Michael Schubert. Zwar müsste die EZB eigentlich ihre Zinsen senken, doch liege der Einlagenzins ja schon jetzt bei null und der Tagesgeldzins bei 0,1 Prozent, geben sie zu bedenken. Um die Marktzinsen durchgreifend zu drücken, müsste die EZB den Einlagenzins in den negativen Bereich senken, und das wird sie wegen der zu befürchtenden Nebenwirkungen kaum tun wollen.
Aber käme etwas anderes als eine Zinssenkung im Dezember überhaupt in Betracht? Krämer und Schubert verweisen auf zwei Möglichkeiten, die EZB-Direktor Jörg Asmussen kürzlich andeutete: "Den Mindestreservesatz senken oder die wöchentlichen Tender abschaffen, mit denen die EZB zur Beruhigung der deutschen Öffentlichkeit pro forma die Liquidität abzieht, die sie durch den Kauf von Staatsanleihen im Rahmen ihres früheren SMP-Programms in Umlauf gebracht hat."
Die Abschaffung der Mindestreservepflicht - gegenwärtig liegt der Satz bei 1 Prozent - würde den Banken etwa 100 Milliarden Euro zusätzliche Liquidität bringen und ein Verzicht auf die SMP-Absorptionstender 188 Milliarden. "Wir halten eine Abschaffung des SMP-Tenders und der Mindestreserve für etwas wahrscheinlicher als einen neuen Langfristtender oder eine weitere Zinssenkung", schreiben Krämer und Schubert.
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