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Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland

21.12.16 10:53 Uhr

Mitarbeiterbeteiligung in Deutschland | finanzen.net

"Wohlstand für alle" als Antwort auf Negativzinsen und Vermögensungleichheit

Während an den Anleihemärkten mit Negativrenditen ein neues Kapitel aufgeschlagen wurde, verschärfen sich die großen gesellschaftlichen Herausforderungen, die da heißen technologischer Wandel, demographischer Wandel und Teilhabe an den Früchten des wirtschaftlichen Erfolges. Die Kapitalbeteiligung - und damit die Beteiligung an der Risikoprämie - als Antwort darauf würde "Wohlstand für alle" ermöglichen.

Die Lage an den Rentenmärkten ist dramatisch. Erstmalig in der 5.000-jährigen Geschichte von Schulden und Sühne bewegen sich die Renditen großer Teile des Staatsanleihemarktes im negativen Terrain. Bezogen auf die Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies: Ca. 70 % der deutschen Staatsanleihen haben eine negative Umlaufrendite. Das Nachsehen haben die Anleger. Damit aber ist eine ganze Anlagegattung für die Altersvorsorge und den Vermögensaufbau ein Totalausfall.

Die großen gesellschaftlichen Herausforderungen aber bleiben, ja werden davon noch verschärft:

1. Demographie und Vermögensaufbau: Während das "Methusalemkomplott"1 ungelöst bleibt, steigt die Lebenserwartung immer weiter. Je länger aber die Negativzinsphase andauert, desto stärker wird diese zur Last für die üblichen Wege der privaten Altersvorsorge. Auch für den Vermögensaufbau insgesamt gilt: Sparen heißt Sparen im Rückwärtsgang. Wer allein bei Sparbuch und Staatsanleihen bleibt, für den kann die Lösung nur heißen: Entweder mehr sparen, oder länger arbeiten, oder in risikoreichere und damit langfristig ertragsversprechendere Anlageformen umschichten.

2. Technologischer Wandel: "Disruptive Technologien" und "Industrie 4.0" sind die Schlagwörter unserer Zeit. Dabei ist noch lange nicht ausgemacht, wohin die Entwicklungen führen. Brynjolfsson und McAfee treffen die Vorhersage, dass es, wenn schon nicht zum Ende der menschlichen Arbeit, so doch zu radikalen Veränderungen in der Arbeitswelt kommt. Das "zweite Maschinenzeitalter", das sie heraufkommen sehen, würde - anders als das erste - nicht mehr die Produktivität des Faktors Arbeit durch die Kombination Arbeit und Kapital (also Maschine) heben. Vielmehr würde es Arbeit durch Kapital ersetzen, so ihre Prognose. Eine radikale Prognose sicher, aber selbst wenn nur ein Teil der Arbeitsplätze und des Arbeitseinkommens entfallen sollte, durch was wird das Arbeitseinkommen ersetzt?

3. Teilhabe: "Teilhabe" - ein großes Wort, das die katholische und evangelische Kirche in Deutschland in ihrer gemeinsamen Stellungnahme von 2014 eingefordert haben.2 Dabei geht es letztlich auch um die gesamtgesellschaftliche Teilhabe am Wohlstand, indem die Kirchen feststellen "dass gerechte Teilhabe auch eine Frage von Einkommen und Vermögen ist. Beteiligungs- und Verteilungsgerechtigkeit gehören zusammen."

4. Ordnungspolitik: Alles fließt zusammen in den Anforderungen an einen Ordnungsrahmen, der die effiziente Allokation knapper Ressourcen ermöglicht. Er sollte "Teilhabe" mit Beteiligung an den Chancen sowie an den Risiken übersetzen, nicht mit Umverteilung. Umverteilung ist nicht nur nicht effizient, mindert also die gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt, indem sie Leistungsanreize mindert, sondern ist eine ungerechte Form der Teilhabe, da sie Teilhabe an den Früchten, nicht aber an den Risiken bedeutet und in die Bevormundung führt. Beteiligungs- und Verteilungsgerechtigkeit müssen daher immer auch die Beteiligung an den Risiken einschließen. Wer nur einseitig Leistungsempfänger ist, kann nicht Teilhaber im umfassenden Sinne sein. Er wird als Souverän ("Alle Macht geht vom Volke aus.") abhängig von seinen "Ministern" (was im ursprünglichen Wortsinne "Untergebener, Diener, Helfer" bedeutet), den eigentlichen Dienern des Volkes also, die über die Umverteilung bestimmen.

Die Lösung dieses ordnungs- wie verteilungs- und letztlich auch demokratietheoretischen Problems liegt in der Kapitalbeteiligung, also in der Beteiligung an Chancen und Risiken des investiven Kapitals der Volkswirtschaft. Anders ausgedrückt: Wer Teilhabe will, muss Kapitalbeteiligung wollen.

Wer Teilhabe will, muss Kapitalbeteiligung wollen Wer mehr Teilhabe will, muss Kapitalbeteiligung und damit die Beteiligung an der Risikoprämie wollen, die letztlich die wichtigste Begründung für Thomas Piketty lieferte, auch wenn dies in der öffentlichen Debatte um ihn und seine Thesen weithin übersehen wird.

Die sich auf historische Daten stützende Argumentationskette von Thomas Piketty3 viel diskutiertem Buch "Capital in the Twenty-First Century" geht entlang der von ihm postulierten Ungleichung "r > g". Die auf das Kapital erzielte Rendite "r" überträfe das gesamtwirtschaftliche Wachstum "g". Aus dieser Ungleichung ergäbe sich im Zusammenspiel der von ihm so genannten "fundamentalen Gesetze des Kapitalismus" eine zunehmende Kräfteverschiebung weg vom Arbeitseinkommen hin zum Kapitaleinkommen. Während der Anteil des Arbeitseinkommens am volkswirtschaftlichen Einkommen sinke, steige der Anteil des Kapitaleinkommens. Die Ungleichheit, so seine These, nehme durch diese Kräfteverschiebung noch weiter zu.

Die Verteilungswirkung zu Gunsten der Kapitaleigentümer verschärfe sich zusätzlich dadurch, dass bei letzteren eine höhere Sparquote unterstellt werden könne als bei den Beziehern von Arbeitseinkommen. U.a. Ibbotson und Chen4, aber z.B. auch Fama und French5 weisen aus der Historie eine Risikoprämie nach, die Aktieninvestoren gegenüber Staatsanleihen erzielt haben. Diese Risikoprämie aber ist letztlich der Treiber der Ungleichheit der Vermögen. Die historische Betrachtung verdeutlich dies: Wird z.B. die Risikoprämie von US-Aktien gegenüber US-Treasuries mit 30-jähriger Laufzeit über Zeiträume von 30 Jahren vom Beginn der erhältlichen Zeitreihen (1801) bis Ende 2015 verglichen, so zeigt sich, dass im Durchschnitt des Gesamtzeitraums eine Risikoprämie von 3,7 Prozentpunkten erzielt wurde, und die Risikoprämie lediglich in einem der betrachteten 30Jahreszeiträume negativ war - eine Anlage in Staatsanleihen also vorteilhafter gewesen wären.

Für den deutschen Kapitalmarkt sind die Daten nicht so lange zurück erhältlich, aber auch hier zeigt sich eine sehr ähnliche Entwicklung: Über die letzten 70 Jahre erzielte der cDAX eine Rendite von 8,3% p.a. Der REX-P, stellvertretend für die Staatsanleihen, nur von 2,8%. Während der REX-P damit die Inflation über die letzten 7 Jahrzehnte mit großer Mühe gerade so schlug, Kaufkrafterhalt also möglich war (was bei Negativrenditen und einer Preisveränderungsrate von größer Null nicht mehr möglich ist), konnten Aktieninvestoren eine Risikoprämie von 5,5 Prozentpunkten im Durchschnitt der Jahre erzielen. Geschichte wiederholt sich nicht, auch nicht an den Kapitalmärkten, aber die historische Betrachtung ist dennoch für auf die Zukunft gerichtete Überlegungen gut.

Wer an der Risikoprämie partizipieren will, kann dies aber nur mittels unternehmerischen Kapitals, nicht mittels Staatsanleihen tun. Es geht also um Kapitalbeteiligung an Unternehmen, was bsp. per Aktien(fonds) möglich ist.

"Wohlstand für alle" durch Kapitalbeteiligung "Wohlstand für alle" durch Kapitalbeteiligung muss kein Wunschdenken bleiben, sondern ist möglich, wie folgende Berechnungen zeigen: Unterstellt, seit 1976 (das Jahr, in dem auch das erste Mitarbeiterbeteiligungsgesetz verabschiedet wurde) wäre das Aktiensparen für die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten speziell gefördert worden - mit dem Ziel, die Beschäftigten an dem gesamtwirtschaftlichen Kapital und damit auch an den Gewinnen zu beteiligen. Die Beschäftigten wären heute ein Volk von Kapitaleignern.

Dazu ein Rechenexempel: Es wird unterstellt, ein Sparplan auf deutsche Aktien, wie er vom DAX beispielhaft repräsentiert wird, wäre seit 1976 steuerlich gefördert worden, indem sowohl die Kursgewinne als auch die Dividenden von der Steuer befreit worden wären. Ein Beschäftigter hätte dann monatlich damals 50 D-Mark (heute also etwa 25 Euro) in diesen geförderten Sparplan bis Ende 2013 eingezahlt. Was hätte sich daraus entwickelt? Der Beschäftigte, der von Anfang an dabei gewesen wäre, alles reinvestiert hat und ggf. das entstandene Vermögen weitervererbt hat, hätte im Lauf der Jahre umgerechnet knapp 15.000 Euro eingezahlt. Stand Ende 2013 würde er über 83.000 Euro an Kapital verfügen. Die Risikoprämien, die reinvestieren Dividenden und der Zinseszinseffekt sind die Treiber hinter diesem Vermögensaufbau.

Dabei wurde unterstellt, dass alle zehn Jahre der Sparbeitrag pro Monat um 5 Euro erhöht wurde, um die Inflationsentwicklung annähernd auszugleichen, aber auch, um den steigenden Löhnen Rechnung zu tragen. Die gesamten Sparanstrengungen wären dabei nicht einmal sehr groß gewesen: Im Durchschnitt hätte ein Beschäftigter im Jahr 1976 insgesamt 970 Euro p. a. zur Seite gelegt. 31 % davon wären in diese Form der Kapitalbeteiligung geflossen. Durch die gestiegenen Löhne und die absolut ebenfalls gestiegene Pro-Kopf-Ersparnis hätte sich der Anteil, der Ende 2013 in die Kapitalbeteiligung floss, auf 14 % weiter verringert. Eine Gesamtaktienquote zu Beginn von 31 % bezogen auf die Ersparnisse wäre in Anbetracht der langen Ansparzeiträume dabei kaum zu hoch gegriffen.

Gesamtwirtschaftlich wären gut 1,7 Billionen Euro über die Jahre zusammengekommen. Rein von der Größenordnung her betrachtet: Die aktuelle Marktkapitalisierung des DAX betrug Ende 2013 etwas mehr als eine Billion Euro. Den Deutschen würde also der DAX ca. 1,5 mal gehören.

Das Ergebnis kommt zustande, wenn die jährlich von einem Beschäftigten eingezahlten Beiträge mit der Anzahl der zu diesem Zeitpunkt insgesamt Beschäftigten multipliziert werden und die sich daraus ergebenden Einzahlungen mit der durchschnittlichen Rendite vom jeweiligen Jahr bis Ende 2013 mit der DAX-Rendite aufgezinst und addiert werden. Bei den Rentnern der jeweiligen Jahrgänge wurde unterstellt, dass sie ihr angespartes Kapital bei Renteneintritt entnehmen. Die Neurentnerquote wurde aus den Daten des Statistischen Bundesamtes mit 6 % der Beschäftigten gemittelt.

Natürlich ist dies eine sehr vereinfachende Betrachtung. Aber sie zeigt, was die Förderung von Kapitalbeteiligung über die Zeit leisten kann.

Selbst wenn Kapitalentnahme unterstellt wird, ist die Wirkung der Mitarbeiterbeteiligung ebenfalls erstaunlich: Angenommen, von der Rendite der einzelnen Anlageperioden wären nur 60 % in die Wiederanlage geflossen und 40 % wären entnommen worden - was etwa dem Dividendenanteil an der Gesamtperformance des DAX entspricht - so würde jemand, der seinen Sparplan 1976 gestartet hätte, heute immer noch über ein Vermögen von gut 37.000 Euro verfügen, und er hätte sich in der Zwischenzeit Jahr für Jahr der Dividenden erfreuen können.

Alle Beschäftigten insgesamt würden dann immer noch über 821 Milliarden Euro verfügen - das sind 80 % der Marktkapitalisierung der 30 DAX-Werte. Zum Vergleich: Aktuell halten private wie institutionelle Investoren im Inland zusammengenommen nur ca. 18 % des DAX. Die Erhebungen des Deutschen Aktieninstituts sind noch alarmierender: Gerade einmal 9 Millionen Deutsche oder ca. 14 % der Bevölkerung über 14 Jahre besitzen überhaupt Aktien oder Aktienfonds9. Alle anderen sind nicht am unternehmerischen Kapital beteiligt.

Dabei verfügen die Privaten in Deutschland gemäß den Erhebungen der Deutschen Bundesbank über ein liquides Brutto-Geldvermögen von 5,3 Billionen Euro. Aktien kommt dabei allerdings nur ein sehr geringer Anteil zu.

Förderungsmöglichkeiten für die Kapitalbeteiligung

Um die Fähigkeit des Vermögensaufbaus weiter zu stärken, bieten sich verschiedene Optionen an. Im einfachsten Fall ist das die Förderung der vermögenswirksamen Leistungen, da die Einzahlungen auch in Kapitalbeteiligungsformen fließen könnten. Auch eine steuerliche Gleichbehandlung von Sparplänen zur Kapitalbeteiligung mit den verbliebenen steuerlichen Vorteilen von Lebens- und Rentenversicherungen wäre denkbar, ebenso die Ausweitung von Steuerfreibeträgen für den Kauf von Mitarbeiteraktien auf weitere Formen der Kapitalbeteiligung. Investivlöhne und andere Formen der Erfolgsbeteiligung könnten ebenfalls genutzt werden, um dann in Analogie der betrieblichen Altersversorgung erst nachgelagert versteuert zu werden.

Eigentumsrechte mittels "Teilhaberfonds"

Was noch fehlt als unmittelbares Zeichen des Kapitaleigentums ist die Wahrnehmung der Eigentumsrechte. Was hier exemplarisch mittels Investitionen in breit diversifizierte Indizes gezeigt wurde, könnte z.B. alternativ auch für eine Mitarbeiterbeteiligung in Form von Belegschaftsaktien durchgeführt werden. Diese Lösung hätte allerdings den Nachteil fehlender Diversifikation bei der Kapitalanlage. Alternativ könnten auch "Teilhaberfonds" als neue Fondsvariante eingeführt werden. Kennzeichen dieser Teilhaberfonds wäre, dass die Stimmrechte der im Fonds enthaltenen Aktien an die Fondseigner (auf Wunsch) zurück übertragen werden. Diese könnten sie ausüben oder über Interessengemeinschaften poolen, die dann die Eigentumsrechte wahrnehmen.

Fazit

Die Überlegungen und Berechnungen zeigen: "Teilhabe durch Kapitalbeteiligung" heißt das Gebot der Stunde. Dies gilt umso mehr in Zeiten von Negativzinsen. So ist Wohlstand für alle möglich und das Methusalemkomplott ebenso überwunden, wie die Nebenwirkungen des 2. Maschinenzeitalters. Sollten die Maschinen tatsächlich die Arbeitsplätze übernehmen, würden die Roboter für die Kapitaleigener arbeiten. Arbeitseinkommen würde durch Kapitaleinkommen ersetzt.

Autor: Hans-Jörg Naumer, Diplom-Volkswirt, arbeitet als Global Head of Capital Markets & Thematic Research der Investmentfondsgesellschaft Allianz Global Investors in Frankfurt am Main. Er vertritt seine eigene Meinung.

Kontakt: twitter.com/NaumerOekonom

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