Euro am Sonntag-Meinung

Zum Schutz der Anleger: Es lebe der Wertpapierprospekt!

22.07.18 01:00 Uhr

Zum Schutz der Anleger: Es lebe der Wertpapierprospekt! | finanzen.net

Wer als Privatanleger regelmäßig in Zertifikate und Optionsscheine investiert, benötigt präzise Details über das Produkt. In vielen Unterlagen sind die Informationen zu allgemein. Eine bewährte Alternative sorgt für den Durchblick.

von Wolfgang Gerhardt, Gastautor für €uro am Sonntag

Rechtzeitig zur Einführung von MiFID II, der EU-Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente, Ende vergangenen Jahres erhielten die Anleger von ihren ­Banken stapelweise Papier mit Informationen zu Risikoprofilen, Kenntnissen, Erfahrungen, Märkten, Produkten, Gebühren, Zuwendungen, Handelssystemen und der Depotverwaltung. In den vergangenen Wochen folgten noch Schreiben zum Datenschutz. Solche ­Informationen sind für eine konkrete Anlageentscheidung zu allgemein.



Wer regelmäßig in strukturierte Wertpapiere, zum Beispiel Optionsscheine, Knock-out-Zertifikate, Bonuszertifikate oder Aktienanleihen investiert, benötigt vor dem Kauf die genauen Details des Produkts - Basiswert, Basispreis, Bezugsverhältnis, Laufzeit, ebenso die Modalitäten der Tilgung, einer möglichen Barriereverletzung oder einer vorzeitigen Kündigung. Ebenso sollte er sich ein klares Bild über die Chancen und Risiken des Wertpapiers machen können.

Diese Lücke sollte das Basisinforma­tionsblatt (BIB) schließen, das zeitgleich mit MiFID II Anfang 2018 eingeführt wurde. Die EU-Kommission hat technische Regulierungsstandards mit detaillierten Vorgaben erlassen, damit auf drei Seiten alles Wesentliche enthalten sein soll. Die Betonung liegt auf "soll", denn das BIB präsentiert sich als wenig transparente Textwüste, die dem fett gedruckten Warnhinweis zu Beginn, "Sie sind im Begriff, ein Produkt zu erwerben, das nicht einfach ist und schwer zu verstehen sein kann", alle Ehre macht.

Für strukturierte Wertpapiere
nutzt die Basisinfo wenig

Das Basisinformationsblatt konzen­triert sich auf Allgemeines. Details in übersichtlicher Form fehlen. So sucht man in den meisten Basisinformationsblättern vergebens nach einem Preis für das Wertpapier. Es werden Kostenszenarien gerechnet, ohne genau zu erklären, was unter Kosten zu verstehen ist, während eine steuerliche Betrachtung außen vor bleibt. Es werden Perfor­mance-Szenarien für Stress-, pessimistische, mittlere und optimistische Situationen, bezogen auf einen Anlagebetrag von 10.000 Euro, gerechnet, ohne Hinweis auf Produktpreis, Referenz­wert des Basiswerts oder den Zeitpunkt der Berechnung. Viele Emittenten halten die strikten Vorgaben nicht für zielführend. Nur so ist zu verstehen, dass man vereinzelt den Hinweis findet, die dargestellten Performance-Szenarien beruhten auf gesetzlich vorgegebenen Berechnungsmethoden und könnten zu nicht nachvollziehbaren Zahlen führen.

Das Basisinformationsblatt ist deshalb am ehesten für Anleger geeignet, die nach einer Wertpapierberatung ­gelegentlich investieren und zum Beispiel Investmentfonds und Zertifikate mit­einander vergleichen wollen. Dies trifft für 95 Prozent der Börsenumsätze in strukturierten Wertpapieren in Deutschland nur in Ausnahmefällen zu, denn sie entfallen auf Gattungen, in denen weitgehend selbst entscheidende Anleger und Anlageberater aktiv sind, die regelmäßig investieren. Bei Hebelprodukten ist dies unmittelbar einsichtig, denn kaum ein Anleger hält seine Papiere länger als eine Woche, nur in Ausnahmefällen länger als einen Monat.



Aber auch Aktienanleihen, Discount- und Bonuszertifikate, die am Sekundärmarkt gehandelt werden, fallen in diese Kategorie. Wie eine Studie des Wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Derivate Verbands (DDV) vom Dezember 2017 zeigt, beträgt die durchschnittliche Laufzeit dieser Gattungen weniger als ein Jahr. Da sich in den meisten Depots zeitgleich mehrere Produkte befinden, ist davon auszugehen, dass Selbstentscheider regelmäßig nach neuen ­Anlageideen Ausschau halten. Ebenso werden Index- bzw. Partizipationszertifikate häufig gerollt. Mit einem dreistufigen Prozess können selbst entscheidende Anleger und Anlageberater leicht Abhilfe schaffen - und selbst Einsteiger, die sich neu für strukturierte Wertpapiere interessieren, auf diese Weise ihre Kaufentscheidung vorbereiten.

Zunächst sollte sich - insbesondere vor der ersten Entscheidung für eine Produktgattung - der Nutzer mit all­gemeinen Materialien zur Funktion sowie den Chancen und Risiken der gewünschten Gattung beschäftigen. Emittenten, Finanzmedien und Internet­portale bieten eine reiche Auswahl - je nach Vorliebe gibt es Videos, E-Books, Tutorials im Internet oder klassische, gedruckte Magazine und Bücher. Nur: Der potenzielle Anleger sollte sich fokussieren. Wer sich für Aktienanleihen interessiert, sollte die Abschnitte über Knock-out-Zertifikate einfach überblättern, sonst wird es unübersichtlich. Damit ist der Nutzer für den zweiten Schritt gerüstet: den Produkt- und Konditionenvergleich zwischen Emittenten, Basiswerten und Laufzeiten als Grundlage für ein bestimmtes Wertpapier. Finanzportale und die Internetseiten der Emittenten bieten dazu vielfältige Möglichkeiten.

Vor dem Kauf sollte unbedingt als dritter Schritt der Blick auf die Detailseite dieses Wertpapiers im Internet­auftritt des Emittenten folgen. Dort finden sich handelbare Preise, Kennzahlen und meist Berechnungen zur möglichen Rendite. Die Seite enthält insbesondere jedoch eine Box, manchmal einen Reiter "Infomaterial" mit den sogenannten "endgültigen Bedingungen" zum Download. Diese "endgültigen Bedingungen" sind der Schlüssel zu einem bestimmten strukturierten Wertpapier.

Die "endgültigen Bedingungen" sind für
Anleger entscheidend

Formal ist das Dokument ein Zusatz zum sogenannten Basisprospekt, zum umfassenden Wertpapierprospekt, den jeder Emittent für seine strukturierten Wertpapiere bei der Bafin oder einer ­anderen Wertpapieraufsichtsbehörde innerhalb der EU einreichen und billigen lassen muss. Da der Basisprospekt zwölf Monate lang gültig ist, ist es na­türlich unmöglich, bereits alle Emis­sionen vorab mit ihren Konditionen ­festzulegen.

Sobald neue Wertpapiere an den Markt gebracht werden, werden deshalb die Emissionsdaten in den endgültigen Bedingungen festgelegt und veröffentlicht. Zahlreiche Emittenten erstellen für jede einzelne Emission eigene endgültige Bedingungen; andere Häuser fassen mehrere Wertpapiere in einem ­Dokument zusammen, sodass Details aus Tabellen zu entnehmen sind.

Üblicherweise bestehen die ­endgültigen Bedingungen aus den Emissionsbedingungen sowie einer rechtlich verbindlichen, emissionsspezifischen Zusammenfassung, für die zeilengenau behördliche Vorgaben bestehen. So enthalten nach der Einführung in Abschnitt A die Abschnitte B Informationen zum Emittenten, C zum Wertpapier, D zu den Risiken und E zum Angebot. Die endgültigen Bedingungen sind übersichtlich, nach einer Eingewöhnungsphase in die staatlich vorgegebene Methodik zügig zu analysieren und nicht zuletzt mit den Bedingungen anderer Emittenten zu vergleichen.

Der klassische Vorbehalt gegenüber Wertpapierprospekten, sie seien klein gedruckt, voluminös und unübersichtlich, gilt für die endgültigen Bedingungen nicht. Manche Emittenten haben mittlerweile sogar die klassischen "Termsheets", die früher bei Emissionen im professionellen Geschäftsverkehr üblich waren, abgeschafft. So verlassen sich heute auch institutionelle Investoren auf den Prospektzusatz als Informationsquelle.

Und die endgültigen Bedingungen haben noch einen weiteren, entscheidenden Vorteil: Sie sind das einzige Dokument, in dem ein Hinweis fehlt, allein rechts­verbindlich sei der Wertpapierprospekt. Schließlich handelt es sich um das Original. Warum also bei strukturierten Wertpapieren zu einer Kopie greifen, wenn das Original leicht zugänglich ist?



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Kurzvita

Wolfgang Gerhardt Experte für strukturierte Wertpapiere
Gerhardt hat die Entwicklung der Märkte für strukturierte Wertpapiere in Deutschland und anderen Ländern Europas über 25 Jahre lang aktiv begleitet. Er war in dieser Zeit tätig für den Schweizerischen Bankverein, Citibank, Sal. Oppenheim und Vontobel sowie Mitglied von Arbeitsgruppen bei der Entwicklung und Umsetzung der ersten EU-Prospekt­richtlinie.




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