Rohöl: Ist die Korrektur bereits ausgestanden?
Dass Börsianer zu Übertreibungen neigen, konnten man in den letzten Jahren unter anderem am Ölpreis annährend perfekt erkennen.
Notierungen jenseits der 150-US-Dollar-Marke waren genauso irrwitzig und am „fairen“ Wert des „Schmierstoffs der Weltwirtschaft“ vorbei wie Kursen im Bereich von 40 US-Dollar. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass der Ölpreis zunächst massiv einbrach, sich aber in den letzten Monaten signifikant erholen konnte. In den zurückliegenden Wochen kam es am Markt dann jedoch zu neuerlichen kleineren Korrekturen und viele Investoren fragen sich, ob diese Phase bereits ausgestanden ist und das „schwarze Gold“ demnächst wieder auf den Weg in Richtung dreistelliger Notierungen macht oder ob es noch die eine oder andere „Etage“ tiefer geht.
Erkennbarer Produktionsüberschuss
Unter fundamentalen Gesichtspunkten ist zunächst einmal anzumerken, dass die Versorgungssituation der Welt mit Erdöl gegenwärtig recht komfortabel ist. Lag die globale Output 2008 lediglich etwa 1,5 Millionen Barrel pro Tag über dem Verbrauch, beträgt der Produktionsüberschuss momentan rund 3,4 Millionen Barrel. Insofern stellt es keine wirkliche Überraschung dar, dass die Lagerbestände sich erkennbar erholt haben. So befinden sich zur Stunde 338,4 Millionen Barrel Rohöl in den amerikanischen Vorratstanks gegenüber 303,7 Millionen Barrel im Vorjahr. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die von der OPEC im Sommer abgegebene Prognose, dass das Überangebot an Öl im Jahr 2013 sogar auf sechs Millionen Barrel täglich steigen soll. Sofern sich diese Prognose bewahrheitet, wird sich das Aufwärtspotenzial beim „schwarzen Gold“ in einem sehr überschaubaren Rahmen halten.
Wette auf Konjunktur-Erholung
Kurz- bis mittelfristig können wir uns allerdings vorstellen, dass sich die derzeitige Überversorgung abschwächt. Hintergrund ist die Erwartung einer weltweiten konjunkturellen Erholung, die mit einem höheren Verbrauch einhergeht. Schließlich ist es in allererster Linie die rückläufige Nachfrage gewesen, die zu dem angesprochnen Angebotsüberschuss geführt hat. Denn die Produktion ist in den zurückliegenden zwölf Monaten sogar leicht gesunken, weil der gewaltige Kurseinbruch die Förderung auf nicht wenigen Feldern unrentabel gemacht hat. Sollte sich die globale Konjunktur im kommenden Jahr also deutlich beleben (worauf derzeit einiges hindeutet), ist ein weiterer moderater Preisanstieg beim „Schmierstoff der Weltwirtschaft“ sicherlich nicht auszuschließen. Notierungen über 100 US-Dollar halten wir dennoch für utopisch.
Politische Risiken schwächen sich ab
Verhindern dürfte das allein schon die Tatsache, dass sich die politischen Risiken für den Ölpreis zuletzt merklich abgeschwächt haben. Zwar wird es auch in Zukunft immer wieder zu Förderausfällen im Irak und in Nigeria kommen und auch die postkommunistischen Anwandlungen in einigen wichtigen südamerikanischen Fördernationen werden so schnell nicht der Vergangenheit angehören. Auf der anderen Seite hat es gegenwärtig den Anschein, als entspanne sich der Atomstreit mit dem Iran. Kürzlich stimmte die Regierung in Teheran einer Kontrolle der Anlagen durch internationale Beobachter zu. Eine Eskalation des Konflikts wird damit unwahrscheinlicher. Unabhängig von der nicht unerheblichen Fördermenge des Irans selbst, hat das eine andere nicht zu unterschätzende Dimension: Rund 20 Prozent des weltweit geförderten Öls werden durch die Straße von Hormuz transportiert und der Iran hat die Möglichkeit, diesen Kanal zu blockieren. Somit ist es ganz bestimmt kein Fehler, wenn sich das Verhältnis zwischen dem Mullah-Staat und der westlichen Welt entspannt – zumindest hinsichtlich der Versorgung mit Erdöl.
Hurrikan-Saison demnächst überstanden
Ein Faktor, der beim Ölpreis ebenfalls immer berücksichtigt werden sollte, ist die Hurrikan-Saison im Golf von Mexiko, da es in dieser Zeit nicht selten zu erheblichen Förderausfällen durch Wirbelstürme kommt. Offiziell geht die Hurrikan-Saison noch bis Ende November, wobei jedoch zu bedenken ist, dass die ganz heiße Phase bereits Mitte bis Ende Oktober endet. So gesehen ist es zur Stunde für Short-Spekulationen vielleicht noch etwas zu früh. Sobald aber die Sturm-Angst aus dem Markt entweicht, ist es sehr gut möglich, dass der Ölpreis bis Jahresende den Rückwärtsgang einlegt. Dafür spricht vor allem der saisonale Preisverlauf, der in den letzten beiden Monaten eines jeden Jahres klar „bärisch“ ist.
Charttechnisch angeschlagen
Auf kurzfristig eher fallende als steigende Notierungen weist darüber hinaus auch die Charttechnik hin. Denn es lässt sich nicht leugnen, dass der maßgebliche November-Future zur Stunde unter technischen Gesichtspunkten etwas angeschlagen ist. Der Aufwärtstrend seit März ist „Geschichte“ und stattdessen hat sich im Anschluss an die Ausbildung eines Mehrfach-Tops im Bereich von 75 US-Dollar eine Abwärtsbewegung herausgebildet. Zwar generieren auf Grund der zuletzt wieder angezogenen Kurse wichtige Indikatoren wie der MACD, die Stochastik oder der RSI Kaufsignale. Diese können jedoch auch sehr schnell wieder in die Gegenrichtung drehen. Nachhaltig „bullish“ wäre erst das Überwinden des wichtigen Widerstands bei 75 US-Dollar. Dass es dazu kommt, halten wir allerdings für nicht sonderlich wahrscheinlich. Wir können uns daher vorstellen, dass der Ölpreis in diesem Jahr noch einmal den Support bei 60 US-Dollar testet.
Marc Nitzsche ist Chefredakteur des Rohstoff-Trader Börsenbriefs. Der Börsenbrief ist ein Spezialist für Rohstoffe und bietet konkrete Kaufempfehlungen mit Analysen und Kursprognosen. Mehr Infos unter: www.rohstoff-trader.deDer obige Text spiegelt die Meinung des jeweiligen Kolumnisten wider. Die Smarthouse Media GmbH übernimmt für dessen Richtigkeit keine Verantwortung und schließt jegliche Regressansprüche aus.